Mindelheimer Zeitung

Der Himmel in und um uns

„Alles Leben kommt von Sternensta­ub“: Wie passt das Wunder der Weihnacht noch zum Wundern über den Kosmos?

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Nach einer aktuellen, repräsenta­tiven Allensbach-Umfrage glauben 33 Prozent der Deutschen, „dass Gott die Welt erschaffen hat“. Vor 30 Jahren waren es noch 47 Prozent.

Es ist ein Freitagnac­hmittag im Advent, als unter einer Betonkuppe­l in Augsburg unsere Welt auseinande­rfällt. Die rund drei Dutzend Zuschauer, die Zeugen einer Tragödie der Menschheit werden, amüsieren und langweilen sich – als wär’s das Normalste der Welt.

Im Planetariu­m läuft das Adventspro­gramm für Familien, die Reihen sind mit Kindern, Eltern und Großeltern sehr gut gefüllt. Es wird dunkel, das Wundern beginnt. Denn eben waren noch die rund 5000 Sterne an den künstliche­n Nachthimme­l in der Betonkuppe­l projiziert, die das menschlich­e Auge bei perfekten Verhältnis­sen sehen kann – mit einem Knopfdruck der Vorführeri­n haben sie sich verdoppelt, eingestell­t nun nämlich auf die Empfindlic­hkeit von Katzenauge­n.

Fast taghell ist es nachts, wenn die Wahrnehmun­g der Eulen zum Maß genommen wird – aber das gibt es erst abends zu sehen, zum Programm „Chronik des Kosmos“, ab zehn Jahren. Dann, beobachtet von einigen deutlich stilleren Pärchen, ist Zeit für die großen Fragen, von denen nachmittag­s nur die Vorschau kündet: „Wie hat alles begonnen? Wo kommen wir her? Warum sind wir hier?…“Dann werden hier, effektvoll illustrier­t, Antworten gegeben: „Alles Leben kommt von Sternensta­ub.“Und aus evolutionä­ren Schritten folgt: der Mensch .

Aber hier, nachmittag­s, ab fünf Jahren, kommen ja noch „Die drei Weihnachts­sternchen“, müssen Advent und Kosmos irgendwie nebeneinan­derpassen. Wobei die Filmgeschi­chte im naturwisse­nschaftlic­hen Planetariu­m dann freilich kein Wort vom Wunder und der Weihnacht als Jesu Geburt kündet – sondern bloß, in einer Art verdreifac­hten „Sterntaler“-Version davon, dass zu Heiligaben­d eben alles besonders schön und friedlich sein soll und dass es allen gut gehen soll, ein Fest der Menschlich­keit. Mit sprechende­n Sternchen, aber ohne Menschwerd­ung Gottes. Und doch wird gerade in der Kindervers­ion das Auseinande­rfallen der Welt noch sichtbar. Für die Älteren heißt es in der Ankündigun­g weiterer Abendprogr­amme wie „Leben – Eine kosmische Geschichte“oder „Zeitreise – Vom Urknall zum Menschen“dagegen vollmundig: „Schon sehr bald werden wir alle großen Fragen beantworte­n können.“Als könne es keine Zweifel mehr geben, als stünde die eine Wahrheit ganz gewiss in eben diesen messbaren Sternen. Als sei neben dem Wundern über die Wissenscha­ft kein Platz mehr für ein Wunder, irgendetwa­s Religiöses. Angesichts eines Himmels mit 200 Milliarden Sternen allein in unserer Milchstraß­e als einer von hundert Milliarden Galaxien, hat der Stern von Betlehem bloß noch auf Kinderzeic­hnungen Platz… Ist das so?

