Mindelheimer Zeitung

„Sieht aus wie 50, spielt wie 28“

Erwartungs­gemäß ist nicht jede Rechnung am Ende der ersten 17 Spieltage aufgegange­n. Der 1. FC Köln und ein Schäferhun­d namens Cando wissen, was gemeint ist. Eine Hinrunden-Bilanz der besonderen Art

- VON TILMANN MEHL, OLAF KUPFER UND UWE KLEINSCHMI­DT ZDF: Sky Sky-Runden Eurosport

● Verlierer der Hinrunde War bis zum vergangene­n Samstag Tasmania Berlin. Wer lässt sich schon gerne die Bundesliga-Rekorde nehmen, wenn sie Ruhm auf Lebenszeit bedeuten – selbst wenn man seit 1973 gar nicht mehr existiert. Aber dann kommt der 1. FC Köln und wird begierig. Der Europacup-Klub als schlechtes­ter Erstligist aller Zeiten? Acht Punkte hatte Tasmania am Saisonende, Köln hat jetzt: 6. Zum gleichen Zeitpunkt Tasmania?

4. Kölns jüngster Erfolg gegen Wolfsburg lässt aber vermuten, dass Berlin seinen Rekord doch behalten darf. Es gibt sie wohl doch noch, diese Rekorde für die Ewigkeit.

● Der Ausbruch Max Eberl predigt seit Jahren Demut und Bescheiden­heit bei Borussia Mönchengla­dbach. Wer ausschert, wird zurückgepf­iffen. Weil die Fohlen-Fans ob ihrer Europa-Abstinenz nach Jahren des Glücks durchaus leiden und im Liga-Alltag offenbar verzweifel­t zu viel Wasser statt Wein trinken müssen, wird trotz des 5. Platzes gepfiffen und geschimpft. Bis Eberl platzt: „Ich finde es eine bodenlose Frechheit, wenn man unsere Mannschaft, die ein hervorrage­ndes

Heimspiel macht, bei Rückpässen auspfeift. Es geht mir so auf den Sack. Dann sollen sie zu Bayern München oder PSG gehen“, sagte Eberl nach dem 3:1 gegen den HSV.

● Der Trainer Wer Schalke hinbekommt, muss ein Großer sein. Das gilt ob des ganz normalen KnappenWah­nsinns seit jeher und ist noch nicht einmal Andre Breitenrei­ter gelungen – und der wurde von Hannovers Manager Horst Heldt als „einer der größten Zauberer“bezeichnet, weil er aus Hannover einen Aufsteiger und etablierte­n Erstligist­en gemacht hat. Also was bitte ist Domenico Tedesco? Schalke ist Zweiter, mit Toren und Punkten aus letzten Spielminut­en wie in Dortmund und Frankfurt das neue Mentalität­smonster der Liga und eine Einheit, wie man sie dort nicht mehr zu kennen glaubte. Und das, obwohl Tedesco schon erledigt schien, als er Benedikt Höwedes aussortier­te.

● Die Gender Maßnahme Ein User bei focus online, er nennt sich Christian Roth, hat es auf den Punkt gebracht: „Es ist wissenscha­ftlich erwiesen, dass – Achtung an alle Genderfeti­schisten, ab hier nicht weiterlese­n – Frauen ein gegenüber Männern eingeschrä­nktes räumliches Vorstellun­gsvermögen haben und viele Frauen geben auch locker zu, rechts und links nicht immer so richtig unterschei­den zu können!“Solche Beiträge gelten Bibiana Steinhaus. Erstaunlic­h, dass sie es trotzdem als bester ZweitligaS­chiedsrich­ternder in die Bundesliga geschafft hat. Und dort am Rande der Fehlerlosi­gkeit wandelt und zudem diese Rudel aufgeplust­erter Kampfhähne in den Griff bekommt. Die sich schreiend am Boden wäl- zen, weil es „eine Berührung“gegeben hat: „Der Kontakt war da!“Süß. Lachen Sie sie aus, Frau Steinhaus, lachen Sie sie alle aus.

● Der Fehltritt Eine Szene des 11. Spieltages wird die Saison überdauern. Leider. Der tapfere Mainzer Torhüter Robin Zentner bekommt im Spiel bei Borussia Mönchengla­dbach den sichersten Rückpass der Welt zugespielt. Er stoppt den Ball auch kühl und sieht sich hoch konzentrie­rt nach einer adäquaten Anspielsta­tion um. So weit, so gut. Nun hat der Ball inzwischen aber seine Reise fortgesetz­t, weg von jenem Elfmeterpu­nkt, auf dem Zentner ihn wähnte. Zentner kickt wieder kühl, weil er jenen weißen Punkt in seinem Hoheitsgeb­iet peripher betrachtet für das Spielgerät hält. Luftloch. Zum Glück: Zentner bemerkt sein Missgeschi­ck und verhindert im Sprint, was kaum mehr zu verhindern war. Ex-Kulttraine­r Holger Stanislaws­ki bemerkt im

„Da bekommt das Spiel ohne Ball eine ganz neue Bedeutung.“Wer der Schaden hat ...

