Hoffen auf Klarheit
Bürgermeister Christian Kähler und Marktbaumeister Christian Schinnagel sind optimistisch, dass ein Ende der Trinkwasser-Misere in Türkheim bis zum Jahreswechsel in Sicht ist. Was das für die Gebührenzahler bedeutet
Bürgermeister und Marktbaumeister in Türkheim sind optimistisch. Ein Ende der Trinkwassermisere ist in Sicht. Ein ausführliches Interview lesen Sie auf
Türkheim Die Spülung ist abgeschlossen, die Probenentnahme läuft und bislang sieht alles so aus, als könnte die Gemeinde Türkheim ihren Bürgern ein besonderes „Weihnachtsgeschenk“machen: sauberes und ungechlortes Trinkwasser, direkt aus dem Wasserhahn. Nicht nur die Verbraucher könnten dann aufatmen – auch für die Verantwortlichen im Rathaus ginge eine stressige und nervige Zeit zu Ende. Zeit für ein Fazit – Bürgermeister Christian Kähler und Marktbaumeister Christian Schinnagel antworteten gemeinsam und schriftlich auf unsere Fragen.
Erinnern Sie sich noch an den 24. Februar? Es war ein Freitag… Antwort: Nicht mehr so richtig. Wir haben gegen Mittag die Mitteilung der Verkeimung erhalten und dann haben wir versucht, über verschiedene Wege die Info an die Bürger raus zu geben. Mitteilung an die
Radio, Facebook, zusätzlich am gleichen Tag spätnachmittags bis abends persönliche Mitteilung vor Ort an alle Gaststättenbetreiber, das Wasser umgehend abzukochen wegen einer Verkeimung des Trinkwassers, dies betrifft auch das Spülen von Gläsern und so weiter.
Bis wann können alle Türkheimer Verbraucher wieder den Wasserhahn aufdrehen und bedenkenlos und ohne Chlorgeruch und/oder Abkochanordnung einen Schluck Wasser aus der Leitung trinken?
Antwort: Dies wird aktuell noch mit dem Landratsamt und Gesundheitsamt geklärt. Wir hoffen, dass dies zum Ende des Jahres wieder möglich ist, können dies aber noch nicht zusichern. Die Entscheidung ist sicherlich abhängig von einem positiven Probenverlauf.
Hätten Sie gedacht, dass dieses Thema sie so lange beschäftigen würde? Antwort: Zu Beginn eigentlich nicht.
Wenn Sie damals das Wissen von heute gehabt hätten – würden Sie etwas anders machen?
Antwort: Federführend im Verfahren ist das Gesundheitsamt (Anordnungsbehörde) und wird es auch in Zukunft bleiben. Die durchzuführenden Schritte (Abkochung, Chlorung, Leitungsspülung, Dauer der Maßnahmen, etc.) bei einer Trinkwasserverkeimung ordnet das Gesundheitsamt an und nicht der Was- Der Markt Türkheim hat immer in Absprache die Anordnungen Schritt für Schritt umgesetzt und so müssen und würden wir es wieder machen.
War aus Ihrer Sicht die Information durch das Rathaus immer ausreichend? Antwort: Ja. Wir haben immer, wenn Änderungen eingetreten sind, diese über verschiedene Medien weitergegeben.
Viele Türkheimer ärgerten sich vor allem in den ersten Wochen über das – zumindest für Laien schwer nachvollziehbare – Hin und Her. Einmal musste gechlort werden, dann wieder nicht, dann wieder abgekocht, dann beides… Verstehen Sie den Ärger?
Antwort: Klar können wir den Ärger verstehen, uns wäre es auch lieber gewesen, wenn nach der ersten Chlorung alles wieder in Ordnung gewesen wäre. Wir und das Gesundheitsamt konnten aber nur so vorgehen, denn die Chlorung ist wichtig für die Bekämpfung der Keime.
Damit Keime abgetötet werden können, bedarf es einer Mindestkonzentration im gesamten Wasserleitungsnetz bis zu jedem Endverbraucher und einer Mindestdauer, damit das Chlor seine Wirkung entfalten kann. Um Keimfreiheit im Trinkwasserleitungsnetz feststellen zu können, muss aber die Leitung frei von Chlor sein.
