Mindelheimer Zeitung

Wie starb die kleine Esmeralda?

Eine 36-jährige Mutter soll ihr Baby in einen Koffer gesteckt haben. Das Kind überlebte nicht. Ähnliche Fälle gibt es immer wieder. Ein Psychologe erklärt, was Frauen dazu treibt

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Regensburg Sie soll ihre neugeboren­e Tochter zum Sterben in einen Koffer gepackt und auf den Speicher gestellt haben: Eine 36-jährige Frau muss sich seit gestern vor dem Landgerich­t Regensburg wegen Totschlags verantwort­en. Zum Prozessauf­takt wies sie die Vorwürfe zurück.

Ihrer Darstellun­g nach entdeckte sie wenige Tage nach der Geburt das leblose Kind und versuchte es wiederzube­leben. Was dann passiert sei, wisse sie nicht, ließ die Frau über ihren Anwalt ausrichten. Sie stammt ursprüngli­ch aus Donauwörth im Kreis Donau-Ries, lebt aber schon lange nicht mehr dort.

Nach Ansicht der Staatsanwa­ltschaft brachte sie das Kind Ende 2016 in ihrer Wohnung in Zeitlarn (Kreis Regensburg) zur Welt und wickelte es in Decken und eine Tüte. Das Bündel wiederum soll sie in einen Koffer und diesen in einen Plastiksac­k gepackt und auf den Speicher gestellt haben. Das Mädchen

Die Täterinnen haben eine Gemeinsamk­eit

starb demnach innerhalb der nächsten Stunden. Der Lebensgefä­hrte der Frau hatte Anfang Januar 2017 nach seiner Rückkehr aus dem Urlaub in der Wohnung Blut entdeckt und die Polizei gerufen.

Die Angeklagte erklärte über ihren Verteidige­r, dass sie ihre Tochter Esmeralda im Bett entbunden und in den folgenden beiden Tagen auch zu Hause versorgt habe. Allem Anschein nach sei der Säugling gesund gewesen, habe gestrampel­t, geschrien und getrunken. Zwei Tage später, an Silvester, sei sie mit dem Baby auf ihrer Brust eingeschla­fen. Als sie aufwachte, sei das Kind „eiskalt“gewesen. Sie habe eine Herzdruckm­assage gemacht.

An mehr könne sie sich nicht erinnern; auch nicht daran, dass ihr Lebensgefä­hrte nach Hause gekommen sei, trug der Verteidige­r vor. Ihre Erinnerung setze erst wieder ein, als sie Anfang Januar bei der Polizei in Regenstauf vernommen wurde. Die Frau sei damals in einem sehr schlechten gesundheit­lichen Zustand gewesen, sagte ein als Zeuge geladener Polizist.

Immer wieder stehen im Freistaat Frauen vor Gericht, weil sie ihre Neugeboren­en getötet haben sollen. Mitte 2016 etwa wurde eine 23-Jährige aus dem Raum Landshut zu sechs Jahren und zehn Monaten Haft verurteilt. Sie hat nach Über- des Gerichts ihr Baby gleich nach der Entbindung im elterliche­n Badezimmer mit der Kordel ihres Kapuzenpul­lis erwürgt. Dann versteckte sie das kleine Mädchen im Kofferraum ihres Autos. Dort fand es ihr Vater ein paar Tage später. „Ich kann mir selber nicht erklären, warum ich das gemacht habe“, sagte die Frau vor Gericht.

Psychologe Ralph Schliewenz muss genau so etwas herausfind­en. Er ist Vorstandsm­itglied im Berufsverb­and Deutscher Psychologe­n und erkennt eine Gemeinsamk­eit bei solchen Täterinnen. „Wenn eine Mutter es übers Herz bringt, ihr Kind nicht mehr zu versorgen und dabei sogar den Tod in Kauf nimmt, dann gehe ich davon aus, dass ihre psychische Struktur nicht normal ist, dass sie psychische Probleme hat“, erklärt er im Gespräch mit unserer Zeitung. Am Prozess in Re- gensburg ist er nicht beteiligt. Doch seiner Erfahrung nach „entsteht die psychische Not nicht selten aus einer anderen Not heraus, wegen finanziell­er Probleme zum Beispiel, die für die Mutter existenzie­ll bedrohlich sein könnten“.

Ob auch die Erntehelfe­rin Angst um ihren Job hatte, die im März 2017 in Deggendorf wegen Totschlags durch Unterlasse­n zu drei Jahren Haft verurteilt wurde, ist nicht bekannt. Die Frau brachte im Juli 2015 auf der Toilette ihrer Unterkunft bei Plattling (Kreis Deggendorf) einen lebensfähi­gen Buben auf die Welt. Sie erstickte und vergrub ihn in einem Gurkenfeld. Die Frau gab an, von der Geburt völlig überrascht worden zu sein, als sie in der Tatnacht auf die Toilette ging.

Psychologe Schliewenz betont, dass man bei solchen Taten natürlich immer genau den Einzelfall bezeugung trachten müsse. Er erklärt jedoch auch: „Die Mutter wird mit ihrer Tat immer irgendeine­n Zweck verfolgen. Ein guter Psychologe muss sich fragen, welchen Sinn das Verhalten macht, auch wenn es noch so unglaublic­h schrecklic­h erscheint.“

Laien drängt sich die Frage auf, warum die Täterinnen ihre Babys nicht in Babyklappe­n legen oder bei Beratungss­tellen Hilfe suchen. Schliewenz hat auch dafür eine Erklärung. In psychische­n Ausnahmezu­ständen fehle den Frauen oft „der Bezug zur Realität und somit auch der Weitblick auf die Auswirkung­en ihres Handelns“. Sie seien sich „bestimmt nicht darüber im Klaren, dass auch nach dem Tod des Babys ihre Mutterscha­ft festgestel­lt werden kann“.

Im Prozess um die gebürtige Donauwörth­erin fällt voraussich­tlich am Freitag das Urteil.

 ?? Foto: Armin Weigel, dpa ?? Die Angeklagte Yvonne B. ließ über ihren Verteidige­r ausrichten, dass sie alle Vorwürfe zurückweis­t. Die 36 Jährige muss sich vor Gericht verantwort­en, weil sie ihr Neugeboren­es getötet haben soll.
Foto: Armin Weigel, dpa Die Angeklagte Yvonne B. ließ über ihren Verteidige­r ausrichten, dass sie alle Vorwürfe zurückweis­t. Die 36 Jährige muss sich vor Gericht verantwort­en, weil sie ihr Neugeboren­es getötet haben soll.

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