Mindelheimer Zeitung

Aus Ich und Ich wird noch längst kein Wir

Jetzt steht also der Fahrplan für die Amtsüberga­be in Bayern. Das heißt auch: Die neue Doppelspit­ze nimmt Formen an. Doch zwischen Horst Seehofer und Markus Söder klafft ein tiefer Abgrund. Warum dies eine ziemlich paradoxe Situation ist

- VON ULI BACHMEIER UND SONJA KRELL

München/Donauwörth Sie haben nicht mehr viel geredet miteinande­r – nicht in den vergangene­n Tagen, nicht in den vergangene­n Wochen und Monaten. Die Kontakte zwischen Horst Seehofer und Markus Söder beschränkt­en sich aufs Unvermeidl­iche, zum Beispiel auf Kabinettss­itzungen in München. Je nach Empfindsam­keit beschreibe­n andere Mitglieder des Kabinetts den Umgang der beiden politische­n Alphatiere der CSU als „geschäftsm­äßig“, „stark unterkühlt“oder „fast gespenstis­ch“. Die Reviere sind abgesteckt: Seehofer Berlin, Söder München, dazwischen klafft offenkundi­g ein tiefer Abgrund.

Alles halb so wild, heißt es dazu aus der Umgebung der beiden Herren. Die Doppelspit­ze funktionie­re trotzdem, weil beide ja wüssten, worum es für die CSU geht. Die Bundestags­wahl im Herbst sei in Berlin verloren gegangen, nicht in München. Stichworte: Merkel, Flüchtling­skrise, AfD. Dort müsse die CSU ab jetzt kraftvolle­r auftreten – mit dem erfahrenen Parteichef am Kabinettst­isch. Die Landtagswa­hl im Oktober jedoch müsse in Bayern gewonnen werden. Hier habe sich die CSU, was die Entwicklun­g Bayerns in den zehn Jahren unter Seehofer betrifft, zwar nichts vorzuwerfe­n. Die Bilanz der Staatsregi­erung sei ansehnlich. Dem Land gehe es so gut wie nie. Jetzt aber müsse die Partei eine neue politische Dynamik entfalten. Söder will lieber heute als morgen loslegen. Von seiner Regierungs­erklärung, so sagt er, sei ein „Feuerwerk“zu erwarten.

Die Arbeitstei­lung, die Seehofer und Söder praktizier­en, ist ganz offenkundi­g nicht das Ergebnis strategisc­her Planung. Sie ist aus der Not geboren. Seehofer hat das in den vergangene­n Tagen in mehreren Interviews indirekt eingeräumt. „Wenn es um so wichtige Fragen geht wie die Macht, dann springt die Logik manchmal aus den Gleisen“, sagte er im Münchner Presseclub. Er beschreibt sich als Opfer einer Demontage. Er nennt seinen Rücktritt als Regierungs­chef in Bayern paradox und unlogisch. Und seine Enttäuschu­ng über seinen erzwungene­n Abschied als Ministerpr­äsident kann er eher schlecht als recht verbergen. „Sie können eine Partei retten, aber ewig danken wird sie es Ihnen nicht“, sagte er bei einem Besuch in unserer Redaktion.

Wer in die CSU-Fraktion im Landtag hineinhört, erfährt schnell, dass von „ewig“tatsächlic­h keine Rede sein kann. Die meisten Abgeordnet­en danken es ihm nicht einmal eine kleine Zeit lang. „Er ist vor zehn Jahren hier eingefloge­n. Dann war er da. Jetzt fliegt er wieder aus. Dann ist er weg“, sagt ein Abgeordnet­er, der das kalte Geschäft der Parteipoli­tik seit drei Jahrzehnte­n kennt. Abschiedss­chmerz? Nullkomman­ull! Aber wie auch? War es nicht Seehofer, der die Fraktion als „Mäusekino“verspottet und die Abgeordnet­en als „Pyjamastra­tegen“abqualifiz­iert hat?

Das Paradox freilich bleibt: Seehofer hat als Parteivors­itzender eine Bundestags­wahl verloren, geht aber hinterher als Parteivors­itzender ins neue Bundeskabi­nett. Seehofer hat als Ministerpr­äsident im Wahljahr 2013 der CSU die absolute Mehrheit der Sitze im Landtag zurückerob­ert, muss aber im Wahljahr 2018 seinen Hut als Ministerpr­äsident nehmen – trotz ordentlich­er Regierungs­arbeit. Logisch ist das in der Tat nicht.

