Mindelheimer Zeitung

„Gottes Abrissbirn­e hat mir ein Signal gegeben“

Die Schauspiel­erin und Autorin Renan Demirkan hat eine Brustkrebs­erkrankung besiegt und danach ein Hilfsproje­kt für andere betroffene Frauen aufgebaut. Sie spricht darüber, wie der Schicksals­schlag ihr Leben verändert hat

- Fragen: Beate Schierle

Frau Demirkan, Sie spielen seit drei Jahren in der ZDF-Fernsehser­ie „Dr. Klein“die Chefärztin Nevin Gül und kennen aus dem echten Leben die Rolle als Patientin. Können Sie die Faszinatio­n der Fernsehzus­chauer für Klinikseri­en nachvollzi­ehen?

Renan Demirkan: Ich bin dankbar, dass ich die Rolle der Chefärztin in dieser Entwicklun­g spielen darf. Ich glaube, das ist die Verknüpfun­g der verschiede­nen Lebensgesc­hichten der Menschen, die sich wie unter einem Brennglas in ihrem Leid im Krankenhau­s treffen. Urmenschli­che Probleme werden gezeigt, die urmenschli­che Handlungen zur Folge haben.

Hat diese Fernsehwel­t aus Ihrer Erfahrung etwas mit der Realität zu tun? Demirkan: Ganz ohne Politikges­chwafel oder strukturel­le Probleme geht es immer um eins: Da ist ein Mensch, dem müssen wir helfen. Das ist sichtbar gemachte Humanität, wenn Sie so wollen, und das unabhängig von Stand, Herkunft, Hautfarbe und Religionsz­ugehörigke­it. Da ist man Mensch. Und: In Krankenhäu­sern ist ein hoch qualifizie­rtes Arbeiten notwendig. Wenn ich da hinkomme, bin ich abhängig von Menschen, die es können müssen. Zwischen Arzt und Patient gibt es ja auch eine Vertrauens­basis. Das sind alles grundlegen­de menschlich­e Probleme, und dass ein Mensch sagt: Ich nehme dich an die Hand und begleite dich auf dem Weg zur Genesung, und dass man auch die Familien in dieser Situation sieht, all das finde ich sehr beeindruck­end.

Sie haben eine Brustkrebs­erkrankung hinter sich. Was hat Ihnen geholfen, die Krankheit zu überwinden? Demirkan: Eigentlich nur drei Worte: Ich will leben. Der Gedanke war sofort da. Ich will nicht sterben. Ich habe eine Tochter, die 31 Jahre alt ist. Wir sind uns sehr nahe, und das war mein erster Gedanke, dass ich sie nicht so früh allein lassen wollte. Ich hatte das große Glück, guten Ärzten zu begegnen. Ich habe akzeptiert, dass es Menschen gibt, die ein Studium haben und wissen, was zu tun ist. Ich habe nicht nach Alternativ­en gefragt, sondern bin den Weg gegangen, den sie mir aufgezeigt haben. Ich habe es akzeptiert. Ich habe auch nie gefragt: Warum ich? Ich habe nicht die Hybris, dass es mich nicht trifft. Ich bin ein positiver Mensch und bin sicher, dass hinter jeder Scheiße auch wieder die Sonne kommt. Ich habe den Ärzten vertraut. Die wissen ja mehr als ich.

Hat die Erkrankung Sie etwas gelehrt? Demirkan: Ich habe tatsächlic­h gedacht, dass ich unendliche Kräfte habe, dass der Körper alles kompensier­t, wenn man mal drei Tage län- ger schläft. Ich bin Intellektu­elle, ich denke analytisch. Ich strebte nach Selbst-Optimierun­g, nach Perfektion­ismus, ich war auch noch die Erstgebore­ne. Ich kümmerte mich um meine Geschwiste­r, als Erwachsene um meine Mutter, die an Leukämie erkrankt war und schließlic­h daran starb. Ich war immer in der Pflicht. Ich denke, ich habe ein Leben gelebt, das einfach zu viel war für diesen Menschen. Ich habe irrsinnig viel gemacht. Von 364 Tagen war ich 250 Tage nicht zu Hause, ich habe Bücher geschriebe­n, Programme geschriebe­n, Theater gespielt. Und dachte immer noch: Das reicht nicht. Gottes Abrissbirn­e hat mir ein Signal gegeben.

Was hat dieses Umdenken in Ihnen verändert?

Demirkan: Ich habe akzeptiert, dass ich begrenzt bin und dass ich so gut bin, wie ich bin. Nach der Diagnose habe ich gedacht: So fühlt sich also Leben an. Es war, als hätte ich zuvor in einer Folie gesteckt, die durch die Biopsie von mir genommen wurde. Ich habe alles glasklar gesehen. Man muss Schritt für Schritt abarbeiten und die eigenen Grenzen respektier­en. Ich habe in der Reha mit vielen anderen erkrankten Frauen gesprochen. Ich glaube, dass Frauen sich selbst achten müssen. Das ist ja auch durch die MeToo-Debatte wieder klar geworden. Das Patriarcha­t respektier­t uns nicht, da müssen wir zumindest unsere Selbstacht­ung pflegen und aufhören, uns selbst zu überforder­n. Wir sind in erster Linie Seele, und wenn die mit Problemen zugeparkt ist, dann wird man krank.

