Mindelheimer Zeitung

Das Herz schlägt kroatisch

Ivona und Ivan Radic spielen beide beim TSV Mindelheim. Wie sie die EM in ihrem Heimatland Kroatien verfolgen und was die Unterschie­de zu Deutschlan­d sind

- VON AXEL SCHMIDT

Mindelheim Alles Hoffen und Beten half am Ende nichts: Am Mittwochab­end haben sich nicht nur die deutschen Handballtr­äume nach einer Titelverte­idigung bei der Europameis­terschaft in Luft aufgelöst – auch der Gastgeber trägt Trauer. Und damit auch eine Mindelheim­er Handball-Familie. Ivona und Ivan und Matej Radic haben „ihrer“Nationalma­nnschaft während des Turniers die Daumen gedrückt.

„Wir hoffen natürlich, dass die Kroaten mit dem Heimvortei­l die EM gewinnen“, sagte die 19-jährige Ivona Radic noch vergangene­n Sonntag am Rande des HandballHe­imspieltag­s des TSV Mindelheim. Hier spielen nämlich alle drei: Ivan bei den Herren, Ivona bei den Damen und Matej in der B-Jugend. Dass Ivona Radic und ihre Brüder die EM-Spiele am Fernseher oder im Internet und eben nicht live in ihrer Heimatstad­t Zagreb in der Halle verfolgten, liegt am Berufsweg des Vaters. Der ist vor knapp vier Jahren nach Deutschlan­d gekommen, sein ältester Sohn Ivan hat ihn begleitet. Ein Jahr später sind Ivona und Matej nachgezoge­n.

Der 21-jährige Ivan, der mittlerwei­le bei einem Elektrobet­rieb arbeitet, hat zuvor einige Jahre Hand- ball in der Jugend von Rekordmeis­ter RK Zagreb, dem Verein in seiner Heimatstad­t, gespielt – als Torhüter. In Mindelheim agiert er nun nicht mehr zwischen den Pfosten, sondern wurde im Lauf der vergangene­n drei Jahre zum Außenspiel­er umfunktion­iert. „Ich bin immer weiter vor gewandert“, sagt er und lacht. Auch sonst habe er sich etwas umstellen müssen. „In Kroatien wird aggressive­r gespielt“, sagt er. Dieses Temperamen­t in Deutschlan­d nun etwas zu zügeln, fällt ihm manchmal schwer. „Ich sammle aber immer noch viele Strafen“, sagt er und grinst.

Auch seine Schwester Ivona musste ihre Spielweise ändern, allerdings genau umgekehrt: Sie steht nun im Tor der Mindelheim­er Frauen. In Zagreb war sie Feldspiele­rin. In ihrem ersten Spiel als Torhüterin hat sie sich prompt eine Zwei-Minuten-Strafe eingefange­n. Doch auch sie hat sich schnell eingefunde­n. Geholfen hat ihr dabei ihre Weitsicht: Als klar war, dass es meinem Vater und meinem Bruder in Deutschlan­d gut ging und ich nachkommen sollte, habe ich einen Deutschkur­s besucht“, sagt sie. Der Kurs hat seine Wirkung nicht verfehlt, Ivona Radic spricht sehr gutes Deutsch. Mittlerwei­le sagt sie auch: „Kroatien ist meine Heimat, da bin ich geboren. Aber meine Zukunft liegt in Deutschlan­d.“Das liegt auch an den Möglichkei­ten, die sie hier hat. „In Kroatien ist es schwer, eine Arbeit zu finden. Seine Ausbildung muss man selber bezahlen, hier kriegt man Geld“, sagt die 19-Jährige, die derzeit am Klinikum eine Ausbildung zur Krankensch­wester macht.

„Wir wurden prima im Verein aufgenomme­n und fühlen uns hier auch richtig wohl“, sagt Ivona. Sportlich stehen die Damen des TSV Mindelheim nun wieder besser da. Zwar ist der Kader nach wie vor auf Kante genäht, doch seit drei Spielen nun sind die Mindelheim­erinnen ungeschlag­en und konnten sich in der Bezirksobe­rliga wieder etwas Luft verschaffe­n. Die Herren haben nach dem Abstieg im vergangene­n Sommer den Neuanfang in der Bezirkslig­a vor der Brust. „Es kommen viele Leute ins Training, vor allem junge Spieler. Und wir spielen einen besseren Handball“, sagt Ivan Radic. Ob es mit dem Wiederaufs­tieg klappt, ist erst einmal zweitrangi­g.

Trotz aller Umstellung­en, neuer Erfahrunge­n und der gelungenen Integratio­n – wenn es um Handball geht, da gibt es für die Radic-Geschwiste­r keine zwei Meinungen. Nach Fußball ist das der kroatische Nationalsp­ort. Fragt man nach den Vorbildern und Idolen kommen reihenweis­e Namen kroatische­r Nationalsp­ieler als Antwort: „Ivano Balic war der Beste“, sagt etwa Ivan über die kroatische Handball-Legende, die 2003 und 2006 zum Welthandba­ller gewählt wurde und als einer der besten Spieler der Handballge­schichte gilt. 2015 beendete Balic seine Karriere.

Doch auch seine Nachfolger haben bei den Radics einen Stein im Brett: Luka Stepancic, Ivan Cupic oder Luka Cindric. Zum ganz großen Wurf – dem erstmalige­n Gewinn der Europameis­terschaft – sollte es dann aber auch für Balics Erben nicht reichen. Am Mittwochab­end verloren die Kroaten das letzte Zwischenru­ndenspiel gegen die überragend­en Franzosen und müssen nun mit dem Spiel um Platz fünf vorlieb nehmen. Frotzeleie­n innerhalb der Mindelheim­er Mannschaft­en werden sie dennoch nicht zu befürchten haben. Denn auch die deutsche Nationalma­nnschaft hat sich am Mittwochab­end nach der 27:31-Niederlage gegen Spanien aus dem Turnier verabschie­det.

Selbst als Torhüterin kassierte sie eine Zeitstrafe

 ?? Foto: Axel Schmidt ?? Ivona und Ivan Radic haben in Deutschlan­d nicht nur eine berufliche, sondern beim TSV Mindelheim auch eine sportliche Heimat gefunden. Allerdings mussten sie sich etwas vom kroatische­n Spielstil verabschie­den.
Foto: Axel Schmidt Ivona und Ivan Radic haben in Deutschlan­d nicht nur eine berufliche, sondern beim TSV Mindelheim auch eine sportliche Heimat gefunden. Allerdings mussten sie sich etwas vom kroatische­n Spielstil verabschie­den.

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