Aus diesem Grund muss nach einer Chlorung erst einmal das gesamte Chlor wieder herausgespült werden. Sind dann immer noch Keime feststellbar, beginnt die Prozedur von vorne. Zusätzlich zur Chlorung und auch nach einer Chlorung sowie in den Übergangszeiten wurde aus Sicherheitsgründen eine Abkochverordnung vom Gesundheitsamt erlassen, um die Gesundheit der Bürger nicht zu gefährden.
Erst nach einigen Wochen wurde eine Spezialfirma mit der Spülung der Leitungen beauftragt. Warum nicht schon früher?
Antwort: Zunächst einmal haben wir versucht, die Ursachen für die Verkeimung im gesamten, etwa 90 Kilometer langen Wassernetz herauszu- finden und mögliche Eintragungsquellen zu lokalisieren. Dies geht aber nur bei ungechlortem Trinkwasser und benötigt sowohl einen hohen Personaleinsatz als auch einen gewissen Zeitraum. Wir haben gehofft, auch ohne Spülung desTrinkwassernetzes und damit moderaten Kosten auszukommen. Die Spülung des gesamten Trinkwassernetzes erfolgt immer erst am Ende, wenn die üblichen und in der Regel bewährten Maßnahmen nicht greifen, weil sie mit hohen Personaleinsatz, erheblichen Kosten und Baumaßnahmen im Netz sowie zusätzlichen Belastungen und Einschränkungen für die Bürger und ansässigen Firmen verbunden ist. Der Markt Türkheim hat sich sehr frühzeitig mit anderen Wasserversorgungsunternehmen beraten und die Spülung bereits zu einem frühen Zeitpunkt beauftragt.
Gibt es aus heutiger Sicht Anzeichen für eine mögliche Ursache für die Verunreinigungen?
Antwort: Darüber wurde ja schon viel geschrieben. Wie gesagt, könnte es das defekte Be- und Entlüftungsventil in einem Schacht gewesen sein oder ans Wassernetz angeschlossene Grauwasseranlagen, von denen mehrere bei einer Überprüfung entdeckt worden sind.
Und zum Schluss gab es auch noch vereinzelte Ablagerungen im Trinkwasserleitungsnetz, die sich immer wieder durch das vermehrte und zeitversetzte normale Spülen gelöst haben. In Regress kann keiner genommen werden, weil weder eine eindeutige Eintragsstelle von Keimen bei der umfangreichen und aufwendigen Ursachenforschung ermittelt noch einer Person zugeordnet werden konnte. Zum Abschluss blieb nur die Spezialreinigung durch die Firma Hammann (Impuls-Spülverfahren mit Luft-Wassergemisch) zur Bekämpfung der immer wieder im Netz vereinzelt auftretenden Keime (1 bis 2) als erfolgversprechende Methode übrig.
Was hat die Verwaltung alles getan, um die Sicherheit der Bürger zu gewährleisten?
Antwort: Wir haben die Anweisungen des Gesundheitsamtes umgesetzt, damit keine Gefahr für die Bürgerinnen und Bürger entstehen konnte, die Ursachenforschungen anhand aller möglichen Eintragsquellen betrieben und insbesondere die Entscheidung gefällt, das sehr kostenaufwendige Spezialspülverserversorger. fahren schon sehr frühzeitig durchzuführen.
Wie lief die Zusammenarbeit mit übergeordneten Behörden?
Antwort: Wir haben in engem Kontakt mit dem Gesundheitsamt die besprochenen Maßnahmen, wie Chlorung und Abkochanordnung umgesetzt und die Probenentnahmen um ein Vielfaches erhöht.
Bauhof und Feuerwehren mussten in den vergangenen Monaten eine Menge Zusatzschichten und Einsätze ableisten. Der Gemeinderat hat sich dafür schon ausdrücklich bedankt. Gibt es noch ein „Dankeschön“von der Gemeinde?
