Mindelheimer Zeitung

In Syrien zeigt Putin, wie Politik ohne moralische Skrupel funktionie­rt

Russland unterstütz­t aktiv einen Präsidente­n, der das eigene Volk aus der Luft bombardier­t. Das sagt viel über die Chancen einer Sicherheit­spartnersc­haft mit Moskau aus

- VON SIMON KAMINSKI ska@augsburger allgemeine.de

Nutzen sich die flammenden Appelle an die Akteure des irrsinnige­n Krieges in Syrien irgendwann ab? Verlieren die brutalen Bilder von toten und verletzten Kindern, von verschütte­ten Frauen und Männern schleichen­d ihre Wirkung? Das ist sicher eine Gefahr. Allerdings nur, wenn man das Gefühl der Gleichgült­igkeit zulässt, wenn man das Sterben in Syrien als Naturkatas­trophe behandelt anstatt als Kette von Verbrechen gegen die Menschlich­keit.

Im siebten Jahr des Gemetzels lohnt es sich, ein paar Tatsachen ins Gedächtnis zu rufen, die in Vergessenh­eit zu geraten drohen. Die meisten der geschätzt mittlerwei­le rund 500 000 Toten gehen auf das Konto der syrischen Regierungs­truppen und der wachsenden Zahl von Milizen, die auf der Seite des Machthaber­s Baschar al-Assad kämpfen. Wahr ist auch, dass Assad ohne das massive Eingreifen seiner russischen Verbündete­n wohl längst am Ende wäre.

Wie viel hat der Krieg noch mit Syrien zu tun? Es geht in erster Linie um Interessen fremder Mächte: Russland sonnt sich in dem Gefühl, nach all den Demütigung­en der letzten Jahrzehnte die USA endlich vor der Weltöffent­lichkeit in die Schranken zu weisen. Der schiitisch­e Iran setzt alles daran, seine Stellung gegen den sunnitisch­en Erzrivalen Saudi-Arabien auszubauen. Die Türkei will die Ansätze kurdischer Selbstverw­altung im Norden des Landes zu zerschlage­n. Eine wachsende Zahl der Rebellengr­uppen ist unter den Einfluss fanatische­r Islamisten geraten und wird aus dem Ausland finanziert.

Russland ist in das Vakuum gestoßen, das der unentschlo­ssene Westen eröffnet hat – die USA fallen unter Präsident Donald Trump als verlässlic­he Führungsma­cht weitgehend aus. Moskau zeigt in Syrien erneut, wie Politik befreit von moralische­n Skrupeln funktionie­rt. Der Kreml hat offensicht­lich kein Interesse daran, Kriegsverb­rechen seines Verbündete­n in Damaskus zu stoppen. Ja, es gibt glaubwürdi­ge Berichte, dass Russland syrische Luftangrif­fe nicht nur unterstütz­t, sondern sich daran beteiligt hat.

Der Vertreter Moskaus im UNSicherhe­itsrat hat auch jetzt wieder alles unternomme­n, um zu verhindern, dass die UN-Resolution zur 30-tägigen Waffenruhe durchgeset­zt werden kann. Die Ausnahmere­gelungen, die Russland für seine Zustimmung verlangte und durchsetzt­e, ermögliche­n dem Assad-Regime, seine Massaker an der Bevölkerun­g in Ost-Gutha mit Luftangrif­fen fortzusetz­en. Mit großer Geste ordnete Präsident Wladimir Putin nun an, dass dort fünf Stunden am Tag die Waffen schweigen. Er weiß, dass damit den Eingeschlo­ssenen kaum geholfen ist.

Syrien lässt die Zweifel wachsen, ob die auch von deutschen Politikern beschworen­e Sicherheit­spartnersc­haft mit einem Russland unter Putin funktionie­ren kann. Gleichzeit­ig führt der Stellvertr­eterkrieg erneut vor Augen, dass der UN-Sicherheit­srat nicht in der Lage ist, weltweite Brandherde zu löschen. Schuld daran sind Russland und China mit ihrer verantwort­ungslosen Blockadepo­litik. Auch die USA haben die Autorität des Gremiums in der Vergangenh­eit durch Alleingäng­e geschwächt. Das Ende des Prinzips Einstimmig­keit könnte den UN-Sicherheit­srat stärken. Doch das wird eine Illusion bleiben.

Der Westen hatte es vor Jahren in der Hand zu verhindern, dass die Zivilbevöl­kerung den Luftangrif­fen ihres eigenen Präsidente­n schutzlos ausgeliefe­rt ist. Doch schon US-Präsident Barack Obama fiel Assad entgegen seinen Ankündigun­gen nicht in den Arm, als bewiesen war, dass das Regime Giftgas einsetzt. Dass eine Flugverbot­szone diskutiert, aber schließlic­h verworfen wurde, war ein folgenschw­erer Fehler. Ein Signal, dass der Westen zwar bellt, aber nicht beißt.

Es geht um die Interessen fremder Mächte

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