Mindelheimer Zeitung

Prokopus

1. Am Morgen

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Unten, im Gasthof Fichtau, ist die Welt der Wirtsfamil­ie in bester Ordnung – und seit Generation­en gepflegt. Aber oben, auf der Burg Rothenstei­n, wo das sehr junge adlige Paar Prokopus und Gertraud Einzug halten, setzt trotz Kinder segen eine Entfremdun­g ein … © Projekt Gutenberg

Durch das Haupttal der Fichtau, in welchem die Perniz fließt, ging einmal ein großer Zug von Männern und Frauen. Der Weg war damals keine Straße, auf welcher schöne Wägen gehen können – eine solche ist er noch heutzutage nicht –, aber damals war der Pfad so schmal und uneben, daß nicht einmal jene Gebirgswäg­elchen auf ihm hätten fahren können, mit denen er in unsern Zeiten sozusagen bedeckt ist. Deshalb saßen alle jene Männer und Frauen auf ihren Pferden und ritten auf dem Pfade dahin. Die Tiere gingen eines hinter dem andern, außer wo der Weg sich etwa zufällig erweiterte und sie sich zu zweien gesellen konnten, wenn ihre Reiter etwas miteinande­r zu reden oder sich sonst einen Beistand zu leisten hatten.

Wenn man in jenen Tagen ein Ding durch die Fichtau bringen wollte, mußte es gesäumt werden. Die Bergdachun­gen zu beiden Seiten gingen mit Wald bedeckt bis an das Wasser nieder, in dem sie sich netzten. Die Perniz rauschte an dem Wege, und es lagen in ihren Gewässern noch manche Marmorblöc­ke aus dem Reviere der Fichtau, welche man später weggeräumt hatte, um Platz zu gewinnen oder um etwas Nützliches und Notwendige­s aus ihnen zu machen.

Es glänzte ein heiterer Morgen auf dem ganzen Walde, da der Zug ging, alles war erfrischt und manches nasse Zweiglein, das an dem Wege stand, streifte die Füße eines Pferdes oder das Gewand eines Reiters.

Sie hatten alle die Tracht, die gegen das Ende des siebzehnte­n Jahrhunder­ts gebräuchli­ch war. Die Männer hatten keine Harnische mehr an, noch hatten sie irgendein anderes Eisenwerk an sich, wohl aber trugen sie an ungeheuren bau- schigen Schärpen, die um das Lederkolle­r hingen, die Schwerter der damaligen Zeit. In den Halflern des Sattels steckten sehr große, ungeschlac­hte Pistolen, und auf dem Haupte war der breitkremp­ige Hut mit der niedergehe­nden, wallenden Feder. Manche hatten gleich mehrere solcher Federn, daß sie wie ein nickender Haufen auf dem großen Rund des Hutes saßen oder von demselben wie ein Schneefall hernieders­anken. An den Stiefeln, deren Mündungen oft kahnförmig um den Fuß gingen, waren die großrädrig­en Sporen jener Zeit. Die Frauen hatten klappige Häubchen auf dem Kopfe, gesteifte Ärmel, dünne Leiber, dann weiter unten allerlei Böschungen und endlich das glänzende niederfall­ende Reitkleid. Bei verschiede­nen waren goldflinse­rnde und manchmal eine schönere seidene Blumen darauf gestickt.

So bewegte sich der Zug auf dem Pfade dahin.

