Schafft die Große Koalition die Digitalwende?
Mit einem neuen Staatsministerium will die Bundesregierung die Herausforderungen der Digitalisierung stemmen. Doch das allein wird nicht ausreichen, meint der Experte Bernhard Rohleder
Herr Rohleder, Sie vertreten mit Ihrem Verband 2500 Unternehmen der Digitalindustrie. Nach der Wahl war immer wieder die Rede von einem Digitalministerium. Stattdessen hat die Große Koalition nun ein Heimatministerium und CSU-Politikerin Dorothee Bär wird Staatsministerin für Digitales. Ein eigenes Bundesministerium wird es nicht geben. Ist das zeitgemäß? Bernhard Rohleder: Ich finde die Entscheidung, eine Staatsministerin im Kanzleramt zu installieren, sehr gut. Ein Bundesdigitalministerium hätte faktisch viele andere Ressorts entkernt. In den Ministerien für Inneres, Wirtschaft, Forschung, Verkehr und Justiz hätten Kernthemen abgezogen werden müssen, um sie in einem Digitalministerium zu bündeln. Das wäre kaum möglich gewesen. Das neue Digitalamt darf nun aber nicht nur auf dem Klingelschild stehen. Es muss mit Rechten und Ressourcen ausgestattet werden.
Welche Rechte, Kompetenzen und Ressourcen sollten dem neuen Amt zugesprochen werden?
Rohleder: Die Staatsministerin braucht vor allem einen Digitalvorbehalt bei neuen Gesetzen. Ganz so, wie das Finanzministerium einen Finanzierungsvorbehalt ausübt. Es muss also einschreiten können, wenn Vorhaben anderer Ressorts der Digitalisierung schaden. Und es sollte die fachliche Federführung bei Kernthemen der Digitalpolitik bekommen, zum Beispiel, wenn es um die Rechtsdurchsetzung im Web geht. Dazu braucht man eine richtig gute Mannschaft, also gute Leute, die eine gute Digitalpolitik machen.
Ist Dorothee Bär die Richtige für den Job?
Rohleder: Definitiv ja. Dorothee Bär hat sich in den vergangenen Jahren intensiv mit der Digitalisierung von Wirtschaft, Gesellschaft und Verwaltung beschäftigt und hier hohe Kompetenz und Anerkennung erworben.
In den kommenden Wochen wird Bär das neue Amt für Digitales antreten. Welche Themen sollten ganz oben auf ihrer Agenda stehen?
Rohleder: Sie wird sicherlich alle Hände voll zu tun haben. Es gibt viel aufzuholen. Angefangen beim Thema Breitbandausbau über Fragen der digitalen Verwaltung bis hin zur europäischen Datenschutzgrundverordnung.
Ist Deutschland auf die drastischen Veränderungen durch Digitalisierung vorbereitet?
Rohleder: Wir haben uns in den letzten Jahren zu wenig um das Geschäft von übermorgen gekümmert. Vielleicht geht es uns in Deutschland noch zu gut. Die Wirtschaft boomt ja. Das Geschäft von übermorgen ist aber ausschließlich digital. Darauf müssen nicht nur Manager vorberei- tet sein. Auch unser Nachwuchs braucht Digitalkompetenz. In den Schulen wird das aber kaum vermittelt. Im Bildungsbereich hat die Politik in den letzten Jahren geschlafen. Die meisten Schüler wissen nicht, was es heißt, einen Code zu schreiben. Hier muss der Lehrplan dringend angepasst werden. Gleichzeitig müssen wir dafür sorgen, dass die digitale Kompetenz derjenigen, die schon im Berufsleben stehen, ausgebaut wird.
Es bedarf auch einer entsprechenden Infrastruktur. Was Glasfaserausbau und schnelles Internet angeht, hinkt Deutschland anderen Ländern hinterher. Woran liegt das?
Rohleder: Wir schauen immer neidisch ins Ausland, wenn es um das Thema Breitband geht. Dabei steht Deutschland im europäischen Netzvergleich auf Platz sieben von 26. Wir sollten die Netzabdeckung nicht schlechter reden, als sie ist. Die Glasfaserabdeckung liegt zwar zum Beispiel in Estland bei etwa 60 Prozent, allerdings leben dort auch 55 Prozent der Bevölkerung in den zehn größten Städten. In Deutschland leben deutlich mehr Menschen auf dem Land.
Die neue Bundesregierung möchte bis 2025 ein Recht auf schnelles Internet schaffen. Doch gerade auf dem Land ist die Netzabdeckung in Deutschland ausbaufähig ...
Rohleder: Das stimmt, wenn Sie im Wald oder auf dem Acker stehen. Dennoch können mittlerweile über mobile Netze wie dem LTE-Netz über 95 Prozent der Haushalte mit schnellem Internet versorgt werden. Diese Technik hat enormes Potenzial, sie wird aber noch zu wenig genutzt.
Rohleder: Weil viele Kunden momentan noch mit weniger zufrieden sind. Um hochauflösend Filme zu streamen, brauchen sie weder LTE noch Glasfaser.
Eine aktuelle Umfrage Ihres Branchenverbands hat ergeben, dass in den kommenden fünf Jahren 3,4 Millionen Jobs wegfallen, weil Roboter oder Algorithmen die Arbeit übernehmen. Was kommt da auf uns zu?
Rohleder: Unsere Studien ergeben vor allem, dass mehr neue Jobs geschaffen werden, als alte wegfallen. Wichtig ist, dass wir digitale Kompetenzen quer durch alle Berufsbilder aufbauen. Wir müssen die Menschen fit machen für die digitale Arbeitswelt der Zukunft.
Welche Branchen wird das treffen? Rohleder: Es geht nicht um einzelne Branchen, es geht um die komplette Arbeitswelt. In einigen Bereichen werden wir aber stärkere Verlagerungen sehen. Im Gesundheitssektor beispielsweise werden RoboDocs dem menschlichen Arzt bei der Erstellung einer Diagnose sehr gut helfen können. Solche Anwendungen gibt es heute schon. Das bedeutet aber nicht, dass der Arzt nicht mehr gebraucht wird. Er kann sich künftig mehr auf die individuelle Betreuung der Patienten konzentrieren. Es werden also Potenziale frei, die an anderer Stelle dringend gebraucht werden.
OZur Person Bernhard Rohleder ist Gründer und Hauptge schäftsführer des Bran chenverbands Bitkom.
In dem Verband sind rund
2500 deutsche Unter nehmen der Digitalindu strie vertreten.