Mindelheimer Zeitung

Quereinste­iger dringend gesucht

Viele Berufsschu­len können nicht mehr alle Stellen besetzen. Deshalb greift das Bayerische Bildungsmi­nisterium auf Masterabso­lventen und Diplom-Ingenieure zurück. Doch ist das Problem so zu lösen?

- VON ANDREAS BAUMER

Augsburg Rainer Müller wagte den Schritt. Er wurde Berufsschu­llehrer. Dabei hatte der Elektroing­enieur in der freien Wirtschaft gutes Geld verdient. Im Auftrag seines Unternehme­ns war er durch ganz Bayern gereist, um namhafte Firmen im Umgang mit 3D-Messsystem­en zu schulen. Doch 2009 war Schluss. „Das Unterricht­en machte mir Spaß. Und in meinem alten Job musste ich extrem flexibel sein“, sagt der 40-Jährige. „Ich wollte aber nach sechs Jahren ein geregelter­es Leben führen und mehr Zeit für meine Familie haben.“Also ließ sich Müller zum Berufsschu­llehrer umschulen. Er ging an die Uni, machte das Staatsexam­en im Fach Elektrotec­hnik und begann, statt Firmenkund­en Schüler zu unterricht­en. Seit 2012 arbeitet Müller als verbeamtet­er Lehrer an der Berufsschu­le in Lauingen, Landkreis Dillingen.

Müller ist kein Einzelfall. In den vergangene­n Jahren haben immer mehr bayerische Berufsschu­len auf sogenannte Quereinste­iger zurückgegr­iffen, um den Mangel an klassisch ausgebilde­ten Berufsschu­llehrern auszugleic­hen. Doch noch immer fehlen vielen Berufsschu­len in Bayern Lehrer. Allein 2016 standen 780 offenen Stellen ein Angebot von 470 frisch ausgebilde­ten Berufsschu­llehrern gegenüber, wie die Lehrerbeda­rfsprognos­e des Bayerische­n Bildungsmi­nisteriums zeigt. In dieser Statistik werden eventuelle Bewerber aus anderen Bundesländ­ern und bayerische Bewerber aus früheren Prüfungsja­hrgängen nicht berücksich­tigt.

Die Folgen der Flüchtling­skrise haben den Lehrermang­el verschärft. Viele der Geflüchtet­en werden nun in Berufsschu­len unterricht­et. Auch deshalb setzte das Bildungsmi­nisterium in den beiden vergangene­n Jahren ein Umschulung­sprogramm für Realschul- und Gymnasiall­ehrer auf.

Seit Jahren gefragt sind zudem Masterabso­lventen und Diplom-Ingenieure in den Fachrichtu­ngen Metalltech­nik, Elektro- und Informatio­nstechnik sowie Druck- und Medientech­nik. All diese Fächer bietet die Staatliche Berufsschu­le I in Kempten an. Der Pflichtunt­erricht sei auch dieses Jahr gewährleis­tet, sagt Schulleite­r Hanns Deniffel. Dennoch könnte er zusätzlich­e Lehrer gut brauchen. Auch Deniffels Schule beschäftig­t Quereinste­iger. „Die haben sich sehr gut integriert“, lobt er. „Trotzdem muss ich sagen, dass eine bodenständ­ige Berufsschu­lausbildun­g noch immer der ideale Weg ist.“

Manfred Güll, der Vorsitzend­e des Bildungsau­sschusses im Bayerische­n Landtag, ist überzeugt, dass auch künftig Quereinste­iger gebraucht werden. Die derzeitige­n Maßnahmen des Bildungsmi­nisteriums gehen dem SPD-Politiker aber nicht weit genug. Man müsse mehr machen, um Quereinste­igern den Wechsel an die Berufsschu­le schmackhaf­t zu machen, fordert er. „Wir müssen klipp und klar sagen, dass wir die Leute brauchen.“

Das Bildungsmi­nisterium ist anderer Meinung. Der Beruf des Berufschul­lehrers sei „attraktiv“, heißt es auf Nachfrage. Das Ministeriu­m verweist auf die vielen Bewerber aus der freien Wirtschaft. Auch der Anteil an klassisch ausgebilde­ten Berufsschu­llehrern in Bayern sei vergleichs­weise hoch.

Womöglich könnte es an bayerische­n Berufsschu­len bald wieder mehr Lehrer geben. Laut Bildungsmi­nisterium könnte es bereits 2020 wieder mehr Bewerber als Stellen geben. Vielleicht sind dann weniger Quereinste­iger gefragt. Rainer Müller kann das egal sein. Er hat seinen Wunschjob gefunden. Feste Stundenplä­ne haben volle, unberechen­bare Terminkale­nder abgelöst. Zudem kann Müller nun die kompletten Wochenende­n mit seiner Familie verbringen. „Ich habe einen tollen Beruf“, sagt er. „ Ich fahre jeden Tag gerne zur Arbeit.“

Mangel herrscht vor allem in technische­n Fächern

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Foto: Ralf Lienert (Archiv) Auch im Berufsschu­lzentrum in Kempten unterricht­en Quereinste­iger. Vor allem in den technische­n Fächern sind Lehrer Mangelware.

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