Das Jahr der Türkheimer Trinkwasser Misere
Seit dem 24. Februar müssen die Türkheimer Verbraucher ihr Trinkwasser entweder abkochen oder gechlort trinken. Oder beides
Die Gemeinde Türkheim hat zum 1. Juli die 20 Sozialwohnungen in der Laternenstraße und am Auenweg an die Wohnungsgenossenschaft Mindelheim verkauft. Insider schätzten den möglichen Preis auf rund 800 000 Euro. Vorausgegangen war ein heftiger kommunalpolitischer Streit. Die SPD-Fraktion stimmte in nicht-öffentlicher Sitzung geschlossen dagegen. Der Marktgemeinderat sei mehrheitlich zu dieser Entscheidung gekommen, weil er „der Meinung war, dass es sich um ein schlüssiges, politisch vertretbares und keinesfalls unsoziales Gesamtkonzept handelt“, so Bürgermeister Kähler. So sollten aus dem Verkaufserlös auch wieder neue Mietwohnungen am Keltenweg entstehen. Türkheim Es war ein nasskalter Freitag, der 24. Februar. Am frühen Nachmittag dann die Meldung: Das Trinkwasser in Türkheim ist mit coliformen Keimen belastet und muss abgekocht werden, um mögliche Gesundheitsrisiken auszuschließen.
Dass sich die Türkheimer Trinkwasser-Misere dann über Monate hin erstrecken werde, hätte damals wohl keiner vermutet – am allerwenigsten Bürgermeister Christian Kähler. Und Anfang März sah es dann sogar danach aus, als sei das Schlimmste überstanden: Das zuständige Gesundheitsamt hatte die entsprechende Verordnung aufgehoben, nachdem sich in mehreren Proben keine Verunreinigung mit coliformen Keimen mehr nachweisen ließ. Offenbar habe die Einleitung von Chlor in das Leitungsnetz der Marktgemeinde die erhoffte Wirkung gezeigt.
Doch damit war es schon nach wenigen Tagen wieder vorbei – das Landratsamt erließ wieder eine Abkochanordnung – ein Wort mit spür- und schmeckbaren Folgen für die Verbraucher, die sich partout nicht an den Chlorgeschmack und -geruch gewöhnen wollten und teilweise heftige Kritik auch am Vorgehen der Gemeinde übten.
Das Chlor wurde zur Desinfektion des Trinkwassers zugegeben, über die vermeintlichen Ursachen wurde und wird heftig spekuliert. Ein Ventil im Wasserwerk wurde als „Hauptverdächtiger“ausgemacht, auch falsch angeschlossene Brauchwasser-Zisternen könnten für das Eindringen der Keime verantwortlich sein.
Im Juni wurde dann eine Spezialfirma damit beauftragt, das gesamte, gut 90 Kilometer umfassende Leitungsnetz in Irsingen, Türkheim und Berg zu spülen. Dazu mussten immer wieder einzelne Abschnitte abgesperrt werden, neue Schieber im Leitungsnetz mussten eingebaut werden. Für die betroffenen Bürger hatte dies zur Folge, dass ihnen zeitweise das Leitungswasser abgestellt werden musste. Bei der Spülung ging es jedoch nicht um die Suche nach der möglichen Ursache, sondern lediglich darum, die Keime restlos aus den Leitungen zu bekommen. Im MZ-Interview im November verteidigten sich Bürgermeister Kähler und Stadtbaumeister Christian Schinnagel gegen Kritik am Vorgehen der Gemeinde: „Klar können wir den Ärger verstehen, uns wäre es auch lieber gewesen, wenn nach der ersten Chlorung alles wieder in Ordnung gewesen wäre. Wir und das Gesundheitsamt konnten aber nur so vorgehen, denn die Chlorung ist wichtig für die Bekämpfung der Keime. Damit Keime abgetötet werden können, bedarf es einer Mindestkonzentration im gesamten Wasserleitungsnetz bis zu jedem Endverbraucher und einer Mindestdauer, damit das Chlor seine Wirkung entfalten kann. Um Keimfreiheit im Trinkwasserleitungsnetz feststellen zu können, muss aber die Leitung frei von Chlor sein.
Aus diesem Grund muss nach einer Chlorung erst einmal das gesamte Chlor wieder herausgespült werden. Sind dann immer noch Keime feststellbar, beginnt die Prozedur von vorne. Zusätzlich zur Chlorung und auch nach einer Chlorung sowie in den Übergangszeiten wurde aus Sicherheitsgründen eine Abkochverordnung vom Gesundheitsamt erlassen, um die Gesundheit der betroffenen Bürger nicht zu gefährden.“
Die Kosten für alle Maßnahmen zur Beseitigung der Trinkwasser-Misere werden derzeit auf knapp 400 000 Euro Kosten Dritter, ohne Eigenleistungen, geschätzt. Zumindest ein Teil davon muss laut Bürgermeister Kähler wohl auch über eine Erhöhung der Wassergebühren wieder auf die Verbraucher umgelegt werden: „Bei wohlwollender Betrachtung sind in den Kosten auch Investitionen in die zukünftige Versorgungssicherheit enthalten, es sind nicht nur „Sonderkosten in Sachen Verunreinigung“. Eine seriöse Prognose ist ´noch nicht möglich. Zuerst müssen mal alle Kosten feststehen. 2018 stehe turnusmäßig ohnehin eine Überprüfung und gegebenenfalls eine Anpassung des Wasserpreises an, so Christian Kähler: „Wir werden wohl nicht umhinkommen, zumindest einen Teil der Sonderkosten auf die Gebührenzahler umzulegen. Es gibt allerdings in besonderen Fällen die Möglichkeit, einen Teil der Sonderkosten aus den allgemeinen Deckungsmitteln zu tragen. Das werden wir dann 2018 im Gemeinderat besprechen. Auf den Abwasserpreis hat die Verunreinigung des Türkheimer Trinkwassers keine Auswirkung“.
In diesen Tagen wächst die Hoffnung in Türkheim, dass es endlich vorbei ist mit Trinkwasser-Chlorung und/oder Abkochanordnung.
Seit Mitte November werden regelmäßig Proben gezogen. Bei Redaktionsschluss dieser Ausgabe war noch keine abschließende Beurteilung möglich.