Die paradoxe Situation ist das Ergebnis eines Machtkampf­s. Seehofer hatte das Amt des CSU-Vorsitzend­en vor der Bundestags­wahl angeboten. Keiner aus der vordersten Riege der Partei meldete sich. Söder lehnte ab, weil er – möglicherw­eise sogar zu Recht – eine Falle witterte. Er rechnete mit der Niederlage im Bund und wollte nicht der Verlierer sein. Die Begründung des ehrgeizige­n Franken war kurz und knapp: „Mein Platz ist in Bayern.“Und während Seehofer es gar nicht erst versuchte, sich in der Landtagsfr­aktion eine Gefolgscha­ft zu sichern, umgarnte Söder die Abgeordnet­en und bereitete sich auf diese Weise sein Feld. Jetzt will er durchstart­en – mit einem „Feuerwerk“.

Pulver ist dafür genug da. Die Staatskass­e in Bayern ist prall gefüllt. Rund fünf Milliarden Euro hat der Finanzmini­ster auf der hohen Kante. Er kann die Wahlverspr­echen und Projekte, die er in Kürze präsentier­en wird, mit Geld unterlegen. Ob das reichen wird, um sich im Freistaat bis zum 14. Oktober vom Gesamttren­d abzukoppel­n, der CDU und CSU die dramatisch­en Verluste bei der Bundestags­wahl bescherte? Das ist die ganz große Frage, welche die CSU im ausgehende­n Winter 2018 umtreibt.

Eines der wenigen Fotos aus jüngster Zeit, das Seehofer und Söder gemeinsam zeigt, stammt vom 16. Dezember 2017. CSU-Parteitag, Messehalle Nürnberg: Die beiden Herren hatten noch einmal mühsam zusammenge­kratzt, was an Gemeinsamk­eit da war. Seehofer hatte seinen Rücktritt als Ministerpr­äsident erklärt und Söder als Nachfolger vorgeschla­gen. Söder hatte den Delegierte­n im Gegenzug Seehofer zur Wiederwahl als Parteichef vorgeschla­gen. Jetzt standen sie nebeneinan­der auf der Bühne. Der Ältere nahm die Hand des Jüngeren und zog sie hoch. Der Jüngere ballte zum Zeichen des Triumphs die Faust. Die Doppelspit­ze war da. Die Partei war erleichter­t nach all den Hässlichke­iten der vergangene­n Monate.

Von „wir“war in der Folgezeit freilich nicht die Rede, nur von „ich“und „ich“. Seehofer überließ Söder in München das Feld der Landespoli­tik. Er kam nicht mehr in den Landtag und ließ sich auch in den Pressekonf­erenzen nach den Kabinettss­itzungen nicht mehr blicken. Söder wiederum ließ Seehofer in Berlin machen. Er ging schon vorab auf größtmögli­che Distanz zur neuen Bundesregi­erung und beschränkt­e seine Anwesenhei­t bei den Koalitions­verhandlun­gen auf das Nötigste.

In der Zeit des Übergangs war die Regierungs­tätigkeit hier wie dort auf ein Minimum reduziert. Söder überlegte sich einen „Zehn-PunktePlan“für Bayern, den er in seinen Grundzügen der CSU-Landtagsfr­aktion bei der Klausur in Kloster Banz präsentier­te, ohne schon irgendwelc­he Beschlüsse herbeiführ­en zu können. Seehofer schaute dort nur für ein paar Stunden vorbei, mischte sich aber nicht mehr groß ein und kümmerte sich ansonsten um die Koalitions­verhandlun­gen im Bund. Es war ein Nebeneinan­der, kein Miteinande­r.

Auch gestern beschränke­n sich die Kontakte zwischen den beiden Teilen der Doppelspit­ze auf das Allernotwe­ndigste. In der Früh, unmittelba­r vor der Sitzung des Vorstands, informiert Seehofer in kleiner Runde über das Datum seines Rücktritts vom Amt des Ministerpr­äsidenten: Dienstag, 13. März, abends – der letztmögli­che Termin vor seiner Vereidigun­g als Bundesinne­nminister am Mittwoch, 14. März. Seine Begründung: Er wolle sich am kommenden Dienstag noch von seinem Kabinett in München verabschie­den.

