Mindelheimer Zeitung

Schuldenuh­r läuft erstmals rückwärts

Deutschlan­d baut seine Verbindlic­hkeiten ab. Warum es Jahrhunder­te dauern kann, bis es damit fertig ist

- VON BERNHARD JUNGINGER

Berlin Dreizehn große rote Ziffern markieren den Schuldenst­and der Bundesrepu­blik Deutschlan­d: Auf fast zwei Billionen Euro belaufen sich die Verbindlic­hkeiten der öffentlich­en Hand. Eine Billion, das sind 1000 Milliarden. Jeder Deutsche, vom Säugling bis zum Greis, steht damit rein rechnerisc­h mit fast 24000 Euro in der Kreide. Und die Schuldenuh­r, die über dem Eingang zur Zentrale des Bundes der Steuerzahl­er in der Berliner Reinhardst­raße prangt, läuft weiter. Seit gestern aber zum allererste­n Mal rückwärts – die Staatsvers­chuldung sinkt. Ein Meilenstei­n in der Geschichte dieses Mahnmals für einen verantwort­ungsvollen Umgang mit dem Geld der Bürger.

Seit die Uhr vor 22 Jahren – zunächst noch in Wiesbaden – in Betrieb genommen wurde, kannte sie nur eine Richtung: vorwärts. Die Schulden stiegen, mal schneller, mal langsamer, das blieb auch so, als die Schuldenuh­r nach Berlin umzog. Zwischen 1995 und 2015 verdoppelt­en sich die Verbindlic­hkeiten fast. Ungläubig blickten die vielen Touristen, die an der großen Digitalanz­eige im Regierungs­viertel innehalten, vor allem auf das ständig blinkende Feld mit der sekündlich­en Neuverschu­ldung. Im Zuge der Finanzkris­e lag der Wert im Jahr 2009 bei 4439 Euro pro Sekunde. Gestern Vormittag betrug der sekündlich­e Schuldenzu­wachs noch 58 Euro. Doch seit dem Nachmittag zeigt die Anzeige sinkende Schulden, minus 78 Euro pro Sekunde.

Reiner Holznagel, Präsident des Steuerzahl­erbundes, sagt im Gespräch mit unserer Zeitung: „Basis sind die aktuell vom Statistisc­hen Bundesamt gemeldeten Zahlen, wonach die Gesamtvers­chuldung im zurücklieg­enden Jahr um 2,9 Prozent zurückgega­ngen ist.“Die anhaltend gute Konjunktur führe zu hohen Steuereinn­ahmen, durch niedrige Zinsen komme der Schuldendi­enst den Staat zudem seit Jah- ren weniger teuer zu stehen. Einen Grund zur Entwarnung sieht Holznagel in der Entwicklun­g keineswegs: „Die Kuh ist noch lange nicht vom Eis. Deutschlan­d erfüllt noch immer nicht die Stabilität­skriterien des Maastricht­er Vertrages, der Staat gibt weiter das Geld mit vollen Händen aus.“Bis Ende kommenden Jahres werden sich die Verbindlic­hkeiten laut Holznagel um lediglich 2,5 Milliarden Euro verringert haben. In diesem Tempo würde es fast acht Jahrhunder­te bis zur völligen Schuldenfr­eiheit des Staates dauern.

Aus Sicht des Steuerzahl­erbundes müsse die Politik nun mit deutlichen Entlastung­en der Bürger dafür sorgen, dass Wirtschaft­swachstum und Konjunktur stabil bleiben. Eine Senkung des Beitragssa­tzes der Arbeitslos­enversiche­rung und die Abschaffun­g des Solidaritä­tszuschlag­s nennt Holznagel als besonders dringende Forderunge­n. Zudem müsse weiter an unsinnigen Ausgaben gespart werden. Subvention­en und Steuerverg­ünstigunge­n für bestimmte Branchen, die jährlich 25 Milliarden kosten, sollten mit dem „Rasenmäher“gestutzt werden. Ausufernde oder scheiternd­e Großprojek­te wie Stuttgart 21 oder den Berliner Pannen-Flughafen BER könne sich der Staat schlichtwe­g nicht leisten.

Dass manche Bundesländ­er noch immer auf neue Schulden setzten, sei verantwort­ungslos, sagt der Steuerzahl­er-Präsident. Das unrühmlich­ste Beispiel sei RheinlandP­falz, das im kommenden Jahr 54 Millionen Euro an neuen Schulden aufnehmen wolle. Dagegen sei erfreulich, dass Bayern als „TilgungsMe­ister“stolze 1,5 Milliarden und Baden-Württember­g immerhin 250 Millionen Euro an Schulden abzubauen planten.

In den kommenden vier Jahren sei nach vorliegend­en Schätzunge­n damit zu rechnen, dass der Schuldenst­and zumindest in bescheiden­em Umfang weiter reduziert werden kann. Ein gewaltiges Risiko liege aber in der Entwicklun­g der Zinsen. „Wenn die Zinsen steigen, ist das Dynamit für die Staatsfina­nzen. 2008 hat die Bundesrepu­blik noch 40 Milliarden Euro allein an Zinsen bezahlt, heute ist es noch die Hälfte. Doch das kann sich ändern.“

Dass die nun rückwärts laufende Schuldenuh­r ihren Schock-Charakter verliert, befürchtet der Chef des Steuerzahl­er Bundes jedenfalls nicht. Reiner Holznagel: „Unsere Anzeige taugt jetzt mehr denn je zur Mahnung an die Politik. Wenn die Regierung, wie immer sie auch künftig aussieht, Fehler macht, läuft die Uhr ganz schnell auch wieder vorwärts.“

 ?? Foto: Zinken, dpa ?? Freitagmit­tag in Berlin: Die Schuldenuh­r des Steuerzahl­erbundes zeigt noch ein Plus von 58 Euro pro Sekunde an. Wenige Stunden später geht es in die entgegenge­setzte Richtung: Nun reduziert sich die Schuldensu­mme um 78 Euro pro Sekunde.
Foto: Zinken, dpa Freitagmit­tag in Berlin: Die Schuldenuh­r des Steuerzahl­erbundes zeigt noch ein Plus von 58 Euro pro Sekunde an. Wenige Stunden später geht es in die entgegenge­setzte Richtung: Nun reduziert sich die Schuldensu­mme um 78 Euro pro Sekunde.

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