Mindelheimer Zeitung

„So etwas endet häufig tödlich“

Ein hochriskan­tes Überholman­över zwischen Mindelheim und Pfaffenhau­sen hat drei Verletzte zur Folge. Nicht nur seine Schuld belastet den Verursache­r – auch am Gerichtsur­teil hat er schwer zu tragen

- VON JENS REITLINGER

Memmingerb­erg Es ist wohl der Albtraum jedes Verkehrste­ilnehmers, den ein damals 22-Jähriger und sein Vater vergangene­s Jahr kurz vor Weihnachte­n erlebten: An einem Freitagabe­nd sind die beiden auf dem Heimweg in den Feierabend und ins Wochenende. Auf der Ortsumgehu­ngsstraße von Pfaffenhau­sen Richtung Mindelheim kommt ihnen in einer langgezoge­nen Linkskurve in der winterlich­en Finsternis eine Kolonne entgegen, an deren Spitze ein Traktor mit niedriger Geschwindi­gkeit fährt. Plötzlich schert eines der nachfolgen­den Fahrzeuge aus und setzt zum Überholen an, in der Dunkelheit sehen Vater und Sohn nur zwei Scheinwerf­er auf sich zurasen. Geistesgeg­enwärtig reißt der 22-Jährige das Lenkrad im letzten Moment nach links, um einen Frontalzus­ammenstoß zu vermeiden. Der entgegenko­mmende Pkw schlägt in den rechten Kotflügel des Autos ein, die beiden Männer werden mit ihrem Fahrzeug in den lin- Straßengra­ben geschleude­rt. Während der junge Mann am Steuer mit einer Knieprellu­ng noch vergleichs­weise glimpflich davon kommt, zieht sich sein Vater neben Prellungen an Handgelenk und Rippen einen – wie sich später herausstel­len wird – recht komplizier­ten und folgeträch­tigen Bruch des Mittelfußk­nochens zu. Auch der damals 17-jährige Beifahrer des überholend­en Fahrzeugs trägt mit zwei gebrochene­n Beinen schwerere Verletzung­en davon. Im Falle des 23-jährigen Unfallveru­rsachers sind die körperlich­en Konsequenz­en mit einem leichten Schleudert­rauma vergleichs­weise gering. Für sein verkehrsge­fährdendes Verhalten musste sich der heute 24-jährige Metallvera­rbeiter jedoch vor dem Memminger Amtsgerich­t verantwort­en.

Durch seine herausford­ernde Fahrweise habe er sich der Staatsanwä­ltin zufolge als untauglich­er Kraftfahre­r erwiesen. Man müsse von Glück sprechen, dass keiner der Beteiligte­n bei der Kollision ums Leben gekommen sei. „Unfälle die- ser Art auf der Landstraße enden häufig tödlich“, stimmte auch Richterin Katharina Erdt zu. Der Angeklagte zeigte sich vor Gericht betroffen. „Er macht sich schwere Vorwürfe, dass durch sein Handeln mehrere Menschen, darunter auch sein kleiner Bruder, verletzt wurden“, sagte sein Verteidige­r, Horst Ohnesorg. Gegenüber der Polizei hatte der Mann noch am Unfallort zu Protokoll gegeben, er habe überholt um früher nach Hause zu kommen. Mehrfach habe sich der 24-Jährige seit dem Vorfall psychisch behandeln lassen, nachts plagten ihn wiederkehr­ende Albträume. Während der Verhandlun­g bricht der zweifache Familienva­ter mehrere Male in Tränen aus.

„Das Ganze ging wahnsinnig schnell“, sagte der 54-jährige Beifahrer des entgegenko­mmenden Fahrzeugs, der die Unfallstre­cke mehrmals wöchentlic­h fährt und gut kennt. Nach dem Zusammenpr­all habe er Panik bekommen, weil er aus eigener Kraft nicht aus dem völlig zerstörten Auto aussteigen konnken te. Auch ein knappes Jahr nach dem Unfall ist der Berufskraf­tfahrer noch immer krankgesch­rieben, im rechten Fuß spürt er ständige Schmerzen. Im Dezember muss er sich aller Voraussich­t nach noch einmal operieren lassen, sagte er während seiner Zeugenauss­age. Auf die Frage der Richterin, ob sich die Strecke seiner Ansicht nach zum Überholen eigne, schüttelte der 54-Jährige vehement den Kopf: „Man sieht schlichtwe­g nicht, ob jemand entgegen kommt oder nicht.“

„Jedem Autofahrer unterläuft gelegentli­ch ein Fehler“, sagte Verteidige­r Ohnesorg. Im vorliegend­en Fall habe dieser Fehler gravierend­e Folgen nach sich gezogen. Dennoch handele es sich schlicht um eine falsch eingeschät­zte Situation. Auch das bislang reine Zentralreg­ister seines Mandanten sowie den existenzie­llen Wert der Fahrerlaub­nis hob Ohnesorg hervor. Sein Mandant arbeite im Schichtbet­rieb. Zwischen seinem Wohnort und Arbeitspla­tz gebe es keine öffentlich­en Verkehrsmi­ttel. „Sollte er seinen Führersche­in verlieren, verliert er zudem seinen Arbeitspla­tz und die Familie ihre Lebensgrun­dlage“, sagte Ohnesorg.

Wer auf seinen Führersche­in angewiesen sei, der dürfe schlichtwe­g nicht derart fahrlässig handeln, sagte Richterin Katharina Erdt in ihrem Urteil. „Am Entzug der Fahrerlaub­nis führt kein Weg vorbei.“

Zehn Monate lang darf der 24-Jährige keinen neuen Führersche­in beantragen und muss 80 Tagessätze zu je 40 Euro Strafe bezahlen. Damit kam die Richterin der Forderung der Staatsanwa­ltschaft weitgehend entgegen. Obwohl der Angeklagte die Strecke gut kannte, habe er grob fahrlässig gehandelt und längerfris­tige gesundheit­liche Konsequenz­en für einen der Geschädigt­en sowie hohen Sachschade­n verursacht.

Der Beschluss wurde abschließe­nd auf den darauffolg­enden Tag verlegt, damit der Verurteilt­e nach Ende der Verhandlun­g in Memmingerb­erg noch mit dem Auto nach Hause fahren durfte.

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