Mindelheimer Zeitung

Grüne Berge, gluckernde­s Wasser

Die Wunder des Lorbeerwal­des und hervorrage­nde Wege machen die Insel zum Paradies für Wanderer. Wer den traditione­llen Bewässerun­gskanälen folgt, erlebt ihre ursprüngli­che Seite und muss sich nicht anstrengen

- VON STEPHANIE BISPING

Rechts erhebt sich schroffer Felsen. Links öffnet sich der Blick auf samtig grüne Bergrücken. In der Ferne blitzt tiefblau der Atlantik. Vogelstimm­en sind zu hören und das leise Gluckern von Wasser. Im Gebüsch toben Buchfinken. Kein Haus und keine Straße erinnert hier daran, wie dicht Madeiras Küstenregi­onen besiedelt sind. So ungezähmt wirkt der Lorbeerwal­d, dass Wanderer sich hier fühlen können, als hätten sie die Insel selbst entdeckt.

Elf Kilometer misst der Wanderweg von Ribeiro Frio bis nach Portela. Gleich neben der Landstraße, wo zwei Gasthöfe und eine Kapelle Wanderer physisch und spirituell versorgen, schlägt er sich in die Wildnis. Er führt durch Lorbeerwal­d, vorbei an Wasserfäll­en und durch die Felsspalte Cabeço do Furado. Zuletzt wendet er sich vom Kanal ab, verliert 300 Meter an Höhe – davon werden anderntags die Oberschenk­el berichten – und erreicht die Zivilisati­on in Form eines Parkplatze­s mit Obst- und Blumenstän­den. Sich zu verlaufen, ist unmöglich. Solange neben dem Wanderer die Levada, der etwa 50 Zentimeter breite Bewässerun­gskanal, gluckert, stimmt die Route. Gut beschilder­t ist sie sowieso.

Levadas wurden schon von den ersten Siedlern gebaut, um Wasser aus höher gelegenen Quellen in das landwirtsc­haftlich genutzte Land an der Südküste zu transporti­eren. Heute messen die Kanäle insgesamt 2300 Kilometer. Sie senken sich auf ihrem Weg zur Küste so gemächlich – pro Kilometer um einen Meter –, dass Wanderer ihnen ohne Anstrengun­g folgen können. Nur die Augen sind gelegentli­ch von den Aussichten in stille Täler und aufs Meer in der Ferne abzuwenden. Denn der Pfad ist schmal, stellenwei­se gerade mal 30 Zentimeter breit. Zudem verläuft er oft unmittelba­r neben dem Abgrund, gesichert immerhin durch zwei Drahtseile. Und manches Mal holen tief hängende Äste, Schlaglöch­er und rutschige Abschnitte träumende Wanderer jäh in die Realität zurück.

Neben der Weltenfern­e ist das hohe Maß an Abwechslun­g der größte Trumpf der Kanalwande­rwege. Oftmals benötigen Wanderer eine Taschenlam­pe, um der Levada durch Tunnel zu folgen. Und unmittelba­r leuchtet ein, warum die Unesco Madeiras Lorbeerwal­d zum Weltnature­rbe erklärte: Nicht nur, weil es solche Wälder außer auf Madeira nur auf den Azoren und den Kanaren gibt. Sondern gewiss auch, weil dieser Wald, dicht und immer- grün, kühl und erhaben, eine märchenhaf­te Landschaft bildet. Der größte ist er auch: 150 Quadratkil­ometer misst er und bedeckt als grüne Lunge der Insel heute noch 20 Prozent ihrer Fläche.

Madeira kann sie gebrauchen, denn die nicht allzu große Insel muss mit 235000 Einwohnern und sehr vielen Besuchern klarkommen. Das Klima, das sich 850 Kilometer südwestlic­h vom portugiesi­schen Festland ganzjährig mild und freundlich zeigt, lässt nicht nur exotische Wälder gedeihen und subtropisc­he Gärten blühen, die das Kontrastpr­ogramm zu langen Wandertour­en in den Bergen bilden. Es lockt auch seit mehr als 100 Jahren Touristen auf die Atlantikin­sel.

Dass die Sommer, in denen es normalerwe­ise kaum mehr als 25 Grad warm wird, zuletzt untypisch heiß ausfielen, liegt auch an klimatisch­en Veränderun­gen. Häufiger als früher kommt es zu Waldbrände­n. Aber auch Brandstift­ung kommt vor – wie im August 2016. Ausgebrann­te Häuser und schwarze Felder über der Hauptstadt Funchal erinnern noch daran. Die Feuersbrun­st kostete drei Menschen das Leben, zerstörte 200 Häuser und ein Hotel und

Brandstift­ung vernichtet­e ein Lebenswerk

verursacht­e einen Schaden von 55 Millionen Euro. Der aus Sachsen stammende Biologe Adolf Schön, Neffe der Begründeri­n des Botanische­n Gartens, stand nach dem Brand vor den Trümmern seines Lebenswerk­s. Über 4000 Orchideena­rten blühten in seinem Garten. Sie wurden ebenso Opfer der Flammen wie sein Labor und die Bibliothek mit 30 000 Fachbücher­n.

Heute führt Schön Urlauber durch Gärten, die das Feuer verschonte. Er tut das ohne Bitterkeit. Viel schneller als die an Muskelkate­r leidenden Wanderer erklimmt der Mittsiebzi­ger die steilen Pfade des Tropischen Gartens von Monte. Nur Madeiras Lorbeerwal­d bestehe heute ausschließ­lich aus einheimisc­hen Pflanzen, erklärt er. Gartensüch­tige Engländer schleppten im 19. Jahrhunder­t ein, was die Kolonien hergaben: etwa den Eukalyptus­baum, der viel Wasser braucht, wie Zunder brennt und nach jedem Feuer stärker nachwächst. Schön deutet auf die australisc­he Akazie, auf Mimosen und Liguster, auf all jene Pflanzen, die in den alten Gärten weiterwach­sen dürfen, die man heute aber gezielt aus dem Lorbeerwal­d entfernt. Ihre Ausbreitun­g zu verhindern, ist seine Mission.

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Foto: dpa Solange die Levada neben dem Wanderer gluckert, stimmt die Richtung.

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