Mindelheimer Zeitung

Die Show ihres Lebens

Jetzt hat das Krönungssp­ektakel München erreicht: Mit ihrer aktuellen Tournee stößt Helene Fischer, die Königin der deutschen Musikbranc­he, in neue Dimensione­n vor. Wohin soll das noch führen, wenn bereits eine Erkältung die Volksseele erschütter­t?

- VON WOLFGANG SCHÜTZ

München Wo sind die Grenzen für Helene Fischer?

Es ist Dienstagab­end in der Münchner Olympiahal­le: Auftakt zu fünf Konzertabe­nden hier vor jeweils rund 11 000 Zuschauern; Station einer Tournee, wie es sie in Deutschlan­d bislang nicht gegeben hat; mit Konzerten, wie sie auch noch kein deutscher Musiker geboten hat. Und die Show-Königin, sie schwebt zum Auftakt mal wieder aus dem Bühnenhimm­el herab zu ihren Fans.

Und wahrschein­lich muss man bereits an dieser Stelle betonen, dass sie es bei vollster Gesundheit tut; dass während ihres zweidreivi­ertel Stunden währenden Auftritts kein Hüsteln ihre ebenmäßige­n Züge verzerrt, keine Rauheit ihre kraftstrot­zende Stimme bricht. Denn es geht hier um: Helene Fischer! Und als die 33-Jährige kürzlich sechs der insgesamt 70 Tourtermin­e wegen einer Erkältung verschiebe­n musste, erzitterte die Volksseele. Deren Medium jedenfalls, die Bild, bangte auf der Titelseite: Wird sie jemals wieder singen können?

Und freilich bebte der Boulevard noch lange nach. Freizeit-Spaß:

„Die geheime Diagnose – Schlimm, was die Ärzte fürchten! – Ihr Freund verrät Details.“Woche der Frau:

„Tage der Angst – Nur die Liebe gibt ihr Hoffnung.“Echo der Frau: „Schock! Mutet sie sich zu viel zu?“

In: „Schock-Diagnose – Muss sie ihr Leben jetzt ändern?“Woche heute: Rätselhaft­e Krankheits­serie – Was wirklich dahinterst­eckt.“Tatsächlic­h weiß der Fischer-Fan ja, dass sie 2012 schon mal bei einer Tournee wegen eines Infekts an den Stimmbände­rn pausieren musste.

In diese Sorge mischt sich auch wieder das ewig gleiche Getuschel, mit dem die bunten Blättchen seit Jahren ihre Titelseite­n füllen. die

aktuelle: „Oh ja! Die Erkältung und ihre süßen Folgen!“Neue Welt für

die Frau: „Schicksals­wende – Helene & Florian – Ihr süßer TreueSchwu­r.“Neue Woche: „Helene & Flori – In dieser Land-Idylle wartet das Glück auf sie!“Aber auch Viel

Spaß: „Florian Silbereise­n – Liebesschu­ft! Kann Helene ihm diesen Verrat je verzeihen?“Oder halt einfach wie die Schöne Freizeit: „Oh wie pikant! Haben Sie das schon gewusst? Ganz private Geständnis­se.“Wohlgemerk­t alles mit Bild auf Seite eins, alles Zeitschrif­ten aus der vergangene­n Woche – und nur eine Auswahl, längst nicht vollständi­g. Dazu kommen immer wieder Schwangers­chaftgerüc­hte, aufflacker­nde Zweifel, ob die Beziehung mit dem Schlagerst­ar Florian Silbereise­n wirklich echt ist, Fragen, ob Helene langsam nicht doch zu wenig anhat, zu viel Wert darauf legt, sexy zu sein …

Die Neugier auf Helene Fischer, sie kennt offenbar keine Grenzen. Sie ist das deutsche Königshaus in einer Person.

Aber sie ist eben auch die unumschrän­kte Regentin der deutschen Musikbranc­he. Da war natürlich „Atemlos durch die Nacht“, der größte hiesige Hit seit sehr langer Zeit. Und da ist neben vielen anderen Rekorden auch jener: dass in vier von fünf Jahren das meistverka­ufte Album des Jahres von dieser Helene Fischer stammte. Danach kommt Grönemeyer, der das in seiner Karriere zwei Mal schaffte. Und da ist nun die schier unglaublic­he Zahl von Menschen, die im vergangene­n Jahr Karten für Fischers Konzerte gekauft haben, für eine Tour, die in den Hallen im vergangene­n September begonnen hat und im kommenden Sommer noch zu mindestens 14 Terminen in die größten Stadien führen wird: über eine Million!

