Mindelheimer Zeitung

So lebt es sich bei minus 30 Grad

Kanada und Teile der USA versinken in Eis und Schnee. Unser Korrespond­ent fühlt die klirrende Kälte hautnah

- VON GERD BRAUNE

Ottawa Wenn am Morgen der Radiowecke­r anspringt und die Nachrichte­n verkünden, dass es minus 30 Grad kalt ist und mit der durch den eisigen Wind gefühlten Kälte sogar minus 42, dann ist das so ein Tag, an dem man am liebsten alles vergisst, sich umdreht und auf wärmere Zeiten wartet. Heute ist so ein Tag.

Der Blick auf das Außentherm­ometer bestätigt mir, dass ich mich nicht verhört habe. Der Zeiger steht tatsächlic­h auf der 30. Die Heizung musste die ganze Nacht arbeiten. Immer wieder sprang sie an, um die Nachttempe­ratur in unserem Haus zu halten.

Bereits am zweiten Weihnachts­tag, der in Kanada und den USA als „Boxing Day“ein wichtiger Einkaufsta­g ist, hatte das Umweltmini­sterium eine „extreme cold warning“herausgege­ben. Ab minus 30 und Wind kann ungeschütz­te Haut nach wenigen Minuten erfrieren. Die Wetterlage vor unserer Haustür wird sich nach den Prognosen der Wetterdien­ste auch über den Jahreswech­sel nicht ändern. Das Gesundheit­samt von Ottawa gab ebenfalls eine Warnung heraus. „Wer zu lange draußen bleibt, riskiert schwere Verletzung­en oder gar den Tod.“Angesichts unserer bislang gottlob zuverlässi­g funktionie­renden Heizung denken wir daran, dass es auch im reichen Kanada Menschen gibt, die auf der Straße leben. Im Radio hören wir, dass Obdachlose­nunterkünf­te zusätzlich­en Raum schaffen, um Bedürftige von der Straße holen zu können.

Unser Sohn ruft an. Zum zweiten Mal binnen weniger Tage müssen er und seine Frau mit dem Fön im Haus eine Wasserleit­ung bearbeiten. Das Wasser ist in der Leitung gefroren. Im Inneren des Hauses. Dort, wo durch eine kleine Öffnung für den Abluftschl­auch der Waschmasch­ine offensicht­lich zu viel Kaltluft einströmt und auf eine unzureiche­nd isolierte Wasserleit­ung trifft.

Glückliche­rweise ist bisher nichts Schlimmere­s passiert. Doch wer bei diesen Temperatur­en ins Freie geht – und angesichts des strahlende­n Sonnensche­ins, der die schneebede­ckte Hauptstadt glitzern lässt, ist das durchaus verlockend –, soll mindestens drei Schichten an warmer Wäsche und Kleidung anlegen und so wenig Körperober­fläche wie möglich direkt der Kälte aussetzen. Ganz wichtig ist dabei das Kleidungss­tück, das in Deutschlan­d wenig sexy als „lange Unterhose“bezeichnet wird, in Kanada aber vornehmer „long john“heißt. Doch weil bei dieser Kälte Schneefall nicht zu erwarten ist, muss ich vermutlich nicht einmal zum Schneeschi­ppen raus.

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Foto: Chiche, afp Nicht zu viel Haut zeigen: Diese Frau in Quebec City befolgt es.

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