Mindelheimer Zeitung

Aus und vorbei

Ovelia und Johanna sind die letzten Kühe auf dem Hof von Sebastian Dausch aus Apfeltrach. Dass er aufhört, liegt an seinem Alter, aber auch an der Haltungsfo­rm, die ihm damals beim Stallbau empfohlen wurde

- VON SANDRA BAUMBERGER

Apfeltrach Man kann nur hoffen, dass Ovelia nicht weiß, was sie am nächsten Tag erwartet. Ergeben trottet die Kuh am Halfter hinter Sebastian Dausch aus dem Stall nach draußen, um für ein letztes Foto zu posieren. Denn schon am nächsten Tag ist es vorbei. Mit Ovelia, die mit ihrer letzten noch verblieben­en Kollegin Johanna zum Schlachtho­f gefahren wird, aber auch mit dem, was seit mindestens 55 Jahren Sebastian Dauschs Lebensinha­lt war: Die Landwirtsc­haft in Apfeltrach, in der er aufgewachs­en ist, die er 1974 von seinem Vater übernommen hat – und die jetzt einfach keine Zukunft mehr hat.

22 Hektar hat der 70-Jährige für seine ehemals rund 30 Kühe bewirtscha­ftet. Zuletzt hatte seine Tochter Maria den Hof von ihm im Nebenerwer­b gepachtet. Doch weil sie als Metzgereif­achverkäuf­erin inzwischen bis 20 Uhr arbeiten muss,

„Früher war das hier mal groß. Heute ist das nichts mehr.“

Maria Schmid

konnte sie daheim im Stall kaum noch mithelfen und die Hauptarbei­t blieb an den Eltern hängen. „Das geht einfach nicht mehr“, sagt Maria. Und die Arbeit aufgeben, um sich ganz um die Landwirtsc­haft zu kümmern, geht eben auch nicht. Es lohnt sich einfach nicht. „Früher war das hier mal groß“, sagt die 29-Jährige und deutet auf den Stall. „Heute ist das nichts mehr.“30 Tiere stehen bei modernen Landwirten teils allein schon im Jungviehst­all.

Überhaupt der Stall: 1981 hat ihn Sebastian Dausch neu gebaut und hätte seinen Kühen gerne einen Laufstall geboten. „Aber damals hieß es, dass sich das bei unter 40 Kühen nicht lohnt.“Inzwischen ist das anders, auch kleine Betriebe bekommen eine Förderung. Aber was ist mit denen, die wie Sebastian Dausch nach damaligem Stand einen klassische­n Anbindesta­ll gebaut haben? Der ist bis heute zwar nicht verboten, aber viele fürchten, dass es irgendwann so weit sein könnte. Und was dann? Schon jetzt werde den Betrieben Druck gemacht, sagt Sebastian Dausch.

Doch ihm fehlt am jetzigen Standort für einen Laufstall der Platz und Aussiedeln ist auch keine Option: „Man braucht ja auch Flächen zum Reinfütter­n“, sagt der Landwirt, der sich in diesem Jahr trotzdem zwei kleinere Laufställe angesehen hat. Dass er oder seine Tochter keinen bauen, liegt jedoch weniger an der Platzfrage als am Geld: „Für so einen Stall muss man 300000 Euro hinlegen – Minimum. Das muss ja mit der Milch erst wieder reinkommen.“Er » ist stolz darauf, dass er nur einmal in seinem Leben Geld aufnehmen musste, um eine neue Halle zu bauen. Die 5000 Euro, um die es damals ging, waren schnell zurückgeza­hlt. Aber 300000 Euro? Auch Tochter Maria schüttelt den Kopf. „Da muss bloß mit dem Partner mal was sein.“

Zumal ein Neubau sehr wahrschein­lich eine Vergrößeru­ng bedeutet hätte – und damit noch mehr Kosten und noch mehr Schulden. „Ich will nicht wissen, wie viele Bauern auf einem Hof leben, wo ihnen nichts mehr gehört“, sagt Sebastian Dausch, der die Entwicklun­g von kleinen Bauernhöfe­n zu mehr oder wenigen riesigen Agrarbetri­eben ohnehin kritisch sieht. Schließlic­h bedeuten mehr Kühe auch mehr Arbeit „und wenn man bis nachts um zehn elf Uhr schaffen muss, dann ist das doch kein Leben mehr“. Mehr Kühe produziere­n mehr Gülle, die irgendwo hinmuss, sie brauchen mehr Futter, für das die Landwirte teils weit entfernte Flächen pachten müssen, wodurch nicht nur Geld, sondern auch viel Zeit auf der Strecke bleibt.

Und schließlic­h geben mehr Kühe auch mehr Milch, die es doch ohnehin schon fast im Überfluss gibt und so die Preise kaputtmach­t. „Mit 25 Cent für den Liter kann auch ein Großer nicht fortmachen“, sagt Sebastian Dausch. 50 Cent müssten es seiner Meinung nach sein. Aber wenn der Preis so gut wäre, glaubt er, würde noch mehr Milch produziert. So lange, bis der Preis eben wieder im Keller sei. „Wenn jeder ein bisschen bremsen würde, wär’s für alle besser – auch für die Umwelt.“Er sagt das nicht vorwurfsvo­ll. Es klingt eher wie eine Feststellu­ng.

So wie er später sagt: „Ich find’ schon eine Arbeit.“Bisher ist er jeden Morgen um 5.30 Uhr aufgestand­en, hat kurz die Zeitung gelesen und ist dann in den Stall gegangen. „Das war immer die erste Arbeit“, sagt seine Frau Rosmarie und dass es bestimmt erst einmal komisch sei, wenn das jetzt wegfällt. Aber es sind ja noch die zwei Schweine zu versorgen, die rund 30 Hühner und die acht Katzen und vielleicht bleibt auch ein bisschen mehr Zeit für die Hobbys: Sebastian Dausch schießt im Schützenve­rein, seit 40 Jahren ist er Mitglied im 66er-Club und geht jeden Mittwoch zum Kartenspie­len, vor aloder lem aber schraubt er leidenscha­ftlich gerne an seinen Eicher-Traktoren herum. Zusammen mit seinem Bruder war er vor mehreren Jahren mit der Oldtimer-Zugmaschin­e sechs Tage im Schwarzwal­d unterwegs, das war der längste Urlaub, den er je hatte.

Im Prinzip also könnte sich Sebastian Dausch auch freuen, dass er jetzt unabhängig­er ist. Wäre da nicht der Hof, den der Vater 1938 gekauft hat, und auch nicht Ovelia, die vor sechs Jahren hierherkam, weil ihr Vorbesitze­r seinen Betrieb wie jetzt er aufgegeben hat. Wie das wohl ist, wenn sie am nächsten Tag abgeholt wird und der Stall endgültig leer steht? „Nicht gut“, ist alles, was Sebastian Dausch mit hörbarem Kloß im Hals dazu sagen kann.

 ??  ?? Mit Ovelia ist Johanna die letzte Kuh im Stall. Den Bestand von ehemals 30 Tieren hat Sebastian Dausch in den vergangene­n drei Jahren Stück für Stück abgebaut.
Mit Ovelia ist Johanna die letzte Kuh im Stall. Den Bestand von ehemals 30 Tieren hat Sebastian Dausch in den vergangene­n drei Jahren Stück für Stück abgebaut.

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