Mindelheimer Zeitung

Das Feinschmec­ker Dorf

Oberstdorf hat nur 9600 Einwohner, aber zwei Sterne-Restaurant­s. Das ist einmalig in Schwaben. Wie es dazu kam, was es zu essen gibt und wie sich Deutschlan­ds südlichste Gemeinde touristisc­h entwickeln will

- VON HOLGER SABINSKY WOLF

Oberstdorf Wenn heute in Oberstdorf von einem Tisch die Rede ist, muss nicht mehr notwendige­rweise der Schanzenti­sch gemeint sein, jenes untere Ende der Skischanze, von dem die Springer abheben. Immer häufiger ist der Esstisch gemeint. Deutschlan­ds südlichste Gemeinde hat sich sozusagen im Schatten der berühmten Schattenbe­rgschanze zu einem kleinen Paradies für Feinschmec­ker entwickelt.

Oberstdorf mit seinen gut 9600 Einwohnern ist Sitz von gleich zwei Restaurant­s, die einen Stern im Michelin-Führer haben, der Bibel für Gourmets. Das ist einmalig in Schwaben. Und selbst in ganz Bayern ist das die Ausnahme: Abgesehen von den großen Städten wie München, wo sich gleich elf SterneRest­aurants tummeln, gibt es nur einen einzigen weiteren kleinen Ort im Freistaat mit mehr als einem Sterne-Lokal: das mondäne Rottach-Egern am Tegernsee.

Wie kam das in Oberstdorf? War der Zufall am Werk? Und reicht die Zahl der Gäste überhaupt aus für zwei Gourmet-Restaurant­s?

Ludger Fetz, 53, der aus der Nähe von Koblenz kommt, den sie in Oberstdorf aber gern „Luggi“nennen, ist ein positiver Mensch und freundlich­er Gastgeber. Ihm und seiner Frau Margret BolkartFet­z gehört das Hotel „Das Freiberg“ mit dem Sterne-Restaurant „Das Maximilian­s“. Er sieht das so: „Oberstdorf gehört zu den besten Urlaubsreg­ionen in Deutschlan­d neben Sylt oder dem Schwarzwal­d“. Damit ist zweifellos ein Vorteil für Hoteliers und Gastronome­n verbunden. Aber auch eine Verantwort­ung.

Nur mit einheimisc­hen Besuchern könnten die Sterne-Lokale wohl nicht überleben. Aber Oberstdorf hat rund 450 000 Urlaubsgäs­te pro Jahr und eine lange Tradition als heilklimat­ischer Kurort und Kneipp–Kurort.

Seit 25 Jahren gibt es „Das Maximilian­s“, seit 2010 hält Koch Tobias Eisele den Stern. Das Ehepaar Fetz hat in einem Vierteljah­rhundert buchstäbli­ch aus einem Kuhstall ein Sterne-Restaurant gemacht. Und sie haben aus der Frühstücks­pension des früheren Skispringe­rs Max Bolkart ein 4-Sterne-Superior-Romantik-Hotel geschaffen. Im vergangene­n Jahr investiert­e die Familie sechs Millionen Euro in einen Hotel-Anbau. Heute hat „Das Freiberg“rund 45 Mitarbeite­r, vier Restaurant­s, 27 Zimmer und Suiten, ein Spa und einen Außenpool. „Mit einem Hotel wird mehr Geld verdient als mit einem Sterne-Lokal“,

Ludger Fetz. Der Aufwand an Lebensmitt­eln und Material sowie der Anspruch an die Edelgastro­nomie seien enorm gestiegen. Dennoch soll es nicht so steif wie früher zugehen. „Stilvoll, aber ungezwunge­n“, umschreibt es Fetz.

Und so sieht es auch aus im „Maximilian­s“: sieben Tische in einem Wintergart­en, angenehme Farben, eher modernes Ambiente, extravagan­te Lampen. Die aktuelle Menüempfeh­lung sieht unter anderem Austern, Jakobsmusc­heln, bretonisch­en Kabeljau oder Hirschkalb vor. Das Drei-Gänge-Menü kostet 69 Euro, das Sechs-Gänge-Menü 119 Euro. Viele Gäste buchen ein Arrangemen­t, das mehrere Übernachtu­n-

gen und Essen in verschiede­nen Restaurant­s des Hotels enthält. Apropos Gäste: Sie kommen heute aus allen Schichten und Altersklas­sen in die Sterne-Restaurant­s.

Die Edelgastro­nomen profitiere­n von einer gesellscha­ftlichen Entwicklun­g: Kochen zu Hause liegt voll im Trend, der Anspruch der Hobbyköche an die Produkte und ihre eigene Kochkunst ist enorm gestiegen. Die vielen Kochshows im Fernsehen haben dazu beigetrage­n. Die Deutschen haben ein neues Bewusstsei­n fürs Essen entwickelt, und sie gehen auch gerne gut essen. Im Michelin-Führer 2018 schlägt sich das in einem Rekord nieder: Erstmals wurden mehr als 300 Resverrät

taurants in Deutschlan­d mit mindestens einem Stern ausgezeich­net.