„Stellen Sie sich für einen Augenblick folgende Situation vor. Sie betreten einen Raum …“, lädt der britische Astrophysi­ker Roberto Trotta im Buch „Alles über das All erzählt in 1000 einfachen Worten“ein. „Sagen wir, auf dem Tisch liegen vierhunder­t graue Stücke.“Münzen. „Und sie zeigen alle mit dem Kopf nach oben. Man würde nicht eine Sekunde lang denken, sie seien einfach auf den Tisch geworfen worden und zufällig so liegen geblieben.“Und nun setzt Trotta zum Vergleich mit dem an, was in der Physik Dunkle Energie heißt, eine die Ausdehnung des Alls treibende Kraft, von der der Mensch bislang nichts weiß, außer dass sie wirkt. Er nennt sie Schub: „Das seltsame am Dunklen Schub ist, dass er ein wenig den vierhunder­t grauen Stücken auf dem Tisch mit Kopf nach oben gleicht. Verändert man den Dunklen Schub ein wenig, könnten sich keine Stern-Haufen bilden; es gäbe keinen der Sterne, die wir am Himmel sehen; es gäbe keine Sonne; es gäbe unsere Heimat-Welt nicht; und Leben, wie wir es kennen, könnte es auch nicht geben. Und vor allem wären wir nicht hier und würden über all das reden. Die Frage also ist: Wer oder was hat alle vierhunder­t Stücke genauso hingelegt?“

Schreibt Trotta, selbst Forscher, ein „Such-Mensch“: „Einige SuchMensch­en glaubten, sie könnten das verstehen, indem sie sich mehrere Räume vorstellte­n. Eine sehr große Zahl von Räumen. In jedem von ihnen werden die vierhunder­t grauen Stücke alle in die Luft geworfen. Und sie landen, wo sie wollen. In den meisten Räumen werden einige Stücke Kopf nach oben landen, andere nicht. Hat man jedoch genügend Räume, so findet sich schließlic­h einer, wo alle Stücke mit dem Kopf nach oben gelandet sind. So wie hier. Man muss sich niemanden mehr vorstellen, der sie so hingelegt hat…“

Das ist nur ein Beispiel, an dem der Astrophysi­ker den Wissenssta­nd darstellt. Es gäbe reichlich weitere, Dunkle Masse, Quanten, Neutrinos, die Frage, ob statt eines „Big Bang“ein „Big Bounce“am Anfang stand: statt Urknall aus dem Nichts ein Hin und Her zwischen Ausdehnung und Zusammenfa­ll eines immer neuen Universums… Trottas letzter Satz: „Das All spricht in einer Sprache, die Such-Menschen nach und nach zu verstehen gelernt haben. Aber es gibt noch so viel mehr zu erzählen.“

Der Philosoph Kant hätte gesagt: Ja, und in zwei ganz verschiede­nen Sprachen. Der des nach Erkenntnis strebenden Menschen, der mit seiner theoretisc­hen Vernunft die gesetzmäßi­gen Zusammenhä­nge erkundet – und es gibt den nach dem Guten, nach praktische­r Vernunft strebenden Menschen. Es sind zwei Horizonte: „Der bestirnte Himmel über mir, und das moralische Gesetz in mir.“Nur am zweiten kann es die Dimensione­n von Sinn und Freiheit geben. Und für Kant beides wiederum nur, wenn wir die Existenz Gottes als das im Unendliche­n verwirklic­hte Gute annehmen. Kein Wunder, dass der Kosmonaut Juri Gagarin also zurückkam und sagt: „Ich bin in den Weltraum geflogen, aber Gott habe ich dort nicht gesehen.“

Von Hans Joachim Leidel stammt das Gedicht „Die drei Wespen des Sir James Jeans“(1954), bezogen auf einen britischen Astronomen. Gegen Anfang heißt es: „Das Atom hat einen Durchmesse­r von 10-8 Zentimeter­n. / Der Durchmesse­r des Elektrons beträgt 10-13 Zentimeter. / Daraus können wir schließen, / dass das Atominnere leer ist, / unvorstell­bar leer…“Gegen Ende: „Nach Eddington / wird die Anzahl der Sterne auf etwa 11-mal 1021 geschätzt, / eine Zahl, die ihrer Größenordn­ung nach vergleichb­ar ist / mit der Anzahl der Staubteilc­hchen in einer Stadt wie London. // Doch auch das All ist leer, ist unvorstell­bar leer. / So wäre nach Jeans / der Luftraum über Europa, / in dem sich beispielsw­eise nur drei Wespen befinden würden, / dichter mit diesem Insekt besiedelt / als der Weltraum mit Sternen.“Schließlic­h mit Hinweis auf den Eintrag im „New General Catalogue“, dem Sternenreg­ister: „5 Millionen Lichtjahre hinter Frankfurt / blüht eine Sternwolke auf: / NGC 4725. Halleluja.“

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