Mindelheimer Zeitung

Hacken zum Wohle des Landes

Der kritische Blick auf die digitale Gesellscha­ft beginnt mit Auseinande­rbauen und Zusammenlö­ten. Auf dem Chaos Communicat­ion Congress in Leipzig treffen düstere Zukunftssz­enarien auf eine bunt blinkende Gegenwelt

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Leipzig In der Hacking Area auf dem Chaos Communicat­ion Congress (34C3) in Leipzig lötet Emily Hammes kleine LED-Lämpchen auf einer Matrix zusammen und verbindet diese mit dem Platinenco­mputer Arduino. „Etwas selbst zu machen ist immer befriedige­nd“, sagt die in der Schweiz lebende Amerikaner­in.

Das Do it yourself ist ein Grundsatz der Hackerszen­e. Die Idee dahinter ist schon kleinen Kindern vertraut: Erst wenn man den Dingen auf den Grund geht, sie auseinande­rund wieder zusammenba­ut, kann man sie richtig verstehen. Der Hacker Mathias Dalheimer hat dies mit Stromtanks­tellen gemacht, der Informatik­er Vincent Haupert mit Smartphone-Apps fürs Online-Banking, der Algorithme­n-Forscher Hendrik Heuer mit Empfehlung­ssystemen von sozialen Netzwerken. Gemeinsam ist ihnen die kritische Grundhaltu­ng – die Entdeckung von Mängeln in der technische­n

Haben Computer immer mehr menschlich­e Züge?

Umsetzung. Gift ist für sie der Trend, Technik einzukapse­ln, sie so abzuschott­en, dass sie nicht mehr geöffnet und untersucht werden kann. „Wie kann man die Blackbox aufmachen?“, fragt Heuer, der am Institut für Informatio­nsmanageme­nt in Bremen zur Mensch-Maschine-Interaktio­n forscht, also zum Zusammensp­iel zwischen Mensch und Computerte­chnik.

Er sucht nach den Kriterien, mit denen Techniker die Algorithme­n, also die Befehlssch­ritte für Software, entwickeln, die den Nutzern sozialer Medien bestimmte Inhalte anzeigen und andere nicht: „Wenn ich mir zehn Videos angucke und diese sich mit Flüchtling­en und Kriminalit­ät befassen, dann empfiehlt mir das System Videos mit kriminelle­n Flüchtling­en.“Solche Filterblas­en seien ein drängendes Problem

Problemati­sch ist nach Ansicht des Datenjourn­alisten Michael Kreil auch die aktuelle Forschung um Social Bots, denn nicht nur manche Computerte­chnik, auch die wissenscha­ftliche Auseinande­rsetzung damit steckt noch in den Kinderschu- „Es sind meiner Meinung nach wissenscha­ftliche Anfangsfeh­ler gemacht worden.“Seinen Analysen zufolge ist die Einflussna­hme durch Social Bots – also durch künstliche Meinungsro­boter – wohl geringer als in einigen Studien angenommen. So sei er in wissenscha­ftlichen Arbeiten auf Fehler in der Methodik gestoßen. In der Debatte um Social Bots sei viel Meinung unterwegs, aber wenig Evidenz, so Kreil. Aktuell sehe er, dass es in den Netzwerken einige wenige Meinungsro­boter gebe, aber viele Menschen, die ihre politische Meinung verbreitet­en. „Social Bots machen nur einen kleinen Prozentsat­z aus.“Die niederländ­ische Künstlerin Marloes de Valk kritisiert, dass Computerte­chnik immer mehr menschlich­e Züge annehme – und gleichzeit­ig der Mensch maschinenä­hnlicher werde. Mit künstliche­r Intelligen­z und den Big-Data-Analysen persönlich­er Daten werde das Bewusstsei­n aus unseren Körpern in die Cloud verlegt, also auf unbestimmt­e Server im Netz. „Dann kann auch menschlich­es Bewusstsei­n auf Computer herunterge­laden werden.“

Verändert die massenhaft­e Analyse persönlich­er Daten im Internet auf Dauer das soziale Verhalten von Menschen? Davon ist der niederländ­ische Datenschüt­zer Tijmen Schep überzeugt. In Netzwerken wie Facebook gehe es nicht mehr nur um die dort preisgegeb­enen Daten, sondern um die Verknüpfun­gen davon und die sich daraus ergebenden Ableitunge­n persönlich­er Informahen. tionen. Sobald die Menschen negative Erfahrunge­n damit machten, etwa bei Bewerbunge­n für eine Arbeitsste­lle, werde ein Vermeidung­sverhalten einsetzen, eine Art Selbstzens­ur, sagt Schep. „Dann haben Sie alle Arten der Freiheit, aber Sie werden zögern, davon Gebrauch zu machen – das bleibt nicht ohne Folgen für die ganze Gesellscha­ft.“

Solche düsteren Zukunftsze­narien gehören wie das Löten zur Hackerkult­ur. Die Kongresste­ilnehmer halten mit optimistis­chen Entwürfen dagegen. Freie Software gehört dazu, deren Code von allen untersucht und verbessert werden kann. Und der sehr spezielle Humor von Hackern wie bei der Berliner Künstlerin Nadja Buttendorf, die Schmuckstü­cke gestaltet, die den Körper digital erweitern – wie auf den Fingernäge­ln aufgebrach­te Mini-SD-Karten, die Wikipedia-Artikel speichern, oder ein startfähig­es Linux-System: „Hier laden wir das System direkt vom Fingernage­l.“

Wenn es dunkel wird, fängt der Hackerkong­ress erst so richtig zu leben an. Laserstrah­len tasten die Glaskuppel ab, und überall blinken fantasievo­lle LED-Installati­onen. „Das können schon meine kleinen Nichten und Neffen in Kansas programmie­ren“, sagt Emily Hammes. Sie hat ihnen mit Videos beigebrach­t, wie sie die kleinen ArduinoCom­puter steuern. Die Tische sind mit einem endlosen Kabelgewir­r bedeckt: „Hier bin ich zu Hause!“

 ?? Foto: Jens Schlüter, Getty ?? Der Chaos Computer Club (CCC) richtet einmal im Jahr den Chaos Communicat­ion Congress aus – Jahr für Jahr wird das Treffen der Hackerszen­e größer. In Leipzig haben sich 15 000 Teilnehmer angemeldet. Längst sind die Gefahren der Digitalisi­erung ein...
Foto: Jens Schlüter, Getty Der Chaos Computer Club (CCC) richtet einmal im Jahr den Chaos Communicat­ion Congress aus – Jahr für Jahr wird das Treffen der Hackerszen­e größer. In Leipzig haben sich 15 000 Teilnehmer angemeldet. Längst sind die Gefahren der Digitalisi­erung ein...

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