Antwort: Wir werden uns bei den Helfern noch separat bei einem gemeinsamen Abend bedanken. Aber nicht nur der Bauhof und die Feuerwehr mussten erheblichen Einsatz leisten, sondern auch die Mitarbeiter des Wasserwerkes, der Bauverwaltung und unser Marktbaumeister, damit das Spülverfahren reibungslos, ohne Unterbrechungen und größere Behinderungen für die Bürger, Landwirte und Firmen ablief. Hierunter fielen die Erarbeitung von Spülplänen, kurzfristige Nachrüstung des Trinkwassernetzes mit zusätzlichen Leitungen, Schiebern und Hydranten, Einbindung von zusätzlichen Rohrleitungsbau – und Tiefbaufirmen et cetera. Es mussten erhebliche Stunden zusätzlich zur regulären Arbeitszeit geleistet werden, teilweise auch Nachtarbeit. Davon hat der Bürger nichts mitbekommen, damit die Spülung so schnell wie möglich durchgezogen werden konnte.
Können Sie abschätzen, wie hoch die Gesamtkosten für alle Maßnahmen am Ende sein werden?
Antwort: Alles in allem sprechen wir, Stand heute, von fast 400 000 Euro Kosten Dritter, ohne Eigenleistungen.
Müssen sich die Türkheimer Gebührenzahlen darauf einstellen, dass diese Kosten durch höhere Wasser- und/ oder Abwassergebühren auf sie umgelegt werden? Antwort: Bei wohlwollender Betrachtung sind in den Kosten auch Investitionen in die zukünftige Versorgungssicherheit enthalten, es sind nicht nur „Sonderkosten in Sachen Verunreinigung“.
Wie hoch in etwa wird der Anstieg der Gebühren sein?
Antwort: Eine seriöse Prognose ist zum jetzigen Zeitpunkt nicht möglich. Zuerst müssen mal alle Kosten feststehen. 2018 steht turnusmäßig ohnehin eine Überprüfung und gegebenenfalls eine Anpassung des Wasserpreises an. Wir werden wohl nicht umhinkommen, zumindest einen Teil der Sonderkosten auf die Gebührenzahler umzulegen. Es gibt allerdings in besonderen Fällen die Möglichkeit, einen Teil der Sonderkosten aus den allgemeinen Deckungsmitteln zu tragen. Das werden wir dann 2018 im Gemeinderat besprechen. Auf den Abwasserpreis hat die Verunreinigung des Trinkwassers keine Auswirkung.
Was kann/muss die Gemeinde Türkheim unternehmen, damit so ein Fall in Zukunft nicht mehr eintritt? Antwort: Keine Gemeinde kann sich von einer Verunreinigung auf Dauer freisprechen. Dies belegen bereits die lange Liste der Firma Hammann, Gespräche mit anderen Versorgungsunternehmen und die Berichte in den Medien. Aufgrund der enormen flächenmäßigen Ausdehnung eines Trinkwassernetzes mit allen seinen Zugangsstellen, auch beim Endverbraucher, sind Eintragungsquellen nie vermeidbar. Die Gemeinde beziehungsweise der Wasserversorger sichert sein Netz entsprechend den allgemein anerkannten Regeln der Technik, nach eigenen Erfahrungen und nach regelmäßigen Erfahrungsaustausch, so weit wie möglich gegen Fremdeintrag ab. Hierzu gehört auch das sorgfältige und gewissenhafte Arbeiten am Leitungsnetz, bei der Trinkwassergewinnung, -aufbereitung und -verteilung sowie die Information der Bevölkerung.
„Klar verstehen wir den Ärger vieler Verbraucher “Aus ihrer Sicht hat Verwaltung die Öffentlichkeit immer rechtzeitig informiert
„Stand heute gehen wir von fast 400 000 Euro aus“Die Kosten müssen teilweise über Gebühren auf die Verbraucher umgelegt werden
Welchen Rat würden Sie einer Gemeinde geben, die plötzlich mit einer Verunreinigung des Wassers durch coliforme Keime konfrontiert ist? Antwort: Ich denke, dies hängt von der jeweiligen möglichen Ursache, der Höhe der Verkeimung und vom Leitungsnetz der jeweiligen Gemeinde ab. Wir können beratend zur Seite stehen und unsere Erfahrungen und unser Wissen weitergeben.