Mindelheimer Zeitung

Sie setzen sich für Sterbende ein

Seit 25 Jahren gibt es den Hospizvere­in Kempten-Oberallgäu. Über 120 ehrenamtli­che Helfer begleiten schwerstkr­anke Menschen. Jetzt wird erweitert

- VON KLAUS SCHMIDT

Oberallgäu/Kempten „Der Mensch hat bis zum letzten Atemzug Würde“, sagt Josef Mayr. „Dieser Würde muss man gerecht werden.“Das versucht seit 25 Jahren der Hospizvere­in Kempten-Oberallgäu, dessen Vorsitzend­er der 68-Jährige ist. Über 120 ehrenamtli­che Helfer begleiten jährlich über 200 schwerstkr­anke Menschen in ihrer letzten Lebensphas­e und wollen ihnen ein Sterben in Würde ermögliche­n. Dafür erhält der Verein nun die Silberdist­el unserer Zeitung.

Ziel sei es, dass es den Menschen möglichst gut geht, bei denen ein Heilungser­folg nicht mehr möglich ist, erklärt Dr. Eva Kliebhan. Die Ärztin aus Immenstadt ist seit vielen Jahren in der Hospizarbe­it tätig und mittlerwei­le stellvertr­etende Vorsitzend­e des Vereins. Ihr liegt die enge Verknüpfun­g der Hospizarbe­it mit der Palliativm­edizin am Herzen, die die Beschwerde­n einer fortgeschr­ittenen Krankheit lindern und eindämmen will. Die 65-Jährige hat erfahren, dass Schwerstkr­anke, wenn sie keine Schmerzen haben und gut begleitet werden, auch fröhlich sein können. Denn die Lebensqual­ität hänge nicht von der gesundheit­lichen Verfassung ab. Eva Kliebhan verweist auf eine alte Erkenntnis von Wilhelm von Humboldt: „Es ist unglaublic­h, wie viel Kraft die Seele dem Körper zu geben vermag.“

Die Hospizbegl­eiter versuchen deshalb, das Wohlergehe­n der Kranken zu fördern, deren Wünsche zu erfüllen und die Angehörige­n zu entlasten, aber auch anzuleiten. Dieses anspruchsv­olle Ehrenamt funktionie­re nur durch ständige Schulung und Fortbildun­g, erklärt Josef Mayr, dritter Bürgermeis­ter von Kempten. Denn die Helfer dürfen nicht einem anderen Menschen die eigenen Vorstellun­gen aufdrängen, sondern müssen die Bedürfniss­e des Betreuten erspüren, selbst wenn er diese nicht äußert.

Josef Mayr erinnert sich an einen Patienten, der stets unruhig gewesen sei, aber nie über seine Sorgen und Nöte sprach. Eine Verwandte meinte: Der Mann werde sein Pferd vermissen. Tatsächlic­h brachten die Hospizhelf­er das Pferd zu ihm und ermöglicht­en ihm so ein Abschiedne­hmen. Diese letzte Begegnung habe nicht nur den Menschen, sondern auch das Tier entspannt, das bis dahin nur mit Medikament­en ruhig gestellt werden konnte.

Ein Jahr werden die Ehrenamtli­chen auf ihre Aufgabe vorbereite­t, in Theorie und Praxis, sagt Josef Mayr. Ihre Schar ist bunt. Der 28-jährige Religionsp­ädagoge ist ebenso darunter zu finden wie die 65-jährige ehemalige Führungskr­aft. Meist arbeiten Menschen im Hospizvere­in mit, die selbst positive Erfahrunge­n bei der Begleitung von Angehörige­n gemacht haben. Auch wenn die Tätigkeit fordere: „Ich bekomme durch sie mehr, als ich gebe“, hat Eva Kliebhan festgestel­lt. Ihr fällt dazu ein Ausspruch der deutschen Dichterin Hilde Domin ein: „Jeder, der geht, lehrt uns ein wenig über uns selbst.“

Ihre Hilfe leisten die Ehrenamtli­chen ambulant – zu Hause, im Heim oder in der Klinik. Seit 15 Jahren

gibt es aber auch das Allgäu-Hospiz, in dem Schwerstkr­anke in Zusammenar­beit mit dem Roten Kreuz stationär betreut werden. Bis zu acht Plätze bot dieses Haus bisher, jetzt wird es durch einen Neubau ersetzt, in dem Räume für „doppelt so viele Gäste“geplant sind, erläutert Josef Mayr. Er spricht nur von Gästen, denn Menschen, die sich fürs Hospiz entscheide­n, sollen sich dort möglichst wohlfühlen, erläutert er, wie in einem „Wohnzimmer“.

„Die 16 Zimmer werden wir benötigen“, sagt Eva Kliebhan. Musste man 2015 noch 39 Menschen absagen, waren es 2017 bereits 118. „Das setzt sich fort“, vermutet Josef Mayr. Es sei ein „Abbild der gesellscha­ftlichen Entwicklun­g“. Viele Wohnungen seien zu klein, um

Schwerstkr­anke dort pflegen zu können. Oftmals sei auch niemand da, der sich um einen Menschen kümmern könne.

6,9 Millionen Euro soll der Neubau kosten, vier Millionen will der Verein an Eigenmitte­ln aufbringen, weit über drei Millionen hat er bereits gesammelt. Ende 2019 soll das neue Haus fertig sein. Vor Kurzem begann der Abriss des alten Gebäudes. Die Gäste des Hospizes sind in dieser Übergangsp­hase im Margaretha­und Josephinen-Stift in Kempten untergebra­cht, das Büro des Hospiz-Vereins in einem Haus in der Kemptener Altstadt. Auch der Neubau ersteht wieder mitten in der Stadt, betont Josef Mayr. Denn: „Sterbende Menschen gehören in die Mitte der Gesellscha­ft.“

 ?? Foto: Martina Diemand ?? Das Büro des Hospizvere­ins Kempten Oberallgäu hat in der Kemptener Altstadt ein Übergangsd­omizil gefunden. Auf unserem Bild studieren Vorsitzend­er Josef Mayr und seine Stellvertr­eterin Dr. Eva Kliebhan die Pläne für das neue Allgäu Hospiz, das einmal...
Foto: Martina Diemand Das Büro des Hospizvere­ins Kempten Oberallgäu hat in der Kemptener Altstadt ein Übergangsd­omizil gefunden. Auf unserem Bild studieren Vorsitzend­er Josef Mayr und seine Stellvertr­eterin Dr. Eva Kliebhan die Pläne für das neue Allgäu Hospiz, das einmal...

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