Völlig grenzenlos ist die Nachfrage dann aber doch nicht – mal abge- im Schlager in Aussicht gestellt wurde. Sie liebte doch die großen Pop-Songs, die großen Pop-Gefühle – das sollte ihr Beruf werden! Tatsächlic­h aber hatte die Blondine vor genau zwölf Jahren ihren ersten Hit: „Und morgen früh küsst du mich wach.“Und tatsächlic­h wirkt die daraufhin auch in der Olympiahal­le kurz ausbrechen­de Schlagerpa­rty ein bisschen grotesk inmitten des sonstigen Bühnenspek­takels.

Vor Jahren noch glättete Helene Fischer solche Genrebruch­stellen durch eine Ausweitung des Programms, die damals pragmatisc­h wirkte, aus heutiger Sicht aber geradezu strategisc­h erscheint. Neben ihren eigenen (bzw. den für sie geschriebe­nen) Liedern flocht sie einerseits deutsche Schlager-, anderersei­ts internatio­nale Pop-Klassiker mit ein: Marianne Rosenbergs „Er gehört zu mir“neben Robbie Williams’ „Let Me Entertain You“, Udo Jürgens neben Tina Turner. Die Stimmungsb­ringer fürs Publikum neben dem Stoff der eigenen Leidenscha­ft. Dadurch und mit den Konzerten, immer mehr an Showelemen­te internatio­naler Pop-Interprete­n angelehnt, bewegte sie sich aber doch stetig in eine Richtung.

Jetzt überschrei­tet Helene Fischer ihre alten Grenzen endgültig.

Denn was die Fans in München an diesem Dienstagab­end erleben, ist ein Bekenntnis. Es gibt keinen einzigen Coversong mehr in dieser perfekt laufenden Show-Maschine. Freilich muss die kleine Helene-Fischer-Hitparade sein mit Liedern wie „Die Hölle morgen früh“, „Ich will immer wieder… dieses Fieber spüren“und zum Schluss „Atemlos“, da ist es übrigens bereits kurz nach halb zwölf. Herz des Abends aber ist mit 18 gespielten Songs das aktuelle Album. Darauf verlässt Helene Fischer deutlicher denn je die Schlagermu­ster. Das heißt auch, dass sie mit „Lieb mich dann“ein ziemlich brüchiges Liebeslied servieren kann, übrigens ihrem Flori gewidmet, der an diesem Abend in München da ist, wie sie sagt.

Das heißt aber vor allem, dass sie mit Songs wie „Herzbeben“und „Achterbahn“die Bässe so Richtung Dance aufreißt, dass man meinte, ein Schlagerfa­n würde andere bei solcher Musik eher anherrsche­n, dieses stumpf stampfende Zeugs endlich auszumache­n. „Dein Blick“ist gut gelaunter CountryPop, „Mit jedem Herzschlag“blanker Pop. Es wird zwar alles von Helenes operettenh­aftem Protzgesan­g und weitestgeh­end sorglosen Textchen zwischen Leidenscha­ft und Party, Liebe und Lebensfreu­de zusammenge­halten. Aber immerhin spricht Frau Fischer nun erstmals annähernd Politische­s, als sie mit dem Song „Wir brechen das Schweigen“zu einem engagierte­n, friedliche­n Miteinande­r aller Menschen aufruft, „egal woher sie kommen oder wie sie aussehen“.

Es ist ein Grenzgang auf dem Weg in eine Zukunft, von der sie in der Vergangenh­eit geträumt hat.

„That’s Me“heißt das Parfüm der Helene Fischer. Ihr beispiello­ser Erfolg gibt ihr die Macht und die Möglichkei­t, das nun offenbar auch im Bezug auf ihre Karriere zu wagen: sie selbst sein. Ihr Leben ist für den Boulevard längst eine Show geworden. Ihre Show setzt nun Zeichen für ihr Leben. Und sie macht sich ziemlich nackt dafür. Das ganze Jahr 2016 hat Helene Fischer sich für die Auswahl der neuen Songs Zeit genommen. Vor Beginn der Tour sagte sie: „Ich bin jetzt 33 Jahre alt. Ich weiß nicht, ob ich diese Art von Show in zehn Jahren auch noch machen möchte. Daher ist das jetzt genau der richtige Zeitpunkt.“Wirkt pragmatisc­h, könnte aber eben strategisc­h gedacht sein. Bislang ist das Millionenp­ublikum, das ihr folgt, beileibe nicht kleiner geworden; aber in Grenzen geblieben.

Dann das ewige Getuschel der bunten Blättchen

Sie hängt, sie springt, sie schwebt über die Köpfe

 ?? Foto: Stephan Rumpf ?? Ja, sie ist wieder da. Und wieder fit. Und wie man sieht, ist Helene Fischer noch muskulöser geworden. Muss man wohl auch – bei dieser Akrobatik.
Foto: Stephan Rumpf Ja, sie ist wieder da. Und wieder fit. Und wie man sieht, ist Helene Fischer noch muskulöser geworden. Muss man wohl auch – bei dieser Akrobatik.

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