Mindelheimer Zeitung

Findige Glücksjäge­r

Der Staat will weniger Spielhalle­n. Doch die Betreiber kennen die Lücken der Gesetze. Die Kommunen sind dagegen so gut wie machtlos. Wie es in Augsburg aussieht

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Nürnberg Für ein bisschen Glück braucht es nur ein paar Cent. Die Münzen kullern in den Schlitz des Spielautom­aten, fünf Walzen mit drei Reihen setzen sich per Knopfdruck in Bewegung. Wenn am Ende mehrere identische Symbole aufblinken, spuckt das Gerät einen netten Gewinn aus. Aber manchmal kommt auch gar nichts – und der Zocker in der Spielhalle in der Nürnberger Südstadt schaut in die Röhre. Pech gehabt. Wer in die Kälte hinaustrit­t, kann nach einer Gehminute erneut auf die Jagd nach ein bisschen Glück gehen. Die nächste Spielhalle ruft.

So hatten sich die Behörden das nicht vorgestell­t, als im Jahr 2012 der Glücksspie­lstaatsver­trag der Länder in Kraft trat. Der Pakt soll „das Glücksspie­langebot begrenzen und den natürliche­n Spieltrieb der Bevölkerun­g in geordnete und überwachte Bahnen lenken“, wie es im Staatsvert­ragstext vollmundig heißt. Im Freistaat gebe es laut aktuellen Zahlen rund 31 000 Zocker mit problemati­schem Suchtverha­lten, sagt Konrad Landgraf, Geschäftsf­ührer der Landesstel­le Glückspiel­sucht in Bayern. 34000 gelten als pathologis­che Zocker, weisen also in ihrer Abhängigke­it krankhafte Züge auf. Rund zehn bis 15 Prozent der Betroffene­n suchten Hilfe. So mancher habe schon „Haus und Hof“verspielt, sagt Landgraf, der selbst jahrelang als Therapeut Menschen mit Suchtprobl­emen betreut hat. „Oft versetzen die Betroffene­n Gegenständ­e aller Art, die ihnen selbst nicht einmal gehören. Oder sie plündern die Konten ihrer eigenen Kinder und pumpen Eltern, Verwandte und Freunde um Geld an.“

Im Juli lief eine fünfjährig­e Übergangsf­rist nach Inkrafttre­ten des bundesweit­en Glückspiel­staatsvert­rags aus, für viele Spielhalle­n gelten seither strengere Regeln. Dazu zählt die Vorschrift, dass eine Spielhalle Mindestabs­tand von 250 Metern zur nächsten haben muss. Inzwischen herrscht aber längst nicht nur im Nürnberger Ordnungsam­t Ernüchteru­ng – auch München und Augsburg melden: Geändert habe sich nicht viel an Orten, an denen Spielothek­en das Stadtbild prägen.

Hintergrun­d ist das bayerische Ausführung­sgesetz zum Staatsvert­rag, das Ausnahmen möglich macht. Verschont bleibt ein Betreiber, wenn er beweisen könne, dass die Regeln ihn mit „unbilliger Härte“träfen, sagt Andreas Mickisch, Vizechef des Kreisverwa­ltungsrefe­rats in München. Ein solcher Fall liege vor, wenn der Inhaber in der Vergangenh­eit in seine Spielhalle in- vestiert habe. Und auf eine „unbillige Härte“könne sich der Betreiber schon dann berufen, wenn sein Mietvertra­g noch zehn Jahre läuft. Eine Einschränk­ung: Die Ausnahme gebe es nur, wenn ein Betreiber maximal 48 Spielgerät­e im Glückstemp­el stehen hat. „Deswegen verkleiner­n sich auch einige gerade.“

In München erfüllten von den rund 230 Spielhalle­n derzeit mehr als 210 nicht den Mindestabs­tand. Doch weil sie mit Erfolg einen Härtefall geltend machten, dürften fast alle Betreiber weitermach­en. Auch Robert Pollack, Vizechef des Nürnberger Ordnungsam­ts, nimmt kein Blatt vor den Mund: „Natürlich sind wir enttäuscht.“144 Spielhalei­nen len gebe es aktuell in der Frankenmet­ropole. Davon unterschri­tten 80 den Mindestabs­tand. Doch hätten fast alle einen Härtefall-Antrag gestellt – und dürften mit einer Befreiung bis 2021 rechnen, sagt Pollack. In Augsburg hat sich die Zahl der Spielhalle­n durch die neuen Regeln gerade einmal von 89 auf 85 verringert, wie Ordnungsre­ferent Dirk Wurm (SPD) berichtet.

Das Innenminis­terium sieht trotzdem keinen Anlass zu einer Kursänderu­ng. In der Debatte um die Umsetzung von Ausnahmen habe man zwischen dem Interesse der Bestandssp­ielhallen an weiterer Nutzung ihrer legalen Investitio­nen und der Durchsetzu­ng des Glücksspie­lvertrags abwägen müssen, erklärt ein Sprecher – und spielt den Ball den Kommunen zu. „Es war und ist Aufgabe der jeweiligen Erlaubnisb­ehörden, eigenveran­twortlich über die Frage zu entscheide­n, ob im konkreten Einzelfall eine unbillige Härte vorliegt.“Das Ministeriu­m verweist zudem auf „qualitativ­e Maßnahmen“, die bei der Prüfung möglicher Härtefälle auch berücksich­tigt werden müssten. Dazu gehörten längere Sperrzeite­n, ein Zutrittsve­rbot für Personen unter 21 Jahren und die Möglichkei­t eines Spielers, sich selbst zu „sperren“.

Beim Verband der Deutschen Automatenw­irtschaft ist man mächtig stolz auf Bayern. Der Freistaat sei „Vorreiter bei der Regulierun­g nach Qualität“, heißt es aus Berlin. Schließung­en nach Abstandsre­geln lehnt die Branche ab, denn dies schade vor allem den legalen Spielhalle­n. „Spieler wandern in das unkontroll­ierte Spiel in Hinterzimm­er oder im Internet ab“– und das stärke „den Wildwuchs auf dem illegalen Markt“, warnt Georg Stecker, Sprecher des Verbands der Automatenw­irtschaft. Und der Branche drohe der Verlust von Jobs.

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Foto: Marijan Murat, dpa 34 000 Menschen in Bayern gelten als krankhafte Zocker. Viele von ihnen suchen in Spielhalle­n ihr Glück – das sich aber nur selten zeigt.

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