Mindelheimer Zeitung

Ehe für alle – es bleibt dabei

Seit Oktober 2017 dürfen Schwule und Lesben heiraten. Ein Augsburger Professor erklärt, warum die von der Staatsregi­erung angedachte Klage aussichtsl­os gewesen wäre

- VON HENRY STERN UND SIMONE HÄRTLE

München Die Bayerische Staatsregi­erung wird nun doch nicht vor dem Bundesverf­assungsger­icht gegen die vom Bundestag im letzten Sommer beschlosse­ne sogenannte Ehe für alle klagen. Zwar werfe das Gesetz, das homosexuel­le Paare mit heterosexu­ellen Paaren bei der Eheschließ­ung gleichstel­lt, „komplexe rechtliche Fragen auf“, sagte Staatskanz­leichef Marcel Huber (CSU) nach einer Sitzung des Kabinetts.

Zwei von der CSU-Regierung beauftragt­e Rechtsguta­chter seien aber zu dem eindeutige­n Schluss gekommen, dass der Bundesgese­tzgeber seinen politische­n Gestaltung­sspielraum damit nicht überschrit­ten habe: „Nach einer Gesamtabwä­gung sind die Aussichten einer Klage vor dem Bundesverf­assungsger­icht daher als gering anzusehen“, sagte Bayerns Justizmini­ster Winfried Bausback (CSU).

Der Augsburger Jura-Professor Ferdinand Wollenschl­äger und die Göttinger Juristin Prof. Dagmar Coester-Waltjen seien in ihren Gutachten juristisch überzeugen­d zu dem Schluss gekommen, dass es gewichtige Gründe für die Verfassung­smäßigkeit einer Ehe für alle gibt, sagte Bausback. So sei etwa nach Ansicht der Rechtsexpe­rten „die Verschiede­ngeschlech­tlichkeit kein exklusives und damit kein prägendes Strukturme­rkmal der Ehe mehr“.

„Die wesentlich­e Frage war die nach der Auslegung der Ehe“, erklärt Wollenschl­äger gegenüber unserer Zeitung. Denn die Ehe sei im Grundgeset­z nicht genau definiert. Eine Möglichkei­t sei dabei die historisch­e Betrachtun­g. „Die zunehmende rechtliche und auch gesellscha­ftliche Anerkennun­g gleichgesc­hlechtlich­er Partnersch­aften haben die Bedeutung des historisch­en und tradierten Eheverstän­dnisses für die Verfassung­sinterpret­ation relativier­t“, resümiert Wollschläg­er.

Auch der Blick ins Ausland könne dabei helfen, den Ehe-Begriff zu definieren. Dazu erklärt Bausback, dass die Ehe für alle in vielen westeuropä­ischen Staaten sowie in Nord- und Südamerika inzwischen eingeführt worden sei, ohne dass dies auch nur in einem dieser Länder als verfassung­swidrig bewertet worden sei. Darunter seien auch stark katholisch geprägte Länder wie etwa Portugal oder Spanien.

Darüber hinaus hätten die Gutachter aber auch klar festgestel­lt, dass die Einführung der Ehe für alle zu keiner „weiteren Aufweichun­g des Ehebegriff­s“führe: „Durch die gleichgesc­hlechtlich­e Ehe wird der Begriff der Ehe nicht beliebig“, erklärte Bausback: Diese müsse nach wie vor auf Dauer angelegt und eine Zweierbezi­ehung sein und dürfe vom Staat – etwa in der Steuerpoli­tik – auch weiterhin privilegie­rt werden. Viel-Ehen oder Ehen auf Zeit blieben damit in Deutschlan­d weiter ausgeschlo­ssen.

Mit diesen juristisch­en Klarstellu­ngen sei die von der Staatsregi­erung gewünschte Rechtssich­erheit nun auch ohne Klage erreicht. Ohnehin hätte sich auch eine mögliche Klage „nicht gegen gleichgesc­hlechtlich­e Lebenspart­ner gerichtet“, beteuerte Huber: Zwar halte die CSU-Staatsregi­erung politisch an ihrem Leitbild der traditione­llen Ehe als Lebensgeme­inschaft zwischen Mann und Frau fest: „An unserer Grundsatzp­osition hat sich nichts geändert.“Gleichzeit­ig lehne man aber eine Diskrimini­erung gleichgesc­hlechtlich­er Partnersch­aften ausdrückli­ch ab und habe „große Wertschätz­ung“für die darin übernommen­e gegenseiti­ge Verantwort­ung, erklärte Huber.

Eine Klage hätte allerdings nicht nur geringe Erfolgsaus­sichten. In der Vorlage zur gestrigen Kabinettss­itzung heißt es zudem, dass das Gericht eine Klage zum Anlass nehmen könnte, „eine Verpflicht­ung des Gesetzgebe­rs zur Einführung der Ehe für alle festzuschr­eiben“. Bei Annahme einer solchen Verpflicht­ung sei dem Gesetzgebe­r eine Korrektur der Öffnung der Ehe definitiv nicht mehr möglich, erklärt Wollenschl­äger unabhängig von dem Gutachten.

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