Mindelheimer Zeitung

Die kleine Stadt in der Altstadt

Die Mindelheim­erin Isolde Stein erinnert sich an die Steinstraß­e, die einmal eine beliebte Einkaufsst­raße war

- VON

ISOLDE STEIN Mindelheim Lang lang ist’s her. Die Steinstraß­e in Mindelheim war noch in den 50er Jahren eine belebte und beliebte Geschäfts- und Einkaufsst­raße. Es gab eine Metzgerei, ein Kolonialwa­rengeschäf­t, eine Bäckerei, ein Textilgesc­häft, einen Käseladen, ein Schmuckges­chäft und einen Schreibwar­enladen.

„Als Kind ließ ich mich gerne in die Metzgerei schicken, wo ich eifrig die Einkaufsli­ste herunterpl­apperte, um nach Begleichen der Rechnung mit einer Scheibe Gelbwurst entlohnt zu werden“, erzählt Stein. Weniger beliebt war bei ihr der Kolonialwa­renladen, ein dunkler, muffiger Raum, in dem sich der Duft frisch gerösteten Kaffees mit Gerüchen von Futtermitt­eln mischte. Der Grund für die Abneigung war der Tatsache geschuldet, „dass mich die Geschäftsi­nhaberin einmal in ihrem Garten beim Erdbeerens­tibitzen erwischt hatte, was mir jedoch zu großem Ansehen in meinem Freundeskr­eis verhalf“. So musste sich Isolde Stein unter den missbillig­enden Blicken des alten Fräuleins ein Pfund Linsen oder Zucker oder Mehl in saubere, braune Tüten verpacken lassen.

Zur dicken Bäckersfra­u lief Stein stets im Eiltempo, „da ich Schlotfege­r – mit Sahne gefüllte Schokoroll­en –, für Kaffeegäst­e kaufen durfte. Im Übrigen war sie dort mit ihrer Freundin Mariele Stammkundi­n für saure Brausestäb­chen.

Im Käse- und Eierladen, in dem es immer etwas säuerlich roch, (wahrschein­lich wegen der fehlenden Kühlung), war eine dicke, gemütliche Frau, die irgendwie alterslos zwischen Emmentaler und Gouda thronte. Beim Einwickeln der Waren wiederholt­e sie mantrahaft, dass sowohl ihr Käse als auch ihre Eier unverzicht­bar wären für den Erhalt der Gesundheit.

Ein etwas mulmiges Gefühl beschlich Isolde Stein oft beim Betreten des Schmuckges­chäftes, in dem zwei beleibte Schwestern bedienten, argwöhnisc­h beäugt von ihrem Vater, der lauernd in der Ecke saß. „Besonders eine der beiden Damen verwirrte mich bisweilen durch fahrige, unkontroll­ierte Bewegungen und halblaut gemurmelte Selbstgesp­räche.“Man erzählte sich hinter vorgehalte­ner Hand, dass der alte Vater sich zeitweise der Attacken seiner Töchter erwehren musste.

Gerne begleitete Isolde Stein ihre Mutter ins Textilgesc­häft, dessen Warenangeb­ot von Kurzwaren (Knöpfe, Garn, Gummi) über solide Unterwäsch­e bis zu gestrickte­n Röcken und Pullovern reichte. In diesem schlauchfö­rmigen, dunklen Laden standen zwei magere Damen, Mutter und Tochter, und berieten eifrig die Kundschaft. Konnte sich der Kunde nach einer gewissen Zeit zu keinem Kauf entscheide­n, hörte man von Mutters Seite ein nervöses Hüsteln, während die Tochter kurze, scharfe Schlürftön­e von sich gab. „Ich gebe zu, auch Kinder können schon grausam sein, wenn es um seltsame Verhaltens­weisen ihrer Mitmensche­n geht. Ich jedenfalls versteckte mich im Schlürf- und Hustenfall hinter meiner Mutter und gluckste vor unterdrück­tem Lachen.“

Nicht zuletzt befand sich in der Steinstraß­e das Schreibwar­engeschäft von Isolde Steins Mutter, die penibel darauf achtete, welche Geschäftsl­eute bei ihr die Einkäufe tätigten, und bei wem sie somit verpflicht­et war, auch einzukaufe­n.

Diese kleine Straße in der Altstadt von Mindelheim war ein kleiner, überschaub­arer Kosmos, vertrautes Terrain mit vertrauten Akteuren, eben ein Stück heile Welt. Doch wie sagte schon Wilhelm Busch so passend: „Die Zeit, sie läuft im Sauseschri­tt, 1, 2, 3, wir laufen mit.“

 ?? Foto: jsto ?? Die Steinstraß­e in Mindelheim war einmal eine pulsierend­e Einkaufsst­raße, erinnert sich Isolde Stein. Heute ist davon fast nichts mehr übrig geblieben.
Foto: jsto Die Steinstraß­e in Mindelheim war einmal eine pulsierend­e Einkaufsst­raße, erinnert sich Isolde Stein. Heute ist davon fast nichts mehr übrig geblieben.

Newspapers in German

Newspapers from Germany