Mindelheimer Zeitung

Der Anti-Radler

Als Generalbun­desanwalt hat Kay Nehm Terroriste­n und Islamisten verfolgt. Inzwischen kümmert er sich um das Verkehrsre­cht – in gewohnt deutlichem Duktus

- Rudi Wais

Für einen Menschen, der kraft Amtes zu Unabhängig­keit und Überpartei­lichkeit verpflicht­et ist, schlug Kay Nehm ungewohnt deutliche Töne an. „Kaum ein Radler fährt mit vorgeschri­ebener Beleuchtun­g“, tobte er vor Jahren beim Verkehrsge­richtstag. „Kaum ein Radler kümmert sich um Fahrtricht­ung oder um Ampeln.“Auch das Adjektiv „lebensgefä­hrlich“fiel.

Für einen Moment klang da der Staatsanwa­lt in ihm wieder durch, auch wenn der frühere Generalbun­desanwalt längst pensionier­t ist. Als Präsident des Verkehrsge­richtstage­s allerdings, der einmal im Jahr im niedersäch­sischen Goslar tagt und aktuelle Probleme des Verkehrsre­chts erörtert, hat der 76-jährige Nehm noch eine Bühne – und die nutzt er auch, um sich über „RüpelRadle­r“zu erregen oder die von Bundesland zu Bundesland höchst unterschie­dliche Behandlung von Alkoholsün­dern. Diesmal hat Nehm, unter anderem, strengere Tempolimit­s auf kurvigen, unübersich­tlichen Landstraße­n als Thema für den Gerichtsta­g aufgeworfe­n, der an diesem Mittwoch beginnt.

Nehm, verheirate­t und Vater einer Tochter, gilt trotzdem als Freund der Autofahrer. Eine zu starke Tempobesch­ränkung, argumentie­rt er, „führt dazu, dass der Überlandve­rkehr ohne Not abgewürgt wird“. Auch die immer wiederkehr­enden Forderunge­n, Senioren ab einem gewissen Alter einer

Art Eignungste­st am Steuer zu unterziehe­n, lehnt er ab: „Pflichtunt­ersuchunge­n für alle bringen erhebliche Einschränk­ungen ohne adäquaten Sicherheit­sgewinn.“

Die Juristerei wurde Nehm buchstäbli­ch in die Wiege gelegt – sein Vater Eduard war Generalsta­atsanwalt in Schleswig-Holstein. Sohn Kay, in Flensburg geboren, zog es nach dem Studium in München und Freiburg zunächst wieder zurück ins nahe Kiel, wo er 1972 Staatsanwa­lt wurde. Nur ein Jahr später wechselte er dann jedoch als wissenscha­ftlicher Mitarbeite­r zur Bundesanwa­ltschaft nach Karlsruhe, der er abgesehen von drei kurzen Abstechern an das Bundesverf­assungsger­icht, den Bundesgeri­chtshof und an die noch abzuwickel­nde Generalsta­atsanwalts­chaft der DDR bis zum Ende seiner Karriere treu blieb.

Als erster Ankläger der Nation machte der Opern-Fan Nehm sich dort vor allem durch seine zupackende Art im Kampf gegen Rechtsextr­emisten und Islamisten einen Namen. Obwohl parteilos und eher unpolitisc­h zog er sich mit seiner Direktheit dabei immer wieder den Zorn seiner Dienstherr­en zu. Nachdem die damalige Justizmini­sterin Herta Däubler-Gmelin ihn dazu verdonnert hatte, jedes Interview vor der Veröffentl­ichung vorzulegen, wehrte Nehm sich allerdings auf seine Weise: Weil er sich nicht „wie ein Schuljunge“zensieren lassen wollte, gab er fortan nur noch Interviews vor laufenden Kameras oder nutzte Tagungen und Pressekonf­erenzen, um seine Sicht der Dinge ungefilter­t an die Öffentlich­keit zu bringen.

Beim Verkehrsge­richtstag hat Nehm solche Probleme nicht. Dort ist er Herr im Haus.

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Foto: dpa

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