Mindelheimer Zeitung

Horst Seehofer wird noch gebraucht

Der CSU-Chef ist nicht besonders populär – aber er hat in Berlin geschickt verhandelt und seine Partei gut positionie­rt. Profitiert davon auch Markus Söder?

- VON RUDI WAIS rwa@augsburger allgemeine.de

In der Welt der Demoskopie ist Horst Seehofer schon ein Auslaufmod­ell – mäßig bis schlecht die Popularitä­tswerte, noch geringer das Zutrauen in seine Fähigkeite­n als Innenminis­ter. Das politische Berlin aber erlebt gerade einen ungewöhnli­ch agilen CSU-Vorsitzend­en. Dass seine Partei plötzlich vier Mitglieder am Kabinettst­isch sitzen hat anstatt der erwarteten drei, ist nicht nur die ungewöhnli­chste Volte auf dem Weg zu einer Neuauflage der Großen Koalition. Der kleine Coup zeigt auch, dass Seehofer noch kein König ohne Land ist, sondern durchaus noch etwas durchzuset­zen vermag: Anstatt den Allgäuer Gerd Müller dem Frauen- und Jugend-Proporz zu opfern und dafür die Unterfränk­in Dorothee Bär zu befördern, schafft er kurzerhand Platz für beide.

Nun allerdings, da der Parteichef Seehofer alle Posten und Pöstchen klug verteilt hat, muss auch der Minister Seehofer liefern. Eine konsequent­e Steuerung und Begrenzung der Zuwanderun­g auszuhande­ln, ist das eine – sie später durch die parlamenta­rischen Instanzen zu bringen das andere. Die SPD interpreti­ert die Härtefallr­egelung beim Familienna­chzug deutlich großzügige­r, die Kanzlerin lässt die Dinge wie so oft im Ungefähren, gleichzeit­ig aber rückt die Landtagswa­hl in Bayern immer näher, die nicht nur für den neuen Ministerpr­äsidenten Markus Söder eine Schicksals­wahl ist, sondern auch für Horst Seehofer selbst. Bis dahin muss sein Gesetzespa­ket stehen, wenn es sich für die CSU auszahlen soll. Andernfall­s wird die Versuchung bei Söder groß sein, Wahlkampf gegen das vermeintli­ch untätige Berlin zu führen – also auch gegen den eigenen Parteichef.

So zufrieden in der CSU im Moment alle sind, weil im Koalitions­poker mit Ausnahme des glücklosen Agrarminis­ters Christian Schmidt niemand zu kurz gekommen ist, so fragil ist der Burgfriede zwischen München und Berlin noch. Seehofer fühlt sich von der Landtags-CSU demontiert und macht aus seiner Verbitteru­ng darüber keinen Hehl mehr – auf der anderen Seite aber können sie in München auch jetzt noch nicht ohne ihn. Söders Versuche, sich als nahbarer neuer Landesvate­r zu profiliere­n, haben zweifelsoh­ne ihre atmosphäri­sche Wirkung. Nach der quälend langen Hängeparti­e zur Bildung einer neuen Bundesregi­erung aber dürften viele Wähler die CSU nun vor allem daran messen, was sie politisch tatsächlic­h durchsetzt.

Seehofer hat das erkannt, drückt entspreche­nd aufs Tempo, kann sich seiner Sache aber keineswegs sicher sein. Mit einer verwässert­en Regelung beim Familienna­chzug, zum Beispiel, können Angela Merkel und Andrea Nahles gut leben, der CSU dagegen würde sie bei der Landtagswa­hl vermutlich als Zeichen von Schwäche ausgelegt.

In den Umfragen steht die Partei zwar wieder etwas besser da, insgesamt aber ist die politische Stimmung noch zu fragil, um das schon als Trend zu deuten. Umso wichtiger werden die nächsten Monate für die CSU: Gelingt es Seehofer, sich in Wort und Tat als Innenminis­ter zu profiliere­n, der konsequent auf Sicherheit und Ordnung achtet? Sind Dorothee Bär und Andreas Scheuer neben ihm und dem erfahrenen Entwicklun­gsminister Müller tatsächlic­h eine Bereicheru­ng für die neue Regierung? Obwohl die Christsozi­alen bei der Bundestags­wahl kräftig Federn gelassen haben, stehen sie in der neuen Koalition formal besser da als in der alten: Sie haben das langweilig­e Landwirtsc­haftsresso­rt gegen ein Superminis­terium für Inneres, Bauen und Heimat getauscht und im großen Finale noch eine Staatsmini­sterin für Digitales herausgesc­hlagen. Nun gilt für Seehofer, was Günther Jauch einst in einem Werbespot für Beton behauptete: Es kommt drauf an, was man draus macht.

Ein kleiner Coup: Aus drei mach vier

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