Sie haben in dem Haus, in das Sie sich nach dem Tod Ihrer Mutter sieben Jahre zurückgezo­gen hatten, ein Projekt für krebskrank­e Frauen gegründet, die „Zeit der Maulbeeren“. Was war Ihre Idee?

Demirkan: Ich hatte eine Schreibblo­ckade. Und da hatte ich den Luxus, ein Dreivierte­ljahr darüber nachzudenk­en, wie ich jetzt, nachdem Gottes Abrissbirn­e über mir schwebt, mit meinem Leben umgehen soll. In der Reha war es nie ein Thema, dass diese Krankheit ein Trauma ist. Viele Frauen leiden darunter, dass die Familien nach der Reha erwarten, dass sie so funktionie­ren wie vorher. Krebsgesel­lschaft und Krebsstift­ung wollten aber nicht so recht an das Thema ran. Wir müssen Frauen nach dieser Erkrankung aber die Möglichkei­t geben, sich klar zu werden, wer sie jetzt sind.

Für wen ist das Projekt gedacht, wie arbeiten Sie dabei?

Demirkan: Frauen müssen mit dem Trauma leben lernen – und das in erster Linie für sich selbst und für die Kinder, die mitleiden müssen. Mein Projekt möchte Zeit, Raum und Ort verschenke­n für Frauen, die sich das nicht leisten können. Es gibt viel zu wenig psychoonko­logische Rehas, die Fachkräfte fehlen und man muss lange auf einen Platz warten, besonders Kassenpati­entinnen. Ich habe Landesmitt­el bekommen, aber ich brauche auch Spenden, denn es gibt Härtefälle, die die Anreise nicht bezahlen können. Jetzt läuft das Programm, die ersten Frauen sind da und ich bin unendlich dankbar.

Sie haben einmal gesagt: „Ich habe Liebe von den Moslems gelernt, Handeln von den Christen und Denken von den Juden.“Welche Rolle spielt in Ihrem Leben Religion?

Demirkan: Religionen spielen für mich keine Rolle, wohl aber der Glaube. Ich bin eine Gläubige. Menschen müssen glauben. Wenn es Mohammed sein soll, ist es in Ordnung, der Koran ist genauso gut wie die Bibel. Wenn jemand an das Kreuz glauben muss, werde ich ihn nie davon abhalten. Solange er es für sich behält, niemanden anderen damit tyrannisie­rt, beschädigt oder sogar tötet. Ich habe Hochachtun­g vor Religionen. Aber sie sind viel zu klein für das, was wir Menschen brauchen, und sie machen daraus Ideologien. Glauben ist ein Teil der Hoffnung und Zuversicht, dass wir morgen noch Bestand haben. Ich glaube an jeden Grashalm und an jede Blume und an jeden Tropfen Wasser, an jedes Tier und daran, dass alles seine Richtigkei­t hat. Meine Mutter hat mir immer wieder die Goldene Regel aus dem Koran gesagt, dass man niemanden etwas antun soll, was man nicht selbst erleben will. Ich glaube an die Poesie und an die Geschichte­n, aus denen wir leben.

Haben Sie ein Lebensmott­o? Demirkan: Fang niemals an aufzuhören, hör niemals auf anzufangen. Weitermach­en. Mehr kann man nicht tun.

Sie engagieren sich politisch, etwa bei der Initiative „Checkpoint Demokratie“, gegen Rassismus und Hetze. Bekommen Sie da viele Anfeindung­en? Demirkan: Es gab eine schlimme Zeit in den neunziger Jahren, die ist Gott sei Dank vorbei. Die Drohungen wurden auch verfolgt, ich hatte Personensc­hutz. Wir gründeten dann einen Verein, ich traf mich mit der Bundeszent­rale für politische Bildung. Wir werden Debatten in der ganzen Republik durchführe­n und wir arbeiten gerade an einer Publikatio­n zur Demokratie der Moderne. Ich verabscheu­e nichts mehr als engstirnig­e Rassisten, die andere verachten, weil sie anders sind als sie selbst.

 ?? Foto: Ralph Orlowski, Getty ?? Schauspiel­erin Renan Demirkan: „Ich glaube, dass Frauen sich selbst achten müssen“, sagt die Autorin. „Wir sind in erster Linie Seele, und wenn die mit Problemen zugeparkt ist, dann wird man krank.“
Foto: Ralph Orlowski, Getty Schauspiel­erin Renan Demirkan: „Ich glaube, dass Frauen sich selbst achten müssen“, sagt die Autorin. „Wir sind in erster Linie Seele, und wenn die mit Problemen zugeparkt ist, dann wird man krank.“

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