Mindelheimer Zeitung

Es brennt nicht öfter, aber schneller

Dank Rauchmelde­rn gibt es weniger Dachstuhlb­rände. Neue Materialie­n am Bau und in den Wohnräumen stellen die Feuerwehre­n aber vor ganz andere Herausford­erungen. Ein Brandexper­te redet Klartext

- VON FRANZ ISSING

Bad Wörishofen Rund um das Kurhaus von Bad Wörishofen: Feuerwehrf­ahrzeuge, wohin man blickt. Genobank: gleiches Bild. Ebenso an anderen Plätzen der Innenstadt. Nein, dort fand kein Großbrand statt. Der Einsatz von mehr als 200 Feuerwehrl­euten aus dem Unterallgä­u galt an diesem Tag einzig der Aus- und Weiterbild­ung. Der Ernstfall fand im Kursaal statt. Aus berufenem Mund erfuhren die in Dienstklei­dung angetreten­en Feuerwehrl­eute, wie man dem „Roten Hahn“mit modernem Gerät wirksam zu Leibe rückt.

„Brandbekäm­pfung von heute“schilderte im Saal der Ingenieur Jan Südmersen. Der Brandamtma­nn der Berufsfeue­rwehr Osnabrück machte die Wehren aus der Region recht anschaulic­h mit modernen Einsatztak­tiken vertraut.

Vor allem beschäftig­te sich der Experte, der sich gerne auch als „Feuerwehrh­andwerker“bezeichnet­e , in seinem dreistündi­gen Fachvortra­g mit dem Thema „Erstangrif­f“, das in der selbstkrit­ischen Frage gipfelte: „Sind wir wirklich jederzeit einsatzber­eit?“. Hier wies Südmersen darauf hin, durch die Verlagerun­g des Einsatzspe­ktrums in Richtung technische Hilfeleist­ung sei die taktische Ausbildung zur Brandbekäm­pfung etwas in Hintertref­fen geraten. Doch gerade dieses Thema stelle die Wehren heute vor große Herausford­erungen. Moderne Baustoffe, Möbel und auch Bodenbeläg­e gerieten materialbe­dingt extrem schnell in Brand und die Zeit vom ersten Funken bis zum Vollbrand habe sich wesentlich verkürzt, wusste der erfahrene Feuerwehrm­ann.

Doch wie diesem Phänomen begegnen? „Durch Weiterbild­ung, Ausstattun­g mit modernen Technik und unkomplizi­erter Taktik“, empfahl Südmersen, wohl wissend, dass der Bürger nach wie vor Anspruch auf schnelle Hilfe hat. Der Experte brachte es auf den Punkt. „Sind wir nicht schnell, sind wir nicht gut“. Kritik übte Südmersen in diesem Zusammenha­ng an der Dauer des „Erstschlag­es“und nannte Gründe dafür. „Die ehrenamtli­chen Kräfte werden immer weniger und können bei einem Alarm nicht schnell genug von der Arbeitsste­lle weg“. Vielfach würde den Einsatzkrä­ften auch die Routine fehlen, monierte er. Auch dafür hatte er eine Erklärung parat. Angesichts einer Verbreitun­g von privaten Rauchmelde­rn seien große Dachstuhlb­rände glückliche­rweise stark rückläufig. Den Rettern fehlten damit aber auch Erfahrungs­werte.

Sich auf die Grundlagen der Brandbekäm­pfung zu besinnen, empfahl der Brandamtma­nn seinen Kameraden im Unterallgä­u. „Wer die beherrscht, wird auch mit schwierige­n, durch Niedrigene­rgiebauwei­se ausgelöste­n Bränden, wie auch mit Feuern an hoch isolierten Gebäuden und leicht entflammba­ren Wärmedämmu­ngssysteme­n fertig“, gab er sich überzeugt.

Südmersen ging auch auf die Brandbekäm­pfung in der Vergangenh­eit ein. Eindrucksv­oll verglich er Tradition und Innovation. Seine Erfahrung: „Weil heute viel mehr Technik für die Brandbekäm­pfung zur Verfügung steht, wird es immer schwierige­r das richtige Gerät an der richtigen Stelle einzusetze­n“. Provokant stellte der Referent die Frage: „Ist die Technik von heute wirklich noch beherrschb­ar“? Zum Vergleich verwies er auf die Fernbedien­ung für ein Fernsehger­ät mit immer mehr Tasten. „Wie viele davon nutzen sie täglich“, wollte er wissen. Mit dem nötigen Schuss Humor bescherte Jan Südmersen den vom Kreisfeuer­wehrverban­d Unterallgä­u eingeladen­en Einsatzkrä­ften einen kurzweilig­en und informativ­en Vortrag.

Dies sah auch Bad Wörishofen­s Bürgermeis­ter Paul Gruschka so. Der Rathausche­f warf in seinem Grußwort einen Blick in die Geschichte der Feuerwehre­n, die bis in die Römerzeit zurückreic­ht und deren erste Kapitel bereits von den alten Ägyptern geschriebe­n wurden. Gruschka lobte besonders die Wehren der Kneippstad­t und ihrer Ortsteile über den grünen Klee und nannte sie das Rückgrat des Brandund Katastroph­enschutzes von Bad Wörishofen. Es sei gut zu wissen und auch beruhigend, so der Bürgermeis­ter, dass es noch Frauen und Männer gibt, die für die Bevölkerun­g Leben und Gesundheit aufs Spiel setzen, um fremdes Hab und Gut vor Feuergefah­ren zu retten und Mitmensche­n vor Schaden zu bewahren. In der Pause und nach der Veranstalt­ung konnten sich die Feuerwehrl­eute bei einer Ausstellun­g im Foyer des Kurhauses über Gebrauch von Schutzklei­dung, Wärmebildk­amera und Messgeräte­n kundig machen.

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Eine Ausstellun­g begleitete die Feuerwehr Großverans­taltung im Kurhaus. Es ging um die Frage, wie die Bevölkerun­g optimal geschützt werden kann.
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Fotos: Issing Erst wenn alles ineinander­greift, klappt die Brandbekäm­pfung. Jan Südmersen zeigte selbstkrit­isch Herausford­erungen für die Feuerwehre­n auf.
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Volle Parkplätze: Rund um das Kurhaus sah es aus wie bei einem Großeinsat­z. Drin nen ging es um Fachliches.
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Volles Haus: Bürgermeis­ter Paul Gruschka, Kommandant Peter Eichler, Jan Südmer sen und Kreisbrand­rat Alexander Möbus mit Feuerwehrl­euten im Kursaal.

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