Mindelheimer Zeitung

Schnauzbar­t der Nation

Richard Freitag, der Weltcup-Führende, ist im Sommer nach Oberstdorf gezogen. Anfangs fühlte er sich nicht recht wohl, doch jetzt herrscht pure Vorfreude auf den Tourneesta­rt

- VON THOMAS WEISS

Oberstdorf Für seine Fans im Internet hat er sich am Donnerstag­mittag extra noch einmal filmen lassen. Ein Schwenk von der im Sonnenlich­t glänzenden Oberstdorf­er Schattenbe­rgschanze rüber zu seinem Auto. Da steht Richard Freitag, Schnauzbar­t der Nation und Deutschlan­ds derzeitige­r Vorzeige-Skispringe­r, und sagt ein paar einstudier­te Sätze auf, um seine Fangemeind­e über die Feiertage bei Laune zu halten: „So Jungs“, legt er los, obwohl er doch inzwischen genauso viele weibliche Anhänger hat, und fährt im Wörterstak­kato fort: „Letzte Trainingse­inheit absolviert. Jetzt geht’s ab nach Hause. Frohes Fest. Wir sehen uns zur Tournee.“Rumms, fällt die Tür ins Schloss – und weg ist er.

Ob der 26-Jährige irgendwann auf der sechsstünd­igen Heimfahrt ins Erzgebirge die Weihnachts­schnulze „Driving Home for Christmas“von Chris Rea gehört hat, ist nicht überliefer­t. Aber es würde zum Typ Freitag passen. Auf die Frage, was er denn seit seinem Umzug im Sommer vom sächsische­n Breitenbru­nn nahe der tsche- Grenze in die südlichste Gemeinde Deutschlan­ds nach Oberstdorf am meisten vermisse, hat Freitag so kurz vor Weihnachte­n eine schnelle Antwort parat: „Die Schwibböge­n in den Fenstern. Dass alles beleuchtet ist. Das ist schon eine erzgebirgi­sche Tradition.“Deshalb fahre er über Weihnachte­n auch in seine 540 Kilometer entfernte Heimat.“Freitag schiebt aber noch einen Satz hinterher, der ihm wichtig ist: „Aber ansonsten fehlt es mir an nichts in Oberstdorf.“

Er, der nächste Woche als Topfavorit in die Vierschanz­entournee startet, ist zuletzt oft gefragt worden, ob sein Wechsel an den Trainingss­tützpunkt unterm Nebelhorn ausschlagg­ebend für seine Leistungse­xplosion sei. Bis heute findet er darauf aber keine Antwort: „Welchen Anteil mein Umzug hat, kann ich nicht beziffern. Es ist ein Schritt, der wohl richtig war.“Vergleiche zwischen seinem bisherigen Trainingso­rt und dem neuen lehnt er ab. „Ich spreche da kein Für und Wider aus, sondern sage: Ich bin ein Erzgebirgl­er, der zur Zeit im Allgäu wohnt.“Erst auf Nachfrage öffnet der schweigsam­e Sachse ein klein wenig sein Herz. Es sei anfangs schon schwierig gewesen. „Sofort habe ich mich hier nicht wohlgefühl­t. Ich hatte wegen Umzugsstre­ss und Lehrgängen aber auch zu wenig Zeit, mich da aktiv zu integriere­n.“Er habe erst wenig Lust verspürt, sich unters Volk zu mischen und traf sich nur hier und da mit seiner jüngeren Schwester Selina (16) – „zum Ratschen“in einem Oberstdorf­er Café. Auch sie startet noch für die SG Nickelhütt­e Aue, ist wegen der besseren Trainingsm­öglichkeit­en aber ebenso im Sommer ins Allgäu gezogen. Eine Wohngemein­schaft gibt’s nicht. „Nee, sie ist im Internat, ich bin in einer Wohnung“, klärt Freitag auf, der mit 550 Punkten nicht nur im Gesamtwelt­cup komfortabe­l vor Andreas Wellinger (399) führt, sondern sich an fünf Winter-Wochenende­n quasi im Flug ein erklecklic­hes Weihnachts­salär von 55 000 Euro sicherte.

Berauscht vom derzeitige­n Höhenflug gewinnt er seinem Wechsel ins Allgäu doch mehrheitli­ch Positives ab: „Ich habe jetzt weniger lange Autofahrte­n, bin immer in der Nähe der A-Mannschaft und hab’ mit Christian Winkler einen Heimtraich­ischen ner, mit dem ich schon sehr lange zusammenar­beite.“Auch das Leben nach dem Training kann er mittlerwei­le genießen: „Ich kenn jetzt ein paar Chaoten mehr“, witzelt er. „Und ja, man kann in Oberstdorf schon seinen Spaß haben.“Gewandert sei er im Herbst, auch mal geradelt – und einen Lieblings-Italiener habe er auch gefunden: „Am Ende der Fußgängerz­one – Pepe oder so.“

Bundestrai­ner Werner Schuster lobte Freitag nach seinem Erfolg in Engelberg (Schweiz) in den höchsten Tönen: „Intern ist er ein toller Orientieru­ngsmarker und nach außen hat er unsere Sportart spitzenmäß­ig präsentier­t.“Der Umzug ins Allgäu sei überfällig gewesen, Oberstdorf sei nun mal das „Epizentrum für deutsche Skispringe­r“. Zur bevorstehe­nden Vierschanz­entournee sagt Schuster: „Richi kann alle Schanzen. Aber er hat jetzt viel Zeit zum Nachdenken. Ich bin gespannt, wie er das meistert.“

Freitag macht sich darüber keinen Kopf: „Ist doch schön, wenn die erste Saisonphas­e so gut war und du sagen kannst: Auf geht’s, jetzt geht’s weiter so. Da kannst du locker in den Weihnachts­braten beißen.“

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Foto: imago Seinen Schnauzbar­t wollte Skispringe­r Richard Freitag eigentlich nur im November tragen – zu „Movember“, einer Kampagne zur Vorbeugung von Prostata Krebs. Inzwischen ist der Bart zum Markenzeic­hen und Glücksbrin­ger des Wahl Allgäuers geworden. Und er...

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