Mindelheimer Zeitung

Die wilde Geschichte der Wolperting­er

Die 13-jährige Pamina aus Klosterlec­hfeld hat eine spannende Erzählung geschriebe­n, die wir nun bis Silvester in fünf Folgen veröffentl­ichen werden. Heute soll sie dir das Warten aufs Christkind verkürzen

- VON PAMINA HUND

Zwar glauben viele Menschen in Bayern, dass die Wolperting­er schon ausgestorb­en sind, weshalb die meisten sie auch nicht mehr kennen. Jedoch gibt es keinen Beweis dafür, dass sie vollkommen von der Bildfläche verschwund­en sind. Tatsächlic­h kann man nachts noch welche von ihnen sehen. Obwohl das womöglich noch niemandem gelungen ist, da Wolperting­er sehr scheu sind. Doch trotzdem ist an diesem Tag, für sehr ungewöhnli­ch, im Nymphenbur­gerSchloss­park ein seltsames Wesen unterwegs. Viele Leute werden es für einen Hasen gehalten haben, wegen des Kopfes. Dabei sind ihnen aber die RehbockGew­eihe nicht aufgefalle­n, die das Tier mit den Hasenohren zu verstecken versucht. Die graubraune­n Entenflüge­l flattern hinter ihm her, während es zwischen den Bäumen watschelt. Ein buschiger Fuchsschwa­nz zieht es hinter sich durch das Unterholz her. Das Tier schnauft ganz außer Puste, wobei man zwei spitze längere Eckzähne des Unterkiefe­rs ausmachen kann. Ganz klar, das ist ein Wolperting­er!

Ein paar Hunde bellen ihn an: ,,Wuff! Was bist du denn für ein Ding?“Spöttisch grinsend dreht er sich um, zügelt sein Tempo und sagt zu der Bulldogge: „Noch nie einen Wolperting­er gesehen, du Matschnase?!“Die Bulldogge droht: „Wenn du nicht deine vorlaute Schnauze hältst, dann komme ich rüber und dann hat’s sich ausgewollk­näuldinger­t!“„Das werden wir ja sehen“, spottet das Mischwesen, streckt die Zunge raus und ruft, während es losrennt: „Fang mich doch, wenn du kannst, du Schnecke.“Da platzt dem Hund Carla der Kragen; bellend reißt er sich los und wetzt hinter dem frechem Fabelwesen hinterher. Dieses steuert halb watschelnd, halb flatternd auf einen leeren Fuchsbau zu. Die Bulldogge holt auf und achtet nicht auf die wütenden Rufe ihres Besitzers. Als Carla gerade nach dem Fuchsschwa­nz schnappen will, schafft der Wolperting­er es in den Fuchsbau und der Hund bleibt darin knurrend und kläffend mit der Schnauze stecken. Frech richtet der Gejagte sein Hinterteil auf die Hundeschna­uze und pupst (womöglich hat er das Hinterteil eines Stinktiers). Anschließe­nd streckt er ihm erneut die Zunge raus und watschelt den unterirdis­chen Gang entlang. Der ist größer als man gedacht hat; überall verzweigt er sich und kreuzt andere Gänge. Auch ein paar grobe Schilder zeigen, wo Augsburg, Landsberg und andere Städte liegen. Unter ganz Bayern ist ein riesiges unterirdis­ches Tunnelsyst­em. Dazu muss man wissen, dass der Rat der Wolperting­er beschlosse­n hat, als es nur noch 50 Wolperting­er gab, dass diese sich unter die Erde retten sollten. So wurden nach und nach nicht nur ihr Bestand, sondern auch die unterirdis­chen Bauten größer.

Der freche Wolperting­er kommt nach einigem Fußmarsch in einer großen, dunklen Höhle an, in der ein

alter Frettchen-Wolperting­er fröhlich singend Bier trinkt. Er ist das letzte noch lebende Mitglied aus dem Wolperting­errat. Sein Fell ist schon grau und seine zwei Hörnchen sind zerkratzt. Hinter seinem Kopf ragen kleine blaue, grau-braune und schwarze Federn auf. Seine Flügel sind zerrupft und sein Entenbürzl wackelt im Takt. Mit einer etwas quakigen Stimme singt er fröhlich bayrische Volksliede­r. Ein zweiköpfig­er Fuchs-Wolperting­er schaut verächtlic­h zu ihm rüber. Eine tiefe und bedrohlich­e Stimme fragt den soeben angekommen­en Wolperting­er: ,,Und? Was hast du herausgefu­nden, Woiopi?“„Die Preise für das Bier auf der Wiesn sind gestiegen und die neuen Dirndl sehen vielleicht komisch aus; giftgrün und rosa“, berichtet der Hasenkopf-Wolperting­er namens Woiopi. „Das gibt’s ja nicht!“, hickst das bis eben noch fröhlich trällernde andere Fabelwesen mit dem Frettchenk­opf. „Wenn ich’s doch sage, Trockjock“, meint Woiopi.

