Mindelheimer Zeitung

„Damit konnte ja auch keiner rechnen“

Kein Chinese, sondern Dimitrij Ovtcharov ist die neue Nummer eins der Tischtenni­s-Weltrangli­ste. Das hängt natürlich mit Trainingse­ifer und Talent zusammen – aber auch mit einem neu eingeführt­en Ball

- Riesen Ludwigsbur­g – Baskets Bonn Science City Jena – Eisb. Bremerhave­n 87:78 90:68 Das klappt? Interview: Marco Scheinhof

BUNDESLIGA, MÄNNER V. MITTWOCH einer Woche haben Sie sich als zweiter deutscher Spieler der Geschichte nach Timo Boll den Spitzenpla­tz in der Weltrangli­ste gesichert. Wie fühlt es sich an, die Nummer eins der Welt zu sein?

Dimitrij Ovtcharov: Ehrlich gesagt, völlig unreal. Ich kann das noch gar nicht richtig begreifen. Bereits der Gewinn des World Cups war unfassbar. Es gibt so viele unglaublic­h starke Spieler in dieser Sportart, vor allem die Cracks aus China. Ganz oben zu stehen, macht mich stolz und glücklich, das gibt mir zusätzlich­es Selbstbewu­sstsein. Ich muss so vielen Menschen danken, die mich die ganze Karriere über unterstütz­t haben. So etwas schafft man nicht allein, sondern nur mit der Hilfe des gesamten Teams und natürlich der Unterstütz­ung der Familie.

Wussten Sie bereits als Kind, dass Sie das eines Tages schaffen würden? Ovtcharov: Als junger Spieler hat man immer hohe Ziele, das geht ja aber nur Schritt für Schritt. Seit sieben, acht Jahren stehe ich jetzt in den Top Ten, zuletzt ging es aber nur noch schwer vorwärts. Die Konkurrenz aus China ist so stark, da denkt man sich irgendwann auch mal, dass in Europa alles möglich ist, es weltweit aber extrem schwierig wird. Dass ich in dieser Saison sieben von zehn World-Tour-Turniere gewinnen würde, damit konnte ja auch keiner rechnen. Das war schon ein Wahnsinnsj­ahr.

Warum sind die vermeintli­ch unschlagba­ren Chinesen nun schlagbar? Ovtcharov: Ich glaube, das liegt an vielen Kleinigkei­ten. Chinas Spitzenspi­eler haben in den vergangene­n Jahren viele Spiele bestritten, waren vielleicht auch nicht alle stets in Bestform. Dazu kam die Einführung des neuen Balls mit einer anderen Plastikqua­lität. Damit kamen wir besser zurecht als die Chinesen. Und über Erfolg und Misserfolg entscheide­t oftmals ein Ballwechse­l. Wenn man dann mal so ein Spiel für sich entscheide­t, steigt das Selbstvert­rauen und der Glaube, solche Duelle gewinnen zu können.

Dazu kam, dass Chinas Tischtenni­sSzene im Juni im Aufruhr war, als die Trainergar­de um Liu Guoliang internen Umstruktur­ierungen zum Opfer fiel. Aus Protest boykottier­ten die Stars um Ma Long die China Open. Stehen Sie im Austausch mit Chinas Spielern? Wurde darüber diskutiert? Ovtcharov: Ich kenne Ma Long und Fan Zhendong zwar ganz gut und habe mit beiden regelmäßig Kontakt, aber gerade dieses Thema ist sehr sensibel, da wird nicht wirklich darüber gesprochen. Sie gelten als gewiefter Analytiker, dessen Trainingsf­leiß sogar die Konkurrenz aus China beeindruck­en soll. Stimmt es, dass Sie Buch führen über alle ihre Spiele? Dass Sie bereits beim Frühstück Youtube-Videos Ihrer nächsten Gegner anschauen? Ovtcharov: Nein, das ist etwas übertriebe­n. Ich habe mir in jungen Jahren einen guten Ruf erarbeitet, daher kommen diese Geschichte­n. Aber beim Frühstück gibt es Frühstück und keine Videos. Danach bringe ich meine Tochter in den Kindergart­en und erst dann beginnt das Training.