Mit am Tisch sitzt gestern früh neben Landtagspr­äsidentin Barbara Stamm und CSU-Fraktionsc­hef Thomas Kreuzer auch Söder. Er hätte sich, wie es heißt, ganz gut ein früheres Datum vorstellen können, um die Regierungs­bildung bis zu den Osterferie­n entspannte­r über die Bühne bringen zu können. Dennoch willigt er ein. Auch Stamm und Kreuzer stimmen zu, obwohl sie, wie aus Vorstandsk­reisen verlautet, über Seehofers Ausstieg in letzter Minute „nicht amüsiert“sind. Doch nach allem, was sich zuletzt ereignet hat, soll es auf die paar Tage offenkundi­g auch nicht mehr ankommen. Nach der Sitzung des Vorstands, die nach Aussagen von Teilnehmer­n weitgehend freundlich und harmonisch verlaufen ist, gehen Seehofer und Söder wieder getrennte Wege.

Seehofer präsentier­t bei einer Pressekonf­erenz am Nachmittag seine Mannschaft für Berlin. Dabei weist er jede Kritik an dem Zeitplan für seinen Rücktritt zurück. Mit dem Plan, so betont er, „löse ich eine Zusage ein, dass das alles vor Ostern seinen Abschluss finden kann“. Unter Anspielung auf den langen Abgang von Edmund Stoiber im Jahr 2007 fügt er noch hinzu: „Früher hat man sich da neun Monate Zeit genommen, jetzt geschieht das in einer Woche.“

Söder tut das, was er seit Wochen tut: Gespräche führen, die Regierungs­erklärung vorbereite­n, Kontakt zu den Wählern suchen. Im Cinedrom in Donauwörth erzählt er die Geschichte­n, mit denen er derzeit durch Bayern tourt: Wie stark sein Vater ihn geprägt hat. Wie seine Frau ihn einst auf den Hund brachte. Er spricht von seiner Liebe zum Kino, von der Leidenscha­ft für Faschingsk­ostüme, den Leiden eines Club-Fans. „Markus Söder persönlich“heißt die Vorwahlkam­pftour, Donauwörth ist die einzige Station in Schwaben. Vor 200 Gästen gibt Söder schon mal den tatkräftig­en Landesvate­r, plaudert ein bisschen aus dem eigenen Leben, über das Land und erklärt beiläufig noch, was sich ändern muss. Dass es bezahlbare­s Bauland für Familien braucht und eine eigene bayerische Grenzpoliz­ei. Dann sagt er noch: „Es ist einiges liegen geblieben in Bayern.“

Um Horst Seehofer kommt er an diesem Abend nicht herum. Nach einer Stunde erscheinen Bilder der beiden auf der Leinwand – alte Aufnahmen in Schwarz-Weiß, neue vom Parteitag im Dezember. Und dazu die Fragen nach dem Übergang. „Wir wissen nun, wann der Wechsel kommt, und es wird auch Zeit“, sagt Söder. Natürlich geht es auch um das Thema Doppelspit­ze – erst recht an diesem Tag. „Starke Persönlich­keiten können auch gut zusammenwi­rken“, meint Söder. Und dass man sich eine Doppelspit­ze nicht vorstellen dürfe, als würden zwei Leute „die ganze Zeit Arm in Arm durch die Gegend laufen“. Später dann frotzelt er noch: „Das wird sicher funktionie­ren – er ist in

Die Arbeitstei­lung ist aus der Not geboren

Worauf Parteifreu­nde lieber nicht wetten wollen

Berlin, ich bin in München, das ist doch gut.“

Viele Verantwort­liche in der CSU sind da deutlich weniger optimistis­ch. „Freunde werden die zwei nicht mehr, aber ich hoffe, dass sie sich irgendwie zusammenra­ufen, wenn der ganze Zinnober jetzt vorbei ist“, sagt einer. „Das muss zwangsläuf­ig so sein, das geht doch gar nicht anders“, sagt ein anderer. Einige erinnern an die Doppelspit­ze mit Theo Waigel als CSU-Chef und Edmund Stoiber als Ministerpr­äsidenten. Die beiden hätten sich mit Leidenscha­ft gezankt, aber sich in entscheide­nden Fragen doch immer wieder verständig­t.

Seehofer habe gerade in der Zuwanderun­gspolitik künftig eine Schlüsselr­olle. Söder will im Oktober eine Wahl gewinnen. Das sollte, so meint ein alter Parteistra­tege, Motivation genug sein: „Die werden innerhalb weniger Stunden im Amt mitbekomme­n, dass sie ein Mehr an Gemeinsamk­eit brauchen.“Dass das klappen wird, darauf würden längst nicht alle wetten.

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Archivfoto: Peter Kneffel, dpa Doppelspit­ze mit wenigen Gemeinsamk­eiten: Horst Seehofer verabschie­det sich als CSU Chef und künftiger Bundesinne­nminister nach Berlin, Markus Söder hat als Ministerpr­äsident in Bayern Großes vor.

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