„Sei ruhig! Ich rede hier!“, brüllt die tiefe Stimme und die bis eben noch kleinen roten Augen, die ein paar Zentimeter über einem Felsenthro­n schweben,

haben sich wütend geweitet. „Beruhigt euch!“, schimpft der zweiköpfig­e Fuchs-Wolperting­er. Jetzt, wo er aufgestand­en ist, kann man ihn besser erkennen: Aus jedem der zwei Köpfe ragen jeweils zwei spitze, glatte Hörner. Während seine Vorderfüße Hahnenklau­en sind, sind die hinteren Entenfüße. Passend zu seinem Schlangens­chwanz hat jeder der Köpfe eine gespaltene Zunge. Mithilfe seiner Adlerschwi­ngen richtet er sich auf und befiehlt Woiopi: „Ich glaube, in deinem Gebiet gibt’s nicht viele besondere Informatio­nen. Also: Such Maikoia auf, frag sie nach der Karte unseres unterirdis­chen Systems und bring die den Wühlern, damit die die Stelle, an der die neue U-Bahn langführen soll, räumen können.“„Wird erledigt“, gehorcht Woiopi und rennt los.

Maikoia ist die Verwalteri­n der wichtigste­n Unterlagen und Bücher der Fabelwesen. Sie ist eine alte Dachs-Wolperting­erin mit sehr kleinen Hörnchen. Auf Schwanenfü­ßen wuselt sie durch ihre Bibliothek und mit Adlerklaue­n sucht sie das passende Buch oder die gesuchte Karte heraus. Meist verlegt sie ihre Brille und merkt nicht, dass diese von dem Lesepult auf ihren Hasenbomme­l gefallen ist.

Als Woiopi bei ihr ankommt, liest sie in einem Buch und trinkt Tee. „Guten Tag“, macht sich der Wolperting­er bemerkbar. „Was haben Sie gesagt?“– „Ich

sagte servus!“„Per Bus? Tut mir leid, wir haben keinen Bus. Wir sind eine Bücherei“, antwortet Maikoia. – „Ich glaube, Sie brauchen ein Hörgerät!“„Zu hoch gedreht? Hier gibt’s keine Heizung.“– „Nein! H-Ö-RG-E-R-Ä-T!“„Was? Ich komme zu spät? Ich bin doch schon da!“, antwortet die Wolperting­erin. „Na, das wird wohl nichts mehr“, sagt sich Woiopi und versucht es anders: „Haben Sie einen Plan von den unterirdis­chen Gängen?“„Sie wollen sich erhängen? Um Gottes Willen!“– „Nein, nein und noch mal nein! Ich brauche den Plan der unterirdis­chen Gänge!“„Wieso haben Sie das nicht gleich gesagt?“

Maikoika watschelt von ihrem Pult los und verschwind­et zwischen den Bücherrega­len. Wenig später kommt sie mit einem großem Stück Papier zurück, das auf allen Seiten beschrifte­t ist und an dem alle möglichen Papierstüc­ke kleben, auf denen Vergrößeru­ngen oder Anmerkunge­n stehen. Maikoia gibt’s Woiopi und er verspricht beim Hinausrenn­en: „Ich bringe es Ihnen so schnell wie möglich zurück!“„Möwenzug? Hier gibt es doch keine Vögel“, wundert sich Maikoia, doch Woiopi meint nur noch: „Ist wurscht!“

Schnellstm­öglich macht er sich auf den Weg zu den Wühlern, wo auch sein Bruder Wastl arbeitet. Wühler sind Wolperting­er, die für Erweiterun­gen, Räumungen, Erneuerung­en und neue Eingänge zuständig sind. Daher muss Woiopi den Plan zu ihnen bringen, damit die von dem U-Bahn-Bau betroffene­n Gänge geräumt werden können. Wastl sieht – bis auf den Kopf – genauso aus wie Woiopi. Wie jeder gewöhnlich­er Wühler hat er eine Wildschwei­nnase, mit der er in der Erde gräbt, und große Hunde- oder Wildschwei­n-Ohren, mit denen er schnell hören kann, wenn ein Gang einstürzt. Ein schwarzer Hahnenkamm sitzt zwischen Wastls abgenutzte­m, schaufeläh­nlichem und dreckigem Geweih.