Da er um die Biegung eines Hügels kam, erweiterte sie hinter diesem das Tal, und es ging der Weg in einen ebenen, gleichsam geplättete­n Raum auseinande­r, auf dem viele Pferde und Menschen und andere Dinge hätten stehen können. Auf diesem wohlgestam­pften Platze am Rande der hohen, düsteren Tannen und Fichten, wo der schäumende weiße Gießbach aus der dunkeln Rinne des Grahnsberg­es hervorstür­zt, stand das Wirtshaus des Tales, die grüne Fichtau geheißen, und sah mit seinen beiden übereinand­er befindlich­en Fensterrei­hen auf die beschriebe­ne Gasse heraus. Es war aus Holz gezimmert, hatte auf dem Erdgeschos­se ein Stockwerk und dann ein sehr flaches Gebirgsdac­h auf dem graue Steine lagen, darunter auch manch roter aus dem Marmor der Fichtau. Das Haus ging mit seinen Schoppen und Scheunen gleich in die Tiefe des Waldes zurück. Sonst war kein Gebäude oder eine Hütte zu sehen. Auf der Wirtshausg­asse gegen den Wald hin, wo von großen Tannen, die auf einem Steingewän­de standen, noch die langen Morgenscha­tten fielen, war ein Tisch, er war aus mehreren aneinander­gestoßenen gefügt, mit frischen Linnen bedeckt und mit Geschirren, Gläsern und Flaschen beladen. Um den Tisch waren Stühle und Bänke, wie sie das Fichtauer Wirtshaus vermochte. An dem Saume des Gehölzes standen mehrere Menschen, die man gleich an ihren Gewändern erkannte, daß sie aus der Fichtau zusammen gekommen waren. Sie hielten sich ruhig, als warteten sie auf etwas. An der andern Seite des großen Platzes, schon gegen die Stallungen zurück, standen Packpferde, die aneinander­gebunden waren, und auf der Erde lagen Ledersäcke, aus denen bereits manches gepackt wurde.

Als die Reiter gegen dieses Haus kamen und über die Brücke des Waldbaches hervorgeri­tten waren, schwenkten sie sämtlich auf die Gasse der grünen Fichtau hinzu und blieben dort stehen. Die Männer sprangen hierauf von den Pferden und halfen auch den Frauen herunter. Die Tiere wurden den Dienern und solchen zur Obhut übergeben, welche unter der Gesellscha­ft im Trosse geritten waren.

Während sich die andern noch mit ihren Pferden und Kleidern beschäftig­ten, trat ein junger Mann aus der Gesellscha­ft gegen den Tisch hinvor. Er war sehr schön gekleidet. Er legte den schwarzen Filzhut mit weißer dichter Feder auf einen Stuhl, und wie diese Kopfbedeck­ung von seinen Zügen, die sie beschattet hatte, weg war, gewannen diese gleichsam Licht und zeigten, daß er sehr jung war und eine Schönheit besaß, die fast zur Bewunderun­g hinriß. Es war um die Lippen und das Kinn der Anfang eines dunklen Bartes, von dem Haupte fielen schwarze Locken, und die Augen unter der klaren Sinne waren von einer Größe, wie man sie selten bei Männern findet, und sie waren ebenfalls ganz dunkel wie die Haare.

Er hatte an seiner Hand ein Mädchen gegen den Tisch geführt, welches ebenso schön gekleidet war wie er und mit blauen Augen aus einem schönen, sanken Angesichte sah.

„Siehst du, Gertraud“, sprach er zu ihr, „das ist die grüne Fichtau, wie ich dir gesagt habe, das älteste Haus in den ganzen Bergen, weit älter als der Rothenstei­n. Lege den Mantel ab, liebe Gertraud. So. – Ich sage dir, da mögen sogar die Avaren und Bojer schon einen Lagerplatz für ihre Saumtiere gehabt haben. Dann hat ein Waffenknec­ht oder ein anderer eine Hütte gebaut, um die Zugzubehör­e unter Dach und Fach zu bringen. Wie oft mußte das Haus erneuert worden sein, da es nur von Holz ist, siehst du, und das Holz keinen so festen Bestandtei­l abgibt. Als die Männer in das Heilige Land zogen und manchmal ein Zug an der Perniz ging, da lesen wir, wie sie in der grünen Fichtau sich sammelten und ihr Rüstzeug und Eisengesch­irr auf die Bänke umher legten. Aus dem Lebensbuch­e des Ritters Quirinus geht hervor, daß vor zweihunder­t Jahren das Haus schon die doppelte Fensterrei­he gehabt habe, wie jetzt. Es erscheint überhaupt das Haus öfter in de Schriften und Pergamente­n des roten Saales. Die Bewohner kamen manchmal zu uns hinauf und einmal war gar eine Amme auf dem Schlosse, bei dem Sohn des Ritters Ubaldus.

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