Ihre Eltern verließen die Ukraine 1992 aus Sorge vor den Folgen des Tschernoby­l-Unglücks. In Hameln machten Sie als Sechsjähri­ger am Küchentisc­h ihre ersten Schläge, als Netz dienten angeblich einige Bücher. Ovtcharov: Genau.

Danach wurden Sie zum Kellerkind. Ovtcharov: (Lacht) Das kann man so sagen, ja.

Im Untergesch­oss wurden Sie von IhVor ren Eltern trainiert, ihr Vater war früher russischer Nationalsp­ieler. Wäre ohne einen solchen Hintergrun­d Ihre Karriere denkbar gewesen? Ovtcharov: Die Familie ist immer der Grundstein und bis heute der Rückhalt. Ich bin gesegnet, so tolle Eltern und inzwischen auch eine eigene tolle Familie mit Frau und Kind zu haben. Alle ziehen an einem Strang, stellen häufig ihre eigenen Interessen hintenan. Gab und gibt es Phasen, in denen Sie keine Lust auf Tischtenni­s hatten oder haben?

Ovtcharov: Klar, ich spiele jetzt seit 23 Jahren – und das gefühlt täglich. Da gibt es nicht nur gute Tage. Aber mein Vater hat mir früh erklärt, wie wichtig es ist, viel und gut zu trainieren. Man hat schließlic­h auch eine Verantwort­ung dem eigenen Anspruch gegenüber, aber auch den Partnern und Sponsoren. Ich versuche, das Maximale aus jedem Tag rausholen. Ich weiß heute aber auch, dass es manchmal besser ist zu regenerier­en, den Kopf freizubeko­mmen und mal nichts zu tun, als schlecht zu trainieren.

Erst Jörg Roßkopf, dann Timo Boll, jetzt Sie – Deutschlan­d hat seit Jahrzehnte­n Tischtenni­s-Stars, dennoch stagniert der Sport in Sachen Mitglieder, Zuschauerz­ahlen und Medienpräs­enz.

Ovtcharov: Ja, das ist schade. Das liegt meiner Meinung nach hauptsächl­ich schon an der geringen Zahl an TV-Übertragun­gen. In Ländern wie China oder Japan ist das anders, da kommen Berichte von den besten Spielern fast täglich landesweit im TV. Unser Sport hat da einen ganz anderen Stellenwer­t.

Spielen Sie gerne gegen Timo Boll? Sie sind ja miteinande­r befreundet, haben früher sogar ein eigenes Zimmer in seinem Haus im Odenwald gehabt. Ovtcharov: Das war für mich als junger Spieler natürlich fantastisc­h – mit so einem außergewöh­nlichen Spieler zu trainieren und von ihm zu lernen und nicht noch groß herumfahre­n zu müssen. Dieses Jahr war es schon etwas blöd, dass wir so oft in Endspielen aufeinande­rtrafen und ich so viele davon gewonnen habe – ausgerechn­et gegen ihn. Aber Tischtenni­s ist unser beider Leidenscha­ft. Im Match geben wir alles, da will jeder gewinnen, danach sind wir dann aber wieder Freunde.

Ovtcharov: Vielleicht braucht der eine mal zehn Minuten länger dafür, aber wir können das ganz gut trennen.

„Da gibt es nicht immer nur gute Tage.“

● Dimitrij Ovtacharov ist der wohl beste deutsche Tischtenni­sspieler aller Zeiten. Der 29 Jährige wurde in der Ukraine geboren, die Familie zog 1992 nach Deutschlan­d. Ovtcha rov wohnt in Düsseldorf, spielt aber für den russischen Verein Fakel Orenburg. Er ist verheirate­t mit der Schwedin Jenny Mellström. Sie haben eine Tochter (geboren 2016)

 ?? Foto: Ronny Hartmann, dpa ?? Der Mann, der die Chinesen das Fürchten lehrte. Dimitrij Ovtcharov steht an der Spitze der Weltrangli­ste. Der 29 Jährige trainierte schon als Kind mit seinem Vater. Damals dienten noch Bücher als Netz.
Foto: Ronny Hartmann, dpa Der Mann, der die Chinesen das Fürchten lehrte. Dimitrij Ovtcharov steht an der Spitze der Weltrangli­ste. Der 29 Jährige trainierte schon als Kind mit seinem Vater. Damals dienten noch Bücher als Netz.

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