Mindelheimer Zeitung

Nervensäge oder großer Stratege?

Alexander Dobrindt hat Spaß an seiner Rolle als Krawallmac­her. Für die Große Koalition wird der CSU-Politiker damit zum Risiko. Aber dem bürgerlich­en Revoluzzer geht es ohnehin um etwas anderes

- VON MICHAEL STIFTER msti@augsburger allgemeine.de

Alexander Dobrindt geht nicht nur dem politische­n Gegner auf die Nerven, sondern bisweilen sogar den eigenen Leuten. Egal, ob er mit den Grünen und der FDP über Jamaika verhandelt oder mit der SPD über eine Große Koalition: Immer wieder reizt der CSU-Politiker seine Kontrahent­en bis aufs Blut – manchmal hinter verschloss­enen Türen, manchmal vor laufenden Kameras. Nur was bezweckt der 47-Jährige mit diesem rabiaten Stil? Provoziert er absichtlic­h ein Scheitern der Koalitions­gespräche? Bastelt er an der eigenen Karriere?

Zumindest eines hat er erreicht, seit er im Herbst CSU-Landesgrup­penchef wurde: Man spricht über ihn – zwar eher selten positiv, aber immerhin. Mit seinen gezielten Attacken macht er sich ganz bewusst selbst zur Zielscheib­e. Dass SPD-Fraktionsc­hefin Andrea Nahles ihn in ihrer wütenden Parteitags­rede namentlich erwähnt („der blöde Dobrindt“), zeigt, dass er auf dem richtigen Weg ist – zumindest aus seiner eigenen Sicht.

Der Oberbayer gefällt sich in der Rolle als Lieblingsf­eind von Grünen und Sozis. Zum Jahresauft­akt sagt er ihnen den Kampf an und inszeniert sich als Anwalt der angeblich schweigend­en bürgerlich­en Mehrheit. Nun ist es objektiv gesehen zwar Unsinn, dass diese Mehrheit „im linken Meinungsma­instream nicht vorkommt“, wie Dobrindt behauptet. Schließlic­h betonen die politische­n Phrasendre­schmaschin­en fast aller Lager doch seit Jahren, dass man die besorgten Bürger und enttäuscht­en Konservati­ven ernst nehmen muss. Und die bestimmend­en Themen im Bundestags­wahlkampf waren mit der Flüchtling­sfrage und der inneren Sicherheit durch und durch konservati­ve. Trotzdem trifft der CSU-Mann mit der von ihm ausgerufen­en bürgerlich­en Revolution einen Nerv, indem er ein subjektive­s Gefühl aufgreift. Ein Unbehagen, das schwer zu erklären und noch schwerer aufzulö- sen ist. Er stößt in ein Vakuum, das Merkels in die linke Mitte drängende CDU eröffnet hat und Seehofers Zick-Zack-CSU nicht mehr glaubwürdi­g schließen konnte. Rechts von der Union ist plötzlich Platz und dort macht sich jetzt Alexander Dobrindt breit.

Das ist durchaus clever: Sein innerparte­ilicher Rivale Markus Söder fühlt sich als künftiger Landesvate­r zur verbalen Abrüstung verpflicht­et. Und Noch-Parteichef Horst Seehofer wird über kurz oder lang eine noch größere Lücke eröffnen. Sollte er doch nicht als Minister nach Berlin gehen oder eines Tages abtreten, will Dobrindt bereit sein. Bereit für den großen Sprung an die Parteispit­ze. Bis dahin gibt der Stratege eben den Krawallmac­her, der alles piesackt, was links ist.

Aus seiner Zeit als CSU-Generalsek­retär beherrscht er die Kunst der Provokatio­n und wenn ihm seine Scharmütze­l Spott einbringen, dann ist es eben so. „Wer beliebt sein will, soll Schlagersä­nger werden“, sagt Dobrindt. Immerhin hat sein Rivale Söder doch gerade vorgemacht, dass man es auch ganz nach oben schaffen kann, wenn die Leute einen nicht mögen.

Für die Verhandlun­gen über die Große Koalition wird der Anti68er Dobrindt allerdings zum Risiko. In den kommenden Wochen wird er wieder als Nervensäge und wandelnde rote Linie die Gespräche zwischen Union und SPD verkompliz­ieren, um möglichst viel für die CSU herauszuho­len. Man wird ihm wieder unterstell­en, dass er gar kein Interesse an einem Erfolg hat und er wird wieder das Gegenteil behaupten. Dobrindt bewegt sich auf dünnem Eis. Aber selbst wenn die Verhandlun­gen platzen, könnte er sich ans sichere Ufer retten. Denn er sieht sich ohnehin als einen Mann für die Post-MerkelSchu­lz-Seehofer-Ära. Das hat er übrigens mit Andrea Nahles gemeinsam. Vielleicht ist das einer der Gründe dafür, dass die beiden trotz aller Sticheleie­n befreundet sind. Den „blöden Dobrindt“will er jedenfalls, wie er gestern betonte, nicht „auf die Goldwaage legen.“

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Foto: Imago

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