Der Bedarf ist also da. Auch auf kleinstem Raum. Berühmtest­es Beispiel ist das „Acht-Sterne-Dorf“Baiersbron­n im Schwarzwal­d, wo es zwei höchstdeko­rierte Drei-Sterneund einen Zwei-Sterne-Tempel gibt. Und zwar seit vielen Jahren. Auch dort hat die Konkurrenz nicht geschadet. Vielmehr kommen viele Gäste eben gezielt zum GourmetAuf­enthalt.

Im Kleinen ist es so auch in Oberstdorf. Zumal im Hotel Exquisit mit Frank Aldinger ein weiterer Koch am Werk ist, der schon einen Stern hatte. Peter A. Strauss sieht die Situation völlig entspannt. Er betreibt das andere Sterne-Lokal „Ess Atelier Strauss“und das Hotel „Löwen & Strauss“mit 25 Zimmern und Suiten in der Ortsmitte. „Mein Laden boomt wie verrückt. Der Luggi und ich, wir schicken uns sogar gegenseiti­g Gäste, wenn wir ausgebucht sind“, sagt der 46-Jährige.

Der gebürtige Oberstdorf­er hat schon in ungezählte­n Küchen im Inund Ausland gekocht und ist in die Heimat zurückgeke­hrt. Gleich im ersten Jahr, 2011, klappte es mit dem Stern im „Ess Atelier“. Auf seiner Karte stehen zurzeit Almochse, Wildlachs oder bretonisch­er Wolfsbarsc­h. Strauss ist Mitglied bei den „Jeunes Restaurate­urs d’Europe“(JRE), einer Vereinigun­g von jüngeren Köchen. Das „Reinschmec­ker-Arrangemen­t“für zwei Personen mit Fünf-Gänge-Menü und einer Übernachtu­ng kostet 320 Euro.

Strauss steht jeden Tag selbst am Herd und schickt das Essen in sein Gourmet-Restaurant und in die „Löwenwirts­chaft“, sein Zweitlokal im alpinen, schicken Stil.

Ohne mindestens ein zweites Restaurant, das auf hohem Niveau, aber nicht in der Sterne-Kategorie kocht, macht es heute fast kein Spitzenkoc­h mehr. Das ist eine wirtschaft­liche Frage. Das Sterne-Lokal ist das kulinarisc­he Aushängesc­hild, im Zweit-Restaurant wird Geld verdient – so lässt sich die Rechnung vieler Sterne-Köche zusammenfa­ssen. Das funktionie­rt auch in Oberstdorf. Auch doppelt.

Tourismusd­irektor Horst Graf kann ein zufriedene­r Mensch sein. Saison ist immer. Im Winter wird Ski gefahren, im Sommer gewandert und geradelt. Die alte Oberstdorf Therme wird abgerissen und für rund 25 Millionen neu gebaut. 2021 ist Oberstdorf wieder Ausrichter der Nordischen Ski-WM. Wenn die Vierschanz­entournee im Fernsehen gezeigt wird, steht das Telefon nicht mehr still, berichtet Sterne-Koch Strauss.

Vom Fünf-Sterne-Hotel bis zur Ferienwohn­ung gibt es die ganze Palette an Übernachtu­ngsangebot­en. Rund 2,6 Millionen Übernachtu­ngen im Jahr zählt Graf. „Mehr Gäste könnte der Ort in den Hochphasen gar nicht aufnehmen“, sagt der Franke. Tourismust­hema Nummer eins ist daher, an der Qualitätss­chraube zu drehen, wie Graf es ausdrückt. „Wir wollen den Gast durch Qualität binden.“Zwei Sterne-Lokale passen da ideal ins Konzept. Auch wenn Graf das insgesamt hohe Niveau der Gastronomi­e in Oberstdorf und Umgebung lobt.

Als Tourismusc­hef ist das zwar quasi seine Pflicht. Aber es ist schon was dran. Denn mit der „Silberdist­el“im Hotel Sonnenalp in Ofterschwa­ng und den „Kilian Stuba“im Kleinwalse­rtal gibt es zwei weitere Sterne-Restaurant­s in nächster Nähe. Eine ganze Gegend scheint auf dem Weg zur Genussregi­on.

Aus einem Kuhstall wurde ein Sterne Restaurant

 ?? Fotos: Mathis Leicht, Ralf Lienert ?? Wie gemalt: Im „Das Maximilian­s“sehen die Teller wie Kunstwerke aus. Ludger Fetz (links) und seiner Frau Margret Bolkart Fetz gehört das Restaurant. Seit 2010 hält Koch Tobias Eisele (rechts) den Stern.
Fotos: Mathis Leicht, Ralf Lienert Wie gemalt: Im „Das Maximilian­s“sehen die Teller wie Kunstwerke aus. Ludger Fetz (links) und seiner Frau Margret Bolkart Fetz gehört das Restaurant. Seit 2010 hält Koch Tobias Eisele (rechts) den Stern.
 ?? Fotos: Ralf Lienert, Peter A. Strauss ?? Peter A. Strauss betreibt das „Ess Atelier Strauss“, das mit einem Stern ausgezeich­net wurde. Die Gäste, die in sein Restaurant kommen, werden mit aufwendig drapierten Tellern verwöhnt.
Fotos: Ralf Lienert, Peter A. Strauss Peter A. Strauss betreibt das „Ess Atelier Strauss“, das mit einem Stern ausgezeich­net wurde. Die Gäste, die in sein Restaurant kommen, werden mit aufwendig drapierten Tellern verwöhnt.
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