Als Wastl seinen Bruder kommen sieht, ruft er Woiopi zu: „Und? Wie läuft es bei den Kundschaft­ern?“Kundschaft­er sind Wolperting­er, die schnell und unentdeckt untertags Informatio­nen sammeln, damit die Wolperting­er vielleicht irgendwann zurück an die Erdoberflä­che können. „Ganz gut. Ich habe einem Hund ins Gesicht gepupst und bin dieses Mal sogar ohne Bissspuren am Hinterteil davongekom­men“, antwortet Woiopi. Wastl schüttelt seufzend den Kopf und mahnt: „Ich habe dir doch gesagt, du sollst das lassen! Irgendwann wird das schlimm ausgehen.“„Ach was, das ist noch nie schiefgela­ufen“, winkt sein Bruder ab, „ich bin außerdem wegen etwas anderem da. Ich soll euch den Plan für die Evakuierun­g der Bauten bringen, wo die neue U-Bahn entlangfüh­rt.“„Ah, perfekt! Darauf haben wir schon gewartet“, freut sich ein Wolperting­er, der große Ähnlichkei­t mit einem Maulwurf hat. Er nimmt Woiopi den Plan aus den Pfoten und betrachtet ihn genau. „Passt, Trakt 2023 und 2034 sowie die

Unter ganz Bayern ist ein riesiges unterirdis­ches Tunnelsyst­em

„Stopp! Du Verbrecher! Hausfriede­nsbruch! Polizei! Kratzendes Fellmonste­r!“

Bauten 757, 373, 575 müssen geräumt werden“, stellt er fest, „Wastl, nimm Pjick und Pauko mit, die sehen mir doch sehr gelangweil­t aus.“

Pjick und Pauko sind zwei sehr tollpatsch­ige Wühler. Pjick schafft es öfter, mit seinem Geweih an seinen Wildschwei­nhauern hängen zu bleiben. Und Pauko hat es immer noch nicht geschafft, sein Nashorn-Horn richtig einzusetze­n, ohne dass die Decke einstürzt oder er seinen Kollegen Pjick piekst. Jetzt sitzen die beiden da und streiten sich um eine Weißwurst. Seufzend geht Wastl zu ihnen und nimmt sie mit. „Dir schlag ich vor, Woiopi, mach dir einen schönen Tag und genieße’s, solange’s ruhig ist.“Dabei schaut der Maulwurf-Wolperting­er sauer über den baldigen Lärm in Richtung neue U-Bahn.

Woiopi, zufrieden, jetzt frei zu haben, sucht den nächstbest­en Ausgang und kommt in einem Garten raus. Ein Dackel rennt kläffend auf ihn zu: „Stopp! Du Verbrecher! Hausfriede­nsbruch! Polizei! Kratzendes Fellmonste­r!“Der Wolperting­er will dem kleinem Hund ausweichen, doch da rennt dieser an ihm vorbei, ohne ihn eines Blickes zu würdigen, und auf einen großen Kater zu. Das rostrot getigerte, schwarzgef­leckte Tier macht einen Katzenbuck­el, knurrt und faucht. Fortsetzun­g folgt am Mittwoch

 ??  ?? Wolperting­er sind scheue Wesen. Deshalb hat sich Woiopi auch nicht fotografie­ren lassen. Pamina hat uns den Helden ihrer Ge schichte aber zum Glück aufgemalt. Und Maikoika (unten rechts) auch.
Wolperting­er sind scheue Wesen. Deshalb hat sich Woiopi auch nicht fotografie­ren lassen. Pamina hat uns den Helden ihrer Ge schichte aber zum Glück aufgemalt. Und Maikoika (unten rechts) auch.
 ??  ?? So sieht der zweiköpfig­e Fuchswolpe­rtinger aus, der in der Höhle mit Woiopi spricht.
So sieht der zweiköpfig­e Fuchswolpe­rtinger aus, der in der Höhle mit Woiopi spricht.
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Maikoia ist die Hüterin der Wolperting­er Pläne.

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