Indisches i Tüpfelchen
Das 34. Internationale Schachfestival in Bad Wörishofen wird seinem Namen gerecht. Hier treffen sich Spieler aus aller Welt. Heimlicher Star ist diesmal eine neunjährige Inderin
Bad Wörishofen 6405 Kilometer Luftlinie. Das ist die Distanz zwischen Mumbai und Bad Wörishofen. Die Distanz, die Ashwini Gupta mit ihrer Tochter zurückgelegt hat, um am 34. ChessOrg Schachfestival in Bad Wörishofen teilzunehmen. Die Gegner: Großmeister, Menschen, die eine andere Sprache sprechen, teilweise 80 Jahre alt oder älter. Sara Gupta ist neun.
Mit ihr sprechen kann man nicht, geschweige denn ein Foto machen: Sara müsse sich konzentrieren, erklärt Mutter Ashwini. Seitdem sie fünf Jahre alt ist, spielt Sara Schach. „Schach ist ein toller Sport“, findet Ashwini Gupta. „Es ist nicht an Alter, Geschlecht oder körperliche Kraft gebunden.“Mutter und Tochter Gupta touren gemeinsam durch Europa. Sara wohnt zwar in Indien, spielt aber für den amerikanischen Verband. Die Turniere in Europa bestreitet sie aufgrund der Nähe. Lieber 6405 Kilometer nach Bad Wörishofen reisen als 13000 in die USA. „Italien, Aserbaidschan, Prag, Graz“, zählt Ashwini Gupta einige ihrer Stationen auf. „Hier in Bad Wörishofen hat man uns so gut aufgenommen“, sagt die Inderin und zeigt auf Jürgen Wempe, der vorbeiläuft.
Jürgen Wempe ist der Veranstalter dieses Turniers, viele Male war er bereits in Bad Wörishofen: „Normalerweise assoziiere ich dieses Turnier immer mit Frühling, aber dieses Jahr haben wir es etwas früher gemacht als sonst und das mit
Frühling war wohl nichts.“Draußen hat es minus 13 Grad, es liegt festgefrorener Schnee.
Drinnen im Kursaal rauchen die Köpfe. Zug um Zug wird analysiert, es herrscht Ruhe, höchstens mal unterbrochen von einem Husten oder Niesen. Es ist ein wichtiges Turnier, am Ende gibt es für den Sieger in der Open-Klasse 1000 Euro. Aber auch die B-Open und die Senioren gehen nicht leer aus: „Für Spieler der Senioren-Klasse ab sechzig Jahren gibt es einen Sachpreis.“Auf die Frage, was das konkret sei, antwortet Jürgen Wempe: „Kaffeevollautomaten, Notebooks und Ähnliches.“Kein Preis, den Sara Gupta gewinnen könnte. Sie tritt in der B-Open Klasse an, gegen Menschen, die teilweise achtmal so alt sind wie sie. „Sie soll die B-Open-Turniere als Vorbereitung für die Jugendturniere nutzen,“erklärt Ashwini Gupta. „Wir möchten, dass sie mentale
Stärke aufbaut.“Für Sara sei der Wettkampf gegen ältere Gegner nicht belastend. Erst, wenn sie gegen Gleichaltrige antrete, stünde sie unter Druck, verrät ihre Mutter. Nach Spaß hört sich das nicht unbedingt an. Dabei ist es für viele, die zum Turnier nach Bad Wörishofen kommen, genau das. „Ich denke, etwa 90 Prozent der Spieler machen das hobbymäßig“, schätzt Jürgen Wempe. Saras Mutter gibt zu: „Momentan spielt Sara der Punkte wegen. Ich möchte eigentlich, dass sie Spaß am Spiel entwickelt und die Punkte dann von selber kommen.“
Zurzeit hat Sara Hilfe beim Kampf um die Punkte: Großmeister Valeri Gaprindashvili aus Georgien. Er reist immer mit Sara und Ashwini Gupta: „Er fordert Sara, weil er als Kind nicht die Chance hatte, so professionell Schach zu spielen“, sagt Ashwini Gupta. Sie möchte, dass ihre Tochter anerkennt, welche Chancen aus dem Schachspiel für sie entstehen: „Durch die Reisen zu Schachturnieren wird Sara weltoffener. Ich möchte, dass sie eine starke Frau wird.“
In Wörishofen ist Sara eine der wenigen weiblichen Teilnehmerinnen, der Großteil der Spieler sind Männer. Darunter auch drei blinde Teilnehmer: „Sie spielen mit einem speziellen Brett, bei dem die schwarzen Felder Noppen haben, sodass die Teilnehmer das Spiel ertasten können“, erklärt Jürgen Wempe. Auch hier zeigt sich wieder: Schach ist ein Sport, der nicht an körperliche Vorgaben gebunden ist. Auch bei Gehörlosen beispielsweise erfreut sich Schach großer Beliebtheit. Und Schach wird weltweit gespielt. Das zeigt ein Blick auf die Liste der 288 Spieler, die Jürgen Wempe in Bad Wörishofen begrüßte. Teilnehmer aus zig Nationen, von Norwegen bis Italien, von Russland bis Großbritannien, nehmen am Schachfestival teil. Während des Schachturniers gibt es in Bad Wörishofen eine ethnische Diversität, wie man sie sonst eher aus Großstädten kennt.
Dass sie außerhalb des Turnieres in der 17000-Seelen-Stadt jemanden aus Indien treffen, damit hat Ashwini Gupta allerdings nicht gerechnet: „Wir kamen spät abends hier am Bahnhof an und wussten nicht, wie wir zum Hotel kommen sollten. Das Personal vom Restaurant am Bahnhof, La Stazione, war sehr hilfsbereit. Letztlich hat uns einer der Mitarbeiter zum Hotel gefahren. Er war auch Inder.“