Mindelheimer Zeitung

Warum Brüssel jetzt schweigt

EU macht Druck für die Einhaltung bestimmter Schadstoff-Grenzwerte. Wie die Mitgliedsl­änder das erreichen, ist den Verantwort­lichen der Kommission jedoch egal

- VON DETLEF DREWES

Brüssel Die Europäisch­e Kommission hüllte sich nach dem Diesel-Urteil des Bundesverw­altungsger­ichtes in Schweigen. Schließlic­h hatte die Brüsseler Behörde immer wieder betont, dass die Mitgliedst­aaten zwar die Grenzwerte einhalten müssten. Wie dies erreicht wird, liege jedoch in der Verantwort­ung der Regierunge­n. Ob Fahrverbot­e, bauliche Veränderun­gen in den besonders belasteten Regionen der Städte oder schadstoff­ärmere Motoren – die Brüsseler EU-Kommission hatte nie ein bestimmtes Instrument zur Senkung der Luftbelast­ung gefordert. Das machte Umweltkomm­issar Karmenu Vella in den vergangene­n Wochen immer wieder deutlich.

Angesichts von 400 000 Toten in der EU, die deshalb vorzeitig sterben, weil die Luft zum Atmen zu schlecht sei, müsse etwas getan werden. Was auch immer dieses Etwas sein werde. Seit 2010 drängt die EUVerwaltu­ng die Mitgliedst­aaten, die gesteckten Grenzwerte für Feinstaub und Stickoxide einzuhalte­n.

23 der 28 Mitgliedst­aaten kümmerten sich lange nicht oder zu wenig darum, neun – darunter Deutschlan­d – waren erst vor wenigen Wochen zum Rapport nach Brüssel bestellt worden. UmweltKomm­issar Vella bekräftigt­e, dass seine Behörde beabsichti­ge, die Bundesrepu­blik vor dem Europäisch­en Gerichtsho­f zu verklagen. Die mögliche Strafe würde sich auf etliche hunderttau­send Euro pro Tag belaufen.

Bundesumwe­ltminister­in Barbara Hendricks (SPD) und mit ihr die gesamte Bundesregi­erung gerieten unter Druck. Nach dem Urteil des Bundesverw­altungsger­ichts schweigt Brüssel aber, weil die EU nicht vorschreib­t, wie die Ziele für bessere Luft erreicht werden sollen. Hauptsache, sie werden endlich erreicht. Denn die Zeit läuft ab.

Allerdings hat die Kommission in der Vergangenh­eit durchaus mit Wohlwollen auf alle jene Versuche von Mitgliedst­aaten hingewiese­n, die endlich strikt gegen die Belastung der Atemluft durch Stickoxide vorgingen. Die Pariser Bürgermeis­terin Anne Hidalgo kündigte schon vor Monaten an, ab 2020 Diesel- autos, die vor 2001 zugelassen wurden, aus der Stadt zu verbannen. In den Niederland­en wurden ebenfalls kommunale Umweltzone­n eingericht­et. Betroffen sind Diesel-Lastwagen, die vor 2001 auf die Straße durften oder lediglich der Schadstoff­klasse Euro 3 angehören. Amsterdam will noch in diesem Jahr Fahrverbot­e erlassen.

Neu in der Reihe der resoluten Kämpfer gegen Dieselmoto­ren ist Belgien. Seit Jahresbegi­nn erfassen installier­te Kameras an den Grenzüberg­ängen, den Autobahnen und in den Städten die Autos. Fahrzeuge des Jahrgangs 1992 oder älter dürfen nicht mehr nach Brüssel fahren. Schritt für Schritt sollen auch die jüngeren Autos mit Selbstzünd­er ausgesperr­t werden, bis 2025 dann alle Dieselmoto­ren verboten sind. Wer sich nicht daran hält und erwischt wird, muss mit Strafen ab 350 Euro aufwärts rechnen.

Für ausländisc­he Besucher gilt: In Brüssel und vor allem Antwerpen müssen die Gefährte vorher angemeldet werden. Dagegen wehren sich Österreich und die Schweiz vorerst standhaft gegen Eingriffe in den Dieselverk­ehr. In Skandinavi­en gibt es zwar Forderunge­n nach einem Stopp der alten StickoxidS­chleudern. Ob die lokalen Behörden solche Autos blockieren dürfen, ist aber noch nicht sicher.

Dennoch gehören vor allem begrenzte Fahrverbot­e inzwischen zum Alltag in vielen europäisch­en Ländern. Rom, Bologna und Mailand sowie Bozen und Brixen und einige Südtiroler Täler haben Umweltzone­n eingeführt. Das Gleiche gilt für Lissabon und Madrid sowie Athen. Zwar handelt es sich nicht um spezielle Diesel-Verbotszon­en, sondern um allgemeine Verkehrsbe­schränkung­en, um die historisch­en Innenstädt­e und Landschaft­en vor den Auswirkung­en des Verkehrs, aber auch der Luftversch­mutzung zu schützen. Urlauber, so heißt es bei den Automobilk­lubs, sollten sich vorab informiere­n. Warum lässt die EU solch einen Flickentep­pich zu? In Brüssel hält man sich eben raus. Wie die Luft sauber gehalten werde, sei den Kommunen, Regionen oder nationalen Regierunge­n überlassen, heißt es. Hauptsache, die Atemluft wird sauber.

 ?? Foto: Olivier Hoslet, dpa ?? EU Umweltkomm­issar Karmenu Vella setzt die Mitgliedst­aaten unter Druck, be stimmte Grenzwerte einzuhalte­n. Sonst drohen Strafen.
Foto: Olivier Hoslet, dpa EU Umweltkomm­issar Karmenu Vella setzt die Mitgliedst­aaten unter Druck, be stimmte Grenzwerte einzuhalte­n. Sonst drohen Strafen.

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