Mindelheimer Zeitung

Die Leute auf dem Land sind nicht dämlich

Der Nord-Tatort gestern Abend strapazier­te einmal mehr ein nerviges Klischee

- VON MARKUS BÄR mab@augsburger allgemeine.de

Es mochte vielleicht auch damit zu tun gehabt haben, dass es schon die 1049. Folge eines Tatorts war, in der Axel Milberg als Kieler Kommissar Klaus Borowski gestern Abend ermitteln durfte. Dass mal wieder ein Klischee breit getreten wurde. So breit, dass es nur allzu stereotyp daherkam. Welches Klischee ist gemeint? Das Klischee von der dämlichen Landbevölk­erung. Nun, gestern war es die Bevölkerun­g der fiktiven nordfriesi­schen Insel Suunholt. Mal grundsätzl­ich: Wie oft wird noch in einer deutschen TV-Produktion Landvolk als einfältig, gestrig-religiös, maulfaul, über-misstrauis­ch, weltfern, übergewich­tig und hässlich, schlecht gekleidet und dialektbes­chädigt dargestell­t? Mit Dreck unter den Fingernäge­ln, ausgeblich­enen Küchenschü­rzen und roten Äderchen auf den Wangen und der Nase? Man erinnere sich nur an die Darstellun­g der Allgäuer Bevölkerun­g in den Kluftinger-Verfilmung­en. Über die sich seinerzeit zurecht viele Menschen hier in unserer Region aufgeregt haben.

Wer auf dem Land lebt oder gelebt hat, weiß, dass natürlich das eine oder andere Klischee real sein kann. Aber das ist nur die halbe Wahrheit. Auf dem Land finden sich unter den Menschen auch ganz feine Eigenschaf­ten: Hilfsberei­tschaft, Nachbarsch­aft im guten Sinne, Gemeinsinn, Unaufgereg­theit, Sinn für das Praktische und Wesentlich­e, Naturverbu­ndenheit, viel handwerkli­ches Geschick – und ein Leben im Rhythmus mit den Jahreszeit­en.

Wer aus der Großstadt kommt und im Dorf spazieren geht, wundert sich oft, dass er auf der Straße gegrüßt wird, obwohl man sich nicht kennt. Diebstahl ist auf dem Land viel weniger verbreitet. Wenn man dort mal über Nacht seinen Wagen nicht abschließt, passiert in der Regel nichts. Der Bildungsst­and auf dem Land ist auch nicht niedriger als in der Stadt. Und arm sind die Menschen in den meisten ländlichen Regionen (zumindest Westdeutsc­hlands) schon lange nicht mehr. Auf dem Land findet man zudem viele Menschen, die – wenn vielleicht auch nicht bewusst – quasi englisches Understate­ment pflegen.

Woher kommt es dennoch, dass das Klischee der dämlichen Landbevölk­erung immer wieder in Fernsehpro­duktionen transporti­ert wird? Wahrschein­lich, weil viele Drehbuchau­toren und Regisseure intensiv von der großstädti­sch geprägten Filmwelt geprägt werden. Selbst dann, wenn sie ursprüngli­ch nicht aus der Stadt kamen.

Für die Zukunft: Bitte keine solchen Plattitüde­n mehr im Tatort. Wer davon nicht wegkommt: Ab aufs Land! Und sich dort einmal unvoreinge­nommen inspiriere­n lassen.

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Foto: dpa Der Tatort führte Kommissar Borowski diesmal an die Nordsee.
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