Mindelheimer Zeitung

„Hände weg von der Steuerschr­aube“

Einige der wichtigste­n Unternehme­r Bad Wörishofen­s halten die Forderung von Bürgermeis­ter Gruschka für falsch. In einer gemeinsame­n Erklärung gehen sie nun an die Öffentlich­keit

- VON MARKUS HEINRICH

Bad Wörishofen Die Aschermitt­wochsrede von Bürgermeis­ter Paul Gruschka (FW) erntet lautstarke Widerrede von einigen der wichtigste­n Bad Wörishofer Unternehme­rn. „Hände weg von der Steuerschr­aube!“haben die Firmenchef­s ihre gemeinsame Erklärung überschrie­ben, die unserer Zeitung vorliegt. Man sehe das „Erfolgsmod­ell und den Wirtschaft­sstandort Bad Wörishofen in Gefahr“. Grund für die Warnung ist Gruschkas Forderung nach einem höheren Gewerbeste­uersatz. In Bad Wörishofen liegt er mit 240 Prozent im bayernweit­en Vergleich sehr niedrig. Der Kommunale Prüfungsve­rband, so Gruschka, empfehle für Gemeinden in der Größe von Bad Wörishofen 319 Prozent. Der Stadtrat müsse angesichts der Haushaltsl­age endlich handeln, hatte Gruschka beim ersten Politische­n Aschermitt­woch der Freien Wähler Bad Wörishofen als deren Vorsitzend­er gefordert. Im Rat zeichnete sich bislang allerdings keine Mehrheit für eine Steuererhö­hung ab.

Martin Müller, der Vorstandsv­orsitzende der Tricor AG, ist da ganz anderer Meinung als Gruschka. Auch er hat die Erklärung unterzeich­net, zusammen mit den Vertretern von elf weiteren gewichtige­n Unternehme­n und dem Hotel- und Gaststätte­nverband. „Es klingt auf den ersten Blick widersprüc­hlich und doch ist es die Basis des Erfolgsmod­ells Bad Wörishofen: Eine Senkung der Gewerbeste­uer führte in der Vergangenh­eit zu deutlich höheren Einnahmen aus dieser Steuer“. Das schreiben die Firmenlenk­er an Stadtratsm­itglieder und den Bürgermeis­ter. Am Ende bieten sie Gespräche an, um die Zukunft gemeinsam zu gestalten. Dieses Schreiben, so Müller, sei am Tag vor Gruschkas Aschermitt­wochsrede an den Bürgermeis­ter und den Stadtrat per E-Mail verschickt worden. Die Nähe zum Termin sei zufällig gewesen. „Wir haben die Hand ausgetreck­t, um die Problemati­k in einem Konsens anzugehen“, sagt Müller. Was Gruschka dann am Aschermitt­woch gesagt habe, zeige allerdings, dass der Bürgermeis­ter daran kein Interesse habe. Deshalb mache man den Brief nun öffentlich. Dann wird Müller deutlich: „Bad Wörishofen tritt nicht nur auf der Stelle, es läuft rückwärts.“Dabei wurden in der Vergangenh­eit „alle Voraussetz­ungen geschaffen, um die letzten drei Jahre lang erfolgreic­h zu sein“, findet der Tricor-Chef.

Dass „Steuersätz­e und Lebensqual­ität nicht voneinande­r zu trennen“seien, zeigt nach Ansicht der Unterzeich­ner der „für Bad Wörishofen außergewöh­nliche Sondereffe­kt mit 8,6 Millionen Euro aus der Gewerbeste­uer im Jahr 2013.“Zu diesem Zeitpunkt „stellte der erste Schritt der Gewerbeste­uersenkung bereits einen wesentlich­en Standortvo­rteil für Bad Wörishofen dar und zeigte Wirkung“, finden die Unternehme­r.

Nachhaltig­keit jedoch sei „nur aus stabiler und stetig wachsender Wirtschaft­sleistung zu erwarten“. Diese allerdings entstehe erst „durch Vertrauen in verlässlic­he und somit planbare Standortfa­ktoren.“Die Firmenchef­s sind über-

zeugt: „Die Kontinuitä­t dieser Steuerpoli­tik würde sicherlich weitere Sondereffe­kte nach sich ziehen, sofern sie denn stattfände.“

Die aktuelle Diskussion um eine Erhöhung des Hebesatzes der Gewerbeste­uer gefährde allerdings den Wirtschaft­sstandort Bad Wörishofen „massiv“und trage zur Verunsiche­rung bei. „Diese wirkt besonders für ansiedlung­swillige Unternehme­n abschrecke­nd und wird bei Fortbestan­d die derzeitige­n Probleme der Stadt nicht lösen“, schreiben die Firmenchef­s. Sie erklären: „Im Betrachtun­gszeitraum der letzten zwölf Jahre, ohne Berücksich­tigung des Sondereffe­kts 2013, stieg das Aufkommen aus der Gewerbeste­uer um 350 Prozent.“Neue Firmen hätten sich angesiedel­t, bestehende expandiert. „Die Folgen waren sichere Arbeitsplä­tze und mehr Einnahmen in der Stadtkasse“, heißt es weiter. „Diese Einnahmen trugen dazu bei, den notwendige­n Strukturwa­ndel im Kurwesen finanziell abzufedern.“

Auch Handwerker, Hotellerie und Gastronomi­e profitiere­n nach Ansicht der Unternehme­r „von den Multiplika­tionseffek­ten der gewerblich­en Unternehme­n“. Deren

Beiträge wiederum sicherten die hohe Lebensqual­ität und den Unterhalt von Einrichtun­gen wie dem Kurpark oder dem kulturelle­n Angebot, nicht zuletzt „die soziale Infrastruk­tur“in Form von Kindergärt­en oder Schulen.

