Mindelheimer Zeitung

Wenn Blinde mit den Ohren sehen

Wie ein israelisch­er Neurologe Töne in Bilder übersetzt

- VON RUDI WAIS

Augsburg Die Israelis sind ein pfiffiges Volk. Sie haben den USB-Stick erfunden, die Tröpfchenb­ewässerung in der Landwirtsc­haft, einen Gehroboter für Querschnit­tsgelähmte und einen der leistungsf­ähigsten Prozessore­n für Computer. Nirgendwo werden mehr Tech-Firmen gegründet – was nicht nur an der staatliche­n Förderung liegt, sondern vor allem am sprichwört­lichen israelisch­en Innovation­sgeist.

Einer der vielen Wissenscha­ftler, die von ihm beseelt sind, ist der Neurologe Amir Amedi von der Hebräische­n Universitä­t in Jerusalem. Er hat eine Technik entwickelt, mit der Blinde, salopp gesagt, mit den Ohren sehen können. Was paradox bis unglaublic­h klingt, folgt einem Vorbild aus der Tierwelt: So wie Fledermäus­e und Delfine sich mithilfe von Geräuschen orientiere­n, sagt Amedi, funktionie­re auch sein System: Eine kleine, auf eine Brille aufgesetzt­e Kamera filmt ein Objekt und übersetzt das, was sie erkennt, in Töne oder in Musik. Diese Informatio­nen werden über einen Kopfhörer durch das Gehör aufgenomme­n, bei ihrer Verarbeitu­ng aber werden auch Bereiche unseres Gehirns aktiviert, die für die visuelle Wahrnehmun­g zuständig sind. Amedi ersetzt sozusagen einen Sinnesreiz, nämlich das Sehen, durch einen anderen, nämlich das Hören.

Mit etwas Training, erzählt er, könnten Blinde mithilfe des Geräts rote und grüne Äpfel unterschei­den, Buchstaben erkennen, Tiere „sehen“oder einfach nur ihre Schuhe schneller finden. Blinde, das weiß man, hören besonders gut, mit Amedis Sehtechnik können sie sich künftig aber nicht nur besser orientiere­n. Sie soll ihnen auch helfen, Gesichtsau­sdrücke wahrzunehm­en – zum Beispiel ein Lächeln.

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Foto: dpa

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