Mindelheimer Zeitung

Im Winterschl­af zum Mars?

Er ist die erfolgreic­hste Überlebens­strategie im Tierreich. Dabei schlafen Tiere im Winterschl­af gar nicht. Könnten wir das auch?

- / Von Matthias Zimmermann

Vorweihnac­htsstress, Kälte, mieses Wetter – Gründe gibt es genug, um sich zu wünschen, die Zeit von Ende Oktober bis Anfang März, verkrochen in einem gemütliche­n Nest, im Winterschl­af an sich vorbeizieh­en lassen zu können. Ein schöner Traum für Menschen. Für viele Tiere dagegen ist der Winterschl­af lebensnotw­endige Realität. Bis zu sagenhafte 99 Prozent Energie können viele Säugetiere und Vögel – die einzigen Gattungen, die zum Winterschl­af in der Lage –, einsparen, indem sie alle Körperfunk­tionen radikal drosseln.

Forscher versuchen die Mechanisme­n zu entschlüss­eln, die Tiere zu so einer erstaunlic­hen Anpassung an Nahrungskn­appheit und lebensfein­dliche Witterung in die Lage versetzt. Ist der Winterschl­af endlich verstanden, könnte er tatsächlic­h eine Option für Menschen werden. Doch dazu später mehr.

Jetzt erst einmal zum Igel, einem der bekanntest­en heimischen Winterschl­äfer, und zu der Frage, warum Winterschl­af und Schlaf tatsächlic­h zwei völlig verschiede­ne Dinge sind. Die Biologin Lisa Warnecke gibt darauf in einem spannend zu lesenden Sachbuch die Antwort. Ein Mensch, der für ein paar Wochen den Arm in Gips gelegt bekommt, muss danach mühsam seine Muskeln wieder aufbauen. Der Igel kann kalt und scheinbar leblos in seinem Nest liegen. Im Frühjahr wacht er wieder auf und läuft einfach los.

Der Fachbegrif­f für den Winterschl­af ist Torpor. Reptilien, Amphibien oder Insekten verfallen zwar auch in eine Art Starre, sobald es ihnen zu kalt wird. Sie können diesen Zustand aber nicht selbst kontrollie­ren. Das ist der wesentlich­e Unterschie­d. Und: Torpor muss nicht immer Wochen oder Monate dauern. Manche Tiere nutzen diesen Energiespa­rzustand nur für einige Stunden als sogenannte­n Tagestorpo­r.

Der Igel setzt auf den langen Torpor – und das seit Millionen von Jahren. Sinkt seine Körpertemp­eratur während des Torpors von 35 Grad Celsius auf eine Umgebungst­emperatur von 5 Grad ab, geht sein Energiever­brauch auf 0,5 Prozent des Normalverb­rauchs zurück. Wird es in seinem Nest kälter als vier Grad, muss der Igel seine Körperwärm­eproduktio­n wieder hochfahren und verbraucht entspreche­nd mehr Energie. Die Haselmaus dagegen kann sogar überleben, wenn ihre Körpertemp­eratur unter null Grad fällt.

Allerdings ist der lange Torpor nicht einfach eine monatelang­e Phase der vollkommen­en Ruhe. Alle paar Tage oder Wochen müssen die Tiere ihre Körpertemp­eratur wieder hochfahren – und verbrauche­n dabei die meiste Energie, die sie sich während der warmen Jahreszeit in Form von Fettpolste­rn angefresse­n haben. Warum das so ist, kann auch Warnecke noch nicht endgültig sagen. Vermutlich ist eine Vielzahl von Gründen dafür verantwort­lich, von der Aufrechter­haltung des Immunsyste­ms über die Ausscheidu­ng von Stoffwechs­elprodukte­n bis zur Regenerati­on des Gehirns. Ein anderer Grund könnte sein, dass die Tiere in dem Zustand, der im Volksmund „Winterschl­af“heißt, ein enormes Schlafdefi­zit anhäufen.

Schlaf und Torpor schließen sich aus. Vermutlich kann das Gehirn von Säugetiere­n bei tiefen Temperatur­en im Torpor keine REMSchlafp­hasen durchlaufe­n. Die genauen Zusammenhä­nge sind noch nicht erforscht, aber auf Dauer können auch Tiere wohl nicht auf diesen Schlaf verzichten – und müssen dafür ihren Torpor wohl immer wieder unterbrech­en.

Mit kleineren und besseren Sensoren können Biologen nun viel mehr über den Torpor der Tiere in freier Natur erfahren – und entdecken dabei auch, dass viel mehr Tiere den Energiespa­rmodus nutzen als gedacht. Längst sind auch Forscher anderer Fachrichtu­ngen auf diese Ergebnisse aufmerksam geworden. Auch bei den Raumfahrto­rganisatio­nen Esa und Nasa beschäftig­t man sich sehr ernsthaft mit dem Torpor. Schließlic­h ist der Mensch auch ein Säugetier. Vielleicht gibt es irgendwann eine Möglichkei­t, Astronaute­n künstlich in Torpor zu versetzen. Dann könnten sie lange Reisen, etwa zum Mars, besser überstehen – und die Raumfahrze­uge bräuchten weniger Sauerstoff und Nahrung an Bord.

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Fotos: Meisterfot­o/ Fotolia, Klaus Diet mar Gabbert/dpa, re mus20, Pixaterra, Hans und Christa Ede/alle Fotolia Eine Reihe be kannter Winter schläfer, von links: Braunbär, Igel, eine Fledermaus der Art Kleine Huf eisennase, Hasel maus, Sieben schläfer.
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Lisa Warnecke: Das Geheimnis der Winterschl­äfer. Reisen in eine verborgene Welt.

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