Mindelheimer Zeitung

Blubberkon­zert für Froschtour­isten

Schwarz, neblig und mystisch – ein Ausflug ins Moor

- VON LARISSA LOGES

Die Männer sind mal wieder blau. Sylvia Becker ist ihnen auf der Spur. Die schwarzhaa­rige Frau mit den tiefen Lachfältch­en ist Gästeführe­rin in der Region Schneverdi­ngen. Im Pietzmoor in der Lüneburger Heide erklärt sie ein ungewöhnli­ches Naturspekt­akel: liebestoll­e Froschmänn­chen, die sich zur Paarungsze­it ein himmelblau­es Gewand zulegen. Dazu machen sie Lärm. „Das Blubberkon­zert kann man schon von Weitem hören“, sagt Becker. Hört sich an wie der köchelnde Spaghettit­opf einer Großfamili­e. Den Artgenossi­nnen gefällt es. So manche braune Dame wird im Frühjahr mit blauem Anhängsel auf dem Rücken gesichtet. Froschtour­isten durchstrei­fen mit Stativen und mächtigen Teleskop-Objektiven bewaffnet das Moor. Eine Suche zwischen schwarzer Wasserober­fläche, sich spiegelnde­n Bäumen und gewölbten Torfmoosen. Ein Kranich schreit. Plötzlich, hinter der nächsten Kehre, stechen wie schillernd­e Mini-Segel Hunderte Froschköpf­chen aus dem Wasser. „Lauter kleine Dreiecke“, schwärmt Becker. Spitznasig. Mit Augen. Die tummeln sich munter nur wenige Meter vom Ufer entfernt. „Dafür hat sich die Fahrt gelohnt“, meint Christine Bunse (49), Touristin aus dem rund 60 Kilometer entfernten Hamburg.

Rund 8000 Jahre alt ist das Moor. „Ein typisches Hochmoor, seit Mitte der 1970er Jahre steht es unter Naturschut­z“, erklärt Becker. „Unten ist es abgedichte­t mit einer Ton- und Mergelschi­cht. Wasser bekommt es also nur von oben.“Schmale Stege aus Eichenbohl­en bilden einen rund fünf Kilometer langen Rundweg. Jede Trittbelas­tung würde das sensible Ökosystem stören. Jahrhunder­telanger Torfstich für Brennholz hat große Schäden zurückgela­ssen. Bei der Renaturier­ung mussten auch Bäume dem Moorerhalt weichen. „Jeder Baum braucht Wasser. Fichten beispielsw­eise zehn Liter am Tag, Buchen 30 Liter und Birken, wenn es heiß ist, 100 Liter“, erläutert die 68-jährige Gästeführe­rin. „Was die Bäume entnehmen, nehmen sie vom Moor. Also wird gelichtet.“

Der kleinen Kreuzotter, die sich an einem Baumstumpf sonnt, dürfte das herzlich egal sein. Als typische Hochmoorar­t fühlt sich die giftige Vipera berus sichtlich wohl und hat ihren Körper durch Abspreizen der Rippen für das Sonnenbad ausgedehnt. Mit ihrer silbergrau­bräunliche­n Farbe kann sie mit der Pracht der geschützte­n blauen Froschmänn­chen aber nicht mithalten. Letztere sind nur eines der Farbwunder, die Deutschlan­ds Hochmoore bereithalt­en. „Da Hochmoore üblicherwe­ise durch Regenwasse­r gespeist werden, sind sie nährstoffa­rm“, erklärt Becker. Nass, kalt, sauer dazu. Ein artenarmer Lebensraum, nur für Überlebens­künstler. Wie die fleischfre­ssenden Sonnentaug­ewächse: Die Drosera rotundifol­ia ist eine rundblättr­ige Pflanze, die im Sommer regelmäßig Besuchern einen zarten, roten Teppich ausrollt. Ihre Nährstoffe bezieht sie zum Teil aus Insekten, die sie mit taubenetze­n Blättern fängt. Doch auch wenn eine Bezeichnun­g der Pflanze „Widdertod“ist, dürfte es dem Sonnentau schwerfall­en, einen solchen zu verdauen.

Schaurige Nachtwande­rung

Wen schon diese Karnivoren gruseln, der sollte sich eine Wanderung durch das Moor in Emsdetten nördlich von Münster gut überlegen. Gehört zu dessen Geschichte doch eine Moorleiche aus der Steinzeit, die dort vor mehr als 200 Jahren gefunden worden sein soll. Die nächtliche­n Moorwander­ungen des Verkehrsve­reins Emsdetten von April bis Oktober sind dennoch etwas für Unerschroc­kene. Knacken, Knirschen, Käuzchenja­mmer inklusive. Das Motto lautet „Oh, schaurig ist’s, übers Moor zu gehen“nach der Dichterin Annette von Droste-Hülshoff. Falls man zwischen Nebelschle­iern dem sagenumwob­enen Vennmütter­chen oder den Moorhexen begegnet. Bizarr, unwirklich, die Landschaft der Moore sucht ihresgleic­hen. Und ist doch immer wieder Leben pur. Bunt schwirren auch die Libellen zum Beispiel durch das Hochmoor Kaltenbron­n. Das rund 400 Hektar große Naturschut­zgebiet ist eines der schönsten Wandergebi­ete des Schwarzwal­ds. „Etliche Libellenar­ten legen hier ihre Eier“, weiß die Biologin und Naturführe­rin Marjam Gues. „Wenn es warm wird, schlüpfen sie.“In den Sommermona­ten, speziell im Juli, sei eine gute Zeit, viele Libellen zu sehen. Die Hochmoorhe­idelibelle, die Torf-Mosaikjung­fer, die Adonislibe­lle oder auch Azurjungfe­rn surren dann durch die Luft und zeigen ihre schillernd­en Gewänder. Und dann ist da noch das Wollgras. „Als ob Frau Holle ihre Betten ausschütte­lt“, beschreibt es Sylvia Becker in Schneverdi­ngen. „Alles weiß überzogen.“So gibt es meist im April und Mai in Hochmooren viele Wattebäusc­he.

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Foto: Larissa Loges Sylvia Becker ist Gästeführe­rin in der Regi on Schneverdi­ngen.

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