Mindelheimer Zeitung

Freiheit für Dutroux?

Der Anwalt des Kinderschä­nders und Mörders fordert dessen baldige Entlassung aus dem Gefängnis. Der heute 61-Jährige sei kein Monster. Belgier reagieren entsetzt und wütend

- VON DETLEF DREWES

Brüssel Sein Name steht für ein Trauma, das weit über Belgien hinausreic­ht: Marc Dutroux. In den 90er Jahren entführte, vergewalti­gte und tötete er vier Mädchen. Weitere Sexualmord­e werden ihm zur Last gelegt. Nun quält sich das Land mit der Frage: Soll das „Monster“vorzeitig aus der Haft entlassen werden? Es sind die Schatten einer dunklen Vergangenh­eit, die Belgien gerade einholen. Und wieder werden sie überall gezeigt, die Porträts seiner Opfer, acht bis 19 Jahre alt.

1996 verhaftete die Polizei Marc Dutroux, der heute 61 Jahre alt ist, und seine 58-jährige Partnerin Michelle Martin. Seit 22 Jahren ist Dutroux nun bereits in Haft, 2004 wurde er zu einer lebenslang­en Freiheitss­trafe verurteilt. Jetzt aber schreibt sein Anwalt Bruno Dayez: „25 Jahre Haft sind genug.“Er fordert das in seinem Buch „Warum Marc Dutroux freigelass­en werden sollte“. Und löste damit in Belgien einen Proteststu­rm aus. „Wenn ich Dutroux im Gefängnis treffe, sitzt ein Mensch vor mir, kein Monster“, schreibt Dayez.

Die Haftbeding­ungen nennt er „apokalypti­sch“. Die Zelle sei nur neun Quadratmet­er groß. Da Tisch, Stuhl und Bett darin stünden, könne Dutroux sich praktisch nicht bewe- gen. Jean-Denis Lejeune reagiert entsetzt, wenn er darauf angesproch­en wird. Seine achtjährig­e Tochter war eines der ersten Opfer. Ihre Leiche wurde im Garten des Dutroux-Hauses ausgegrabe­n: „Meine kleine Tochter war in einem Wassertank eingesperr­t, der weniger als zwei Quadratmet­er groß war“, sagte Lejeune nun. Er habe für die Forderunge­n von Dayez kein Verständni­s.

Viele andere auch nicht. Etwa ein Blogger, der in einem Video das Buch des Anwaltes verbrannt hat. Schon 2013 wurde über eine vorzeitige Entlassung von Dutroux diskutiert. Schon damals gab es Proteste. Sogar seine Mutter Jeannine Dutroux sagte über ihren Sohn: „Ich bin sicher, dass er wieder beginnen würde zu töten.“Vor fünf Jahren lehnte das Brüsseler Strafberuf­ungsgerich­t den Antrag seines Verteidige­rs ab: „Eine elektronis­che Fußfessel wird nicht gewährt“, hieß es.

Dutroux hatte wohl gehofft, dass er – wie seine Ex-Frau Michelle Martin, die 2012 aus der Haft entlassen wurde und von der Öffent- lichkeit abgeschirm­t in einem Kloster bei Namur lebt – freikommen würde. Warum sein Fall derart das Land bewegt, nach wie vor, hat auch damit zu tun: Dutroux soll mächtige Freunde haben, die angeblich immer noch ihre schützende­n Hände über ihn halten. Der Fall ist ein Politikum, wird als ein fortwähren­der Skandal empfunden – es gab Fahndungsp­annen, Zeugen verschwand­en und starben, Hinweise wurden nicht ausgewerte­t, Beweismitt­el wie rund 6000 Haarproben aus dem Keller des Dutroux-Hauses, die weder dem Täterpaar noch den Opfern zugeordnet werden konnten, nicht untersucht.

Schon Ende der 90er Jahre war von einem Netzwerk pädosexuel­ler Kriminelle­r die Rede, zu denen auch Mitglieder höchster Gesellscha­ftsschicht­en gehört haben sollen. Da gibt es etwa „Zeugin X3“, die von „einem Schloss inmitten eines Parks“berichtete, „wo Kinder – in Käfigen eingeschlo­ssen – darauf warteten, endlich dranzukomm­en“. Die perversen Täter hätten Jagd mit Doggen auf die nackten Kinder gemacht. Ermittelt wurde in diese Richtung nicht sonderlich akribisch.

Als in den vergangene­n zehn Jahren in Belgien immer mehr Fälle von sexueller Gewalt gegen Minderjähr­ige bekannt wurden, bei denen auch Täter aus höchsten kirchliche­n und gesellscha­ftlichen Kreisen identifizi­ert werden konnten, wurde immer wieder auch über den Fall Dutroux gesprochen. Der Mann gilt weiter als gefährlich. Vor fünf Jahren hieß es in der Berufungsv­erhandlung, es gebe „überhaupt keine Aussicht auf Wiedereing­liederung in die Gesellscha­ft“. Selbst sein damaliger Arzt Michel Matagne sagte: „Dutroux hat sich nicht geändert.“Dauerhafte­r Liebesentz­ug durch seine Eltern habe in dem Mann eine Gedankenwe­lt wie einen Kokon entstehen lassen – mit einer eigenen Wahrheit. Darin lebt Dutroux nach Ansicht des Arztes heute noch.

Kaum jemand in Belgien meint daher, dass Dutroux seine Straftaten bereut. Das wird bestärkt durch Berichte, denen zufolge er vom Gefängnis aus über seinen Sohn Geld durch Börsengesc­häfte verdient habe. Aber da alles über den Sohn laufe, sei Marc Dutroux selbst weiterhin arm. Viele sehen darin einen Trick, um kein Schmerzens­geld an die Hinterblie­benen der Opfer zahlen zu müssen.

Mehr noch: Bis heute hat Dutroux keinen Schritt getan, um sich – so unmöglich das auch sein mag – bei den Familien der missbrauch­ten und getöteten Kinder zu entschuldi­gen. Seine Chancen auf Freilassun­g sind gering, daran wird auch das Buch seines Anwaltes nichts ändern.

„25 Jahre Haft sind genug, die Haftbeding­ungen apokalypti­sch.“Dutroux Anwalt Bruno Dayez

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Fotos: D. Martin, dpa; epa Belga, dpa; J. Warnand, dpa Marc Dutroux wird in Handschell­en von Polizeibea­mten nach einer Anhörung aus dem Justizpala­st geführt. Das Bild entstand im Jahr 2000. Vier Jahre später wurde Dutroux zu lebenslang­er Haft verurteilt.
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Ort grausamer Verbrechen: das damali ge Haus des Kinderschä­nders.
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„Dutroux soll im Gefängnis bleiben“, for derten Demonstran­ten schon 2013.

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