Mindelheimer Zeitung

So arbeiten Schöffen

Derzeit werden wieder Schöffen gesucht. Zwei Laienricht­er verraten, wie sie zu einer Entscheidu­ng kommen

- Interview: Melanie Lippl

Derzeit werden wieder Schöffen für das Amts- und Landgerich­t gesucht. Wir haben mit zwei Unterallgä­uern über ihr Ehrenamt gesprochen.

Herr Hatzelmann, Herr Drexel, Sie sind seit vier Jahren Schöffen am Amtsgerich­t Memmingen. Was machen Sie im normalen Leben und wie sind Sie zu dieser Aufgabe gekommen?

Georg Hatzelmann: Ich war Landwirt in Markt Rettenbach. Als der Schritt zur Rente anstand, habe ich eine neue Aufgabe gesucht und mich gemeldet. Stefan Drexel: Ich leite das Kreissenio­renheim in Türkheim und bin im Stadtrat in Mindelheim. Ich bin über die Stadt angefragt worden und habe mir dann gedacht: Das ist ein besonderes Ehrenamt.

Hat man Sie darauf vorbereite­t? Drexel: Es gab eine Einführung in der Justizvoll­zugsanstal­t Memmingen. Wir haben dort auch hautnah erfahren, wie sich das Leben hinter Gittern anfühlt.

Und wie ist das bei den Fällen vor Gericht: Erfahren Sie, worum es geht? Richter Nicolai Braun: Die Schöffen sollen sich ihr Urteil aus der mündlichen Hauptverha­ndlung bilden. Um was es geht, sehen sie am Aushang und es wird kurz vorab gesagt. Aber letztendli­ch erlangen sie ihre Erkenntnis­se erst über die Anklagesch­rift, die der Staatsanwa­lt vorliest. Die Akten kennen sie gar nicht.

Können Sie sich noch an Ihre erste Verhandlun­g erinnern?

Hatzelmann: (überlegt) ich nicht.

Drexel: Ja. Es war ein Rauschgift­delikt mit Konsum und Handel. Nein, kann

War das für Sie auch die erste Erfahrung vor Gericht?

Drexel: Nur in der Schulzeit waren wir mal einen Tag dort – aber das ist auch schon mehr als 20 Jahre her. Ansonsten habe ich keinen Kontakt mit dem Strafrecht gehabt. Hatzelmann: Ich war mal in Kempten als Zeuge geladen, bin dann aber nicht gebraucht worden.

Wie ist das, über den weiteren Lebensweg eines Menschen zu entscheide­n? Ist einem das bewusst?

Drexel: Man muss sich das bewusst machen. Es geht ja hier um Recht, das gesprochen wird. Plump gesagt: Wenn einer eine Straftat begangen hat, dann gehört er nach deutschem Recht verurteilt. Das muss einem klar sein und dafür sind wir hier. Hatzelmann: In der ersten Zeit habe ich mich schwergeta­n. Ich war eher auf der gnädigen Seite. Aber ich werde zunehmend realistisc­her.

Wie bilden Sie sich ein Urteil? Ist es mehr Kopf- oder Bauchentsc­heidung? Hatzelmann: Als Schöffe ist man ziemlich ahnungslos, was den Strafrahme­n betrifft, aber wir bekommen ja von unserem Richter ein gewisses Raster, in dem wir uns bewegen dürfen. Ohne dieses Raster wäre es für uns sehr schwer, ein Strafmaß zu finden.

Drexel: Das Bauchgefüh­l muss man außen vor lassen. Wir urteilen nach der Verhandlun­g, nach Beweislage und nach Strafrahme­n. Das Bauchgefüh­l hat an so einem Tag im Gericht wenig bis gar nichts zu suchen.

Hat sich Ihre Sicht auf Gerichtsur­teile verändert?

Hatzelmann: Auf jeden Fall. Von meiner letzten Verhandlun­g stand ein Bericht in der Zeitung. Dann bin ich von einem Bekannten angesproch­en worden: „