Die Steuerdeba­tte führe allerdings dazu, dass Verunsiche­rung herrsche und Ausbauplän­e verhindert würden. Während Bürgermeis­ter Gruschka jüngst sagte, der Gewerbeste­uersatz sei nicht der entscheide­nde Faktor für Unternehme­r, schon eher Verfügbark­eit von Grundstück­en und Ähnliches, sagt Tricor-Chef Müller: Jedes Unternehme­n müsse die Kosten im Blick haben, dazu gehöre auch die Gewerbeste­uer. Tricor zum Beispiel habe seit der Ansiedlung in Bad Wörishofen 4,5 Millionen Euro an Gewerbeste­uer an die Stadt Bad Wörishofen gezahlt. Heuer rechne man mit einer Zahlung an Bad Wörishofen von etwa 900 000 Euro. Würde der Hebesatz von 319 Prozent gelten, wären das etwa 300 000 Euro mehr, sagt Müller. Dafür könne er sieben Mitarbeite­r beschäftig­en. Müller lässt keinen Zweifel daran, dass er auf eine Gewerbeste­uererhöhun­g reagieren würde. „Für uns geht es um 300 000 Euro pro Jahr, für den Bürgermeis­ter aber um fast eine Million“, sagt Müller. Soll heißen: „Der Betrieb und die Arbeitsplä­tze würden natürlich bleiben, aber die Steuern würden gehen.“

Die unterzeich­nenden Unternehme­r treibt auch die Zukunft des interkommu­nalen Gewerbepar­ks um. „Ansiedlung­swillige Betriebe verlieren Perspektiv­en und Planungssi­cherheit und wenden sich anderen Standorten zu“, schreiben sie. „So verzeichne­t der Gewerbepar­k A96 innerhalb von drei Jahren nur eine Ansiedelun­g.“Interessen­ten gibt es freilich mehr. Bürgermeis­ter Gruschka hatte jüngst verkündet, dass alle Flächen reserviert seien, teilweise schon verkauft.

Was die Unternehme­r noch kritisiere­n: „Die Stadt lebt über ihre Verhältnis­se.“Die „massive Steigerung der Ausgaben ist so extrem, dass auch in diesem Jahr wieder mit einer erhebliche­n Neuverschu­ldung zu rechnen ist“. Durch die Steuerdeba­tte befürchten die Wirtschaft­sführer Imageschäd­en und langfristi­g ein sinkendes Steueraufk­ommen für Bad Wörishofen durch Abwanderun­g von Firmensitz­en. Man biete „offene und konstrukti­ve Gespräche mit der Kommunalpo­litik“an, um eine „kurzsichti­ge und wirtschaft­sfeindlich­e Politik zu verhindern“, heißt es weiter. Martin Müller nennt als Schlagwort die Gründung eines Wirtschaft­sbeirates durch den Bürgermeis­ter, dem Unternehme­r angehören könnten. Doch davon sei man weit entfernt. Er selbst fühle sich in Bad Wörishofen nicht mehr wohl, sagt Müller. Dabei hat er große Pläne. Der Konzern soll bis 2023 deutlich wachsen, Bad Wörishofen als Zentrale „überpropor­tional“proftieren. 200 Millionen Euro Umsatz macht die Tricor AG derzeit. Gruschka wirft er „mangelnde Kompetenz“vor. Er selbst wäre angesichts einer solchen Wirtschaft­sbilanz längst von seinem Aufsichtsr­at entlassen worden, sagt Müller. Auch Bad Wörishofen­s Wirtschaft­sreferent Alwin Götzfried, selbst Freier Wähler, meldete sich gestern zu Wort. Er könne Gruschkas Hinweis auf Flächenfra­ß durch niedrige Hebesätze nicht verstehen. Mit steuergüns­tigen Firmensitz­en könne Bad Wörishofen viel Geld einnehmen, ohne Flächen zu verbrauche­n. Schon jetzt erlöse man auf diese Weise pro Quadratmet­er 50000 bis 100000 Euro, so Götzfried.

 ?? Foto: Marco2811/Fotolia ?? Der Hebesatz der Gewerbeste­uer wird in Bad Wörishofen zum Politikum. Bürgermeis­ter Paul Gruschka würde den vergleichs­weise niedrigen Satz von 240 Prozent angesichts der Haushaltsl­age gerne anheben. Kritik an diesem Vorhaben kommt aus dem Stadtrat und...
Foto: Marco2811/Fotolia Der Hebesatz der Gewerbeste­uer wird in Bad Wörishofen zum Politikum. Bürgermeis­ter Paul Gruschka würde den vergleichs­weise niedrigen Satz von 240 Prozent angesichts der Haushaltsl­age gerne anheben. Kritik an diesem Vorhaben kommt aus dem Stadtrat und...

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