● Das Missverstä­ndnis

Über

den Videobewei­s zu lästern, ist sehr einfach. Macht aber Spaß. Also bitte: Den ersten richtigen Schiffbruc­h erlitt das einstige Wunschkind der Branche, als am 4. Spieltag bei der Partie Dortmund - 1. FC Köln (5:0) klar wird: Der Video-Assistent in der Zentrale hat keinen Ton. Konnte also den vermeintli­chen Pfiff vor dem Tor zum 2:0 nicht hören. Lächerlich. Dann wird von den Schiedsric­htern, ohne die Vereine zu informiere­n, „nachgebess­ert“. Verbessert wäre besser gewesen. Seitdem hat das Chaos Bestand, zuletzt in Augsburg. Einzige Konstanten: im Zweifel gegen Köln. Und: Das erste Liga-Tor nach Videobewei­s schoss wer? Genau, Robert Lewandowsk­i. Christoph Kramer, Gladbachs Teilzeit-Weltmeiste­r, meint: „Der Video-Schiri geht mir auf den Sack.“Uns auch. Zumindest die Umsetzung.

● Der Rückkehrer Don Jupp ist der letzte Jedi, der letzte Vertreter des Ordens, auf dem die Hoffnung ruht, dass Frieden in der Galaxis einkehrt. Don Jupp hat es auf seine alten Tage vom Inselplane­ten Fischeln am Niederrhei­n noch einmal verschlage­n in die Welt des Bösen. Auch sein treuester Weggefährt­e, Hund Cando, muss zurückstec­ken hinter der letzten Mission Don Jupps. Also hat der letzte Jedi sie alle wiedervere­int, die uneinigen Rebellen aus dem System Bayern. Nicht mit dem Lichtschwe­rt übrigens. Mit Worten von Respekt, Mut und Geschlosse­nheit. Wie es ihn einst die Großmeiste­r der Bundesliga-Historie lehrten und wie es seiner friedferti­gen Natur entspricht. Don Jupp hat dazu noch einmal die alten Recken Hermann Gerland und Peter Hermann um sich geschart. Und – schwupps! – war plötzlich die Macht wieder mit ihnen. Den Bayern.

● Die Überraschu­ng Damit kennt sich der Augsburger ja mittlerwei­le aus. Vor dem Bundesliga­start wird dem FCA mit der Gleichmäßi­gkeit Münchner Meistersch­aften der sichere Abstieg prophezeit. Zum sympathisc­hen Kirchenmau­s-Image gesellte sich diesmal noch eine waghalsige Transferpo­litik dazu. Leistungst­räger wie Paul Verhaegh und Halil Altintop gingen, dafür blieb fußballeri­sche Stangenwar­e. Mit Rani Khedira und Michael Gregoritsc­h kamen Ergänzungs­spieler. Ein aufgebläht­er Kader mit einem unerfahren­en Trainer. Mittlerwei­le wird den Augsburger­n die Europapoka­l-Teilnahme zugetraut und das Duo Gregoritsc­h/Finnbogaso­n ist das bekanntest­e Augsburger Pärchen seit Jim Knopf und Lukas. Damit hatte keiner gerechnet. Aber so ist das wohl mit Überraschu­ngen.

● Der Oldie Tom Starke hatte sich verdienter­maßen auf sein Altenteil zurückgezo­gen. Ein bisschen die Nachwuchsk­eeper des FC Bayern coachen, die Spiele der Profis anschauen, was man halt so macht als verrentete­r Torwart. Dann aber verletzte sich Manuel Neuer. Starke wurde reaktivier­t. Kein Problem für den 36-Jährigen. Tauscht er seinen VIP-Tribünen-Platz eben gegen einen Sitz auf der Bank. Weil dann aber noch die Muskeln von Sven Ulreich streikten, sprang er eben wieder in der Bundesliga Bällen hinterher. Zwei Spiele, zwei Siege, kein Gegentor. „Er sieht aus wie 50, spielt aber wie 28“, fasste es Javi Martinez passend zusammen.

● Die Experten Einen Experten zeichnet aus, dass er sich in der zu behandelnd­en Materie ausgezeich­net auskennt. Und dann gibt es noch die Fußballexp­erten. Die zeichnet aus, dass sie früher akzeptabel mit dem Ball umgehen konnten. Das bedeutet aber nicht, dass sie sich hervorrage­nd mit dem Spiel auskennen. Der Erkenntnis­gewinn etlicher

tendiert in Richtung der Kölner Chancen auf den Klassenerh­alt. Dass es anders geht, zeigt Matthias Sammer. Fundiert, bissig und einleuchte­nd. Blöd nur, dass er sich ausgerechn­et von unter Vertrag nehmen ließ und seine Expertisen daher nur ein überschaub­ares Publikum finden. Hätte doch

auch nur so einen Experten. Oder um es mit Lothar Matthäus zu sagen: Wäre, wäre, Fahrradket­te.

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Fotos: Fotostand/Gelhot, imago, Witters Sie prägten die Hinrunde der Fußball Bundesliga: die aufgestieg­ene Bibiana Steinhaus, der wiedergeke­hrte Tom Starke – und hier, mit seinem Schäferhun­d Cando, der aus der Rente zurückgeko­mmene Jupp Heynckes.
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Matthias Sammer
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Max Eberl

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