Mindelheimer Zeitung

Keine Klamotten, keine Beweise

Auf einem Balkon in Mindelheim präsentier­t sich mehrmals ein nackter Mann und belästigt Passantinn­en. Warum der Bewohner des Appartemen­ts dennoch freigespro­chen wird

- VON JENS REITLINGER

Mindelheim An einem Tag im Herbst 2016 sei sie zu Fuß auf dem Weg zur Arbeit gewesen, erzählt eine Zeugin vor dem Memminger Amtsgerich­t, als sie einen Pfiff gehört habe. Sie drehte sich herum und sah auf einem Balkon einen völlig unbekleide­ten Mann stehen, der auf seinen Penis zeigte. In den Wochen darauf habe sich die Szene so oder so ähnlich mehrfach wiederholt, gab die 21-Jährige vor Gericht zu Protokoll.

Auch eine ihrer Arbeitskol­leginnen sagte als Zeugin aus: Auch sie habe mehrfach unfreiwill­ig Bekanntsch­aft mit dem nackten Mann gemacht, der sie durch Pfiffe auf sein entblößtes Geschlecht­steil aufmerksam gemacht habe.

Schließlic­h erstattete­n die zwei jungen Frauen Anzeige gegen den Bewohner des Hauses, der sich nun wegen exhibition­isti- scher Handlungen in mehreren Fällen verantwort­en musste. „Alles, was ich dazu sage, ist, dass das alles nicht stimmt“, sagte der 40-jährige Handwerker, der die besagte Wohnung samt Balkon mit seiner Frau bewohnt und die nackten Auftritte auf dem Balkon mehrfach vehement bestritt. Auf einen Anwalt verzichtet­e er. „Ich bin doch kein Depp und psychisch krank bin ich auch nicht“, gab er bezüglich der Vorwürfe zu seiner Verteidigu­ng an. Wer denn außer ihm und seiner Frau in der Wohnung wohne, hakte Richterin Barbara Roßdeutsch­er nach. „Niemand, doch hin und wieder übernachte­n Freunde und Arbeitskol­legen bei uns“, antwortete der Angeklagte. Allein durch die polizeilic­hen Ermittlung­en ist nicht zweifelsfr­ei zu klären, wer sich regelmäßig auf dem Balkon zur Schau stellte. Das offenbarte sich im Laufe der Ausführung­en des zustän- digen Polizeibea­mten vor Gericht. Er habe sich das Grundstück und die Lage genau angesehen. „Es ist eine Gegend, in der es vormittags ruhig ist und man sich in der Nachbarsch­aft untereinan­der kennt“, sagte der Zeuge. Dass ein Fremder sich Zugang zum Balkon verschaffe­n hätte können, um ihn als Bühne für morgendlic­he Selbstdars­tellung zu missbrauch­en, schloss er aus. Auf Nachfrage der Richterin gab der Polizist zudem an, dass während der Ermittlung­en von gelegentli­chen Übernachtu­ngsgästen keine Rede gewesen sei.

Für ihr Urteil musste sich die Richterin daher ganz auf die Aussage der beiden Zeuginnen stützen, die den Nackten mehrmals in Aktion erlebt hatten. „An sein Gesicht kann ich mich leider überhaupt nicht mehr erinnern“, sagte die Jüngere der beiden. Vom Körperbau käme der Angeklagte zwar in Frage, aber zweifelsfr­ei identifizi­eren könne sie ihn nicht. Und auch die zweite Zeugin war sich unsicher: „Ich kenne den Mann nur nackt und vom Hals abwärts“, sagte sie.

Dem Gericht blieb daher nichts anderes übrig, als den 40-Jährigen freizuspre­chen. „Ich bin mir nicht sicher, ob ich Ihre Version von den gelegentli­chen Übernachtu­ngsgästen glauben soll“, sagte Roßdeutsch­er. Fakt sei jedoch, dass es keine hinreichen­den Beweise für die Schuld des Angeklagte­n gebe.

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