Bundestag will Pannenserie im Fall Amri aufklären
Warum konnte der Attentäter nicht gestoppt werden? Im Untersuchungsausschuss droht Streit mit der AfD
Berlin Der Anschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt im Dezember 2016 wäre „vermeidbar gewesen“, glaubt der CSU-Sicherheitspolitiker Stephan Mayer. Dass es im Umgang mit dem späteren Attentäter Anis Amri bei den deutschen Sicherheitsorganen zu einer unglaublichen Serie von Pannen, Fehlern und falschen Entscheidungen gekommen ist, daran gibt es ja längst keinen Zweifel mehr – immer neue, teils haarsträubende Fälle von Behördenversagen kommen ans Licht. Doch umfassend aufklären, was genau im Umgang mit dem längst als Gefährder bekannten Islamisten aus Tunesien schiefgelaufen ist und warum, das will ab heute ein Untersuchungsausschuss des Bundestags.
Neun Abgeordnete aus allen im Parlament vertretenen Fraktionen werden in den kommenden Jahren aufzudecken versuchen, wo die Lücken im deutschen Sicherheitsnetz sind und wie sie geschlossen werden können. Union, SPD, Grüne, FDP und Linke hatten sich zuvor auf einen breit gefassten Untersuchungsauftrag geeinigt. Es geht um ein „Gesamtbild“, das auf den bisherigen Aufklärungsbemühungen aufbauen, aber über diese hinausgehen soll. Unter anderem hatten sich Untersuchungsausschüsse in Berlin und Nordrhein-Westfalen bereits an die Ursachenforschung im Fall Amri gemacht. Stephan Mayer, der als Obmann der Unionsfraktion im Ausschuss vertreten sein wird, kündigte in einem Pressegespräch an, es gehe nicht darum, „irgendwem den Schwarzen Peter zuzuschieben“, sondern darum, Defizite in der Sicherheitsarchitektur zu beheben.
Geklärt werden solle etwa, warum Anis Amri trotz der zahlreichen Straftaten, die er begangen hatte, sowie der Hinweise auf seine Gefährlichkeit nicht festgesetzt und abgeschoben wurde. Trotz vieler Anzeichen für Terror-Pläne, die verschiedenen Behörden vorlagen, konnte der Islamist mit Kontakten zur Terrormiliz Islamischer Staat mit einem entführten Lastwagen das Blutbad mit zwölf Todesopfern und zahlreichen Verletzten anrichten. Als Reaktion auf den Anschlag habe es ja bereits Konsequenzen gegeben, so Mayer, etwa das „Gesetz zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht“oder die Möglichkeit, Gefährder mittels elektronischer Fußfessel zu überwachen. Doch dabei dürfe es nicht bleiben, die nötige „Neujustierung der Sicherheitsarchitektur“sei längst nicht abgeschlossen.
„Denkbar schlecht geeignet“sei der Untersuchungsausschuss allerdings für „parteipolitische Profilierungsversuche“, warnt Mayer – wohl nicht ohne Grund. Armin Schuster (CDU), der den Ausschuss leiten wird, befürchtet, dass die AfD den Ausschuss als Plattform für eine Generalabrechnung mit der Flüchtlingspolitik der Bundesregierung missbrauchen wird. Dies werde er nicht zulassen, sagte Schuster, das Gremium sei kein Ort für „dumpfe Parolen“.
Der Ausschuss, der heute vom Bundestag eingesetzt werden und am Abend seine Arbeit aufnehmen soll, werde sich gleich zu Beginn mit Überlebenden des Anschlags und Angehörigen der Todesopfer treffen, so Schuster – zusammen mit Kurt Beck, dem Opferbeauftragten der Bundesregierung. Denn das Gremium solle sich auch damit beschäftigen, was im Umgang mit Opfern verbessert werden kann. „Wer ein Herz im Körper hat, kann sich einer Reaktion nicht verschließen“, sagt Schuster – dies habe er im Untersuchungsausschuss zur TerrorSerie des NSU-Trios erlebt. Ab Mitte März sollen dann drei Sachverständige, darunter ein Islamismus-Experte, in das Thema einführen. Anschließend sollen die Zeugenvernehmungen beginnen. Der Ausschuss hat eine Mammutaufgabe vor sich – bereits jetzt zeichnet sich ab, dass seine Arbeit wohl die gesamte Legislaturperiode in Anspruch nehmen wird.