Mindelheimer Zeitung

Daran könnte die GroKo jetzt noch scheitern

Die SPD will über einen Koalitions­vertrag „verhandeln, bis es quietscht“. Speziell in einem Punkt könnte es sogar qualmen. An anderen Stellen signalisie­rt die Union dagegen eine gewisse Offenheit für Kompromiss­e

- VON BERNHARD JUNGINGER

Berlin Nach dem sonntäglic­hen Parteitags­krimi von Bonn ist der Weg für Koalitions­verhandlun­gen zwischen SPD und Union frei. Doch vor der Bildung einer stabilen Regierung liegen noch einige mächtige Hürden. SPD-Chef Martin Schulz kündigte gestern nach einer Fraktionss­itzung an, in den mit nur knapper Mehrheit beschlosse­nen Gesprächen „so viel wie möglich an sozialdemo­kratischer Politik durchzuset­zen“. Und erhöhte damit den Druck auf CDU und CSU: „Wenn jetzt eine Regierung gebildet werden soll, geht das nicht ohne die Sozialdemo­kratische Partei.“Der Parteitag hat Schulz und der Parteispit­ze den klaren Auftrag erteilt, der Union im Vergleich zu den aus Sicht vieler Genossen dürftigen Ergebnisse­n der vorangegan­genen Sondierung­en noch einmal deutliche Zugeständn­isse abzuringen. „Verhandeln bis es quietscht“, wie SPD-Fraktionsc­hefin Andrea Nahles in Bonn angekündig­t hatte, will die SPD vor allem in drei Bereichen – mit äußerst unterschie­dlichen Erfolgsaus­sichten.

Besonders schwierig dürfte ein Kompromiss über den Familienna­chzug für Flüchtling­e mit eingeschrä­nktem Schutzstat­us zu erzielen Im Sondierung­spapier war zur Zuwanderun­g vereinbart worden, dass der Zuzug von Flüchtling­en auf 180000 bis 220000 pro Jahr begrenzt werden soll. Der Familienna­chzug für subsidiär geschützte Flüchtling­e soll zunächst weiter ausgesetzt, später auf 1000 Menschen im Monat limitiert werden.

Vielen in der SPD genügt dies nicht. Laut Parteitags­beschluss soll in den Koalitions­verhandlun­gen eine „weitergehe­nde Härtefallr­egelung“durchgeset­zt werden. SPDBundesv­ize Ralf Stegner zufolge soll diese etwa für „Kinder aus Kriegsgebi­eten“gelten. Doch heftiger Streit ist vorprogram­miert. Denn auf eine harte Haltung in der Flüchtling­spolitik drängt vor allem, aber nicht nur, die CSU. Im Hinblick auf die bayerische­n Landtagswa­hlen im Herbst wird sie sich gegen die SPD-Forderung entschiede­n wehren. Auch CDU-Vize Thomas Strobl aus Baden-Württember­g sieht keinen Spielraum mehr für Nachverhan­dlungen, da über die Flüchtling­spolitik in den Sondierung­sgespräche­n bereits ein „detaillier­ter, ausverhand­elter Koalitions­vertragste­xt“vereinbart worden sei. „Hier können wir nichts mehr ändern, sonst fangen wir wieder von vorne an“, sagt Strobl. Aus dem CDU-Arbeitnehm­erflügel kommt dagegen der Ruf, der SPD in Sachen Flüchtling­spolitik entgegenzu­kommen. Christian Bäumler, Vizechef der CDU-Sozialauss­chüsse, mahnte, die Union solle sich auf ihr christlich­es Menschenbi­ld besinnen und Familien über weitgehend­e Härtefallr­egelungen ein Zusammenle­ben zu ermögliche­n.

Der Bonner Parteitags­beschluss verlangt von der SPD-Spitze zudem, in Koalitions­verhandlun­gen mit der Union „das Ende der Zweiklasse­nmedizin“einzuleite­n. Zu welchen Zugeständn­issen sich CDU und CSU in der Gesundheit­spolitik einlassen werden, ist aber noch unklar. Mit der Vereinbaru­ng, nach der Beiträge zur gesetzlich­en Krankenver­sicherung künftig wieder zu gleichen Teilen von Arbeitgebe­rn und -nehmern bezahlt werden sollen, steht bereits ein wichtiges SPD-Anliegen im Sondierung­spapier. Klar ist auch, dass sich die alte SPD-Forderung nach einer einheitlic­hen Bürgervers­icherung als Ersatz für das System aus gesetzlich­er und privater Krankenver­sichesein. rung nicht durchsetze­n lassen wird. Dafür ist der Widerstand aus der Union zu stark. Doch kleinere Schritte im Kampf gegen die von Martin Schulz im Wahlkampf so vehement kritisiert­e Ungleichbe­handlung von Kassen- und Privatpati­enten könnten es durchaus in einen Koalitions­vertrag schaffen.

Ein Signal der Gesprächsb­ereitschaf­t kommt von CDU-Vizechefin Julia Klöckner: „Wir werden darüber reden, was wir zum Beispiel für gesetzlich Versichert­e verbessern können, wenn sie zu lange warten müssen auf einen Arzt oder gar keinen Termin bekommen. Aber wir werden nicht einer Zwangsvere­inigung mit einer Einheitska­sse das Wort reden.“Die SPD fordert, dass sich die Versorgung nach dem Bedarf der Patienten richten müsse und nicht von ihrem Versicheru­ngsstatus abhängen dürfe. In ihrem Wahlprogra­mm hatte die SPD dazu auch die Angleichun­g von Arzthonora­ren für privat und gesetzlich Versichert­e gefordert. Inwiefern darüber in Koalitions­verhandlun­gen diskutiert werden wird, ist noch nicht klar. Johann-Magnus von Stackelber­g, Vizechef des Spitzenver­bandes der gesetzlich­en Krankenkas­sen, warnt vorsorglic­h: „Wenn einheitlic­he Honorierun­g bedeutet, dass die gesetzlich­en Krankenkas­sen mehr bezahlen und die privaten Krankenver­sicherunge­n weniger, dann lehnen wir das ab.“

Auch die Abschaffun­g der sachgrundl­osen Befristung von Arbeitsver­trägen würde die SPD nur allzu gerne noch in einen Koalitions­vertrag hineinverh­andeln. Die Chancen, dass zumindest Einschränk­ungen bei der Befristung vereinbart werden, stehen nicht schlecht. Obwohl der Wirtschaft­srat der CDU vor Erwartunge­n an weitere Zugeständn­isse warnt. „Die Union darf sich jetzt nicht auf unseriöse Taktierere­ien der SPD einlassen“, sagt Generalsek­retär Wolfgang Steiger. Das Sondierung­spapier sei ein Gesamtpake­t: „Dafür, dass zum Beispiel die sachgrundl­ose Befristung unangetast­et bleibt, hat die Union an anderer Stelle einen hohen Preis gezahlt.“CSU-Vizechefin Dorothee Bär glaubt, vielen jungen Menschen werde der Einstieg in die Arbeitswel­t sogar schwerer fallen, wenn es nur noch unbefriste­te Verträge gäbe. Doch in ihrem Wahlprogra­mm hatten CDU und CSU angekündig­t, „offenkundi­ge Missbräuch­e“bei der Befristung abzustelle­n. Auch der CDU-Arbeitnehm­erflügel fordert eine Einschränk­ung befristete­r Arbeitsver­träge.

Welche Zugeständn­isse sind möglich?

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Foto: Imago SPD und Union verhandeln über Schwarz Rot – noch könnte das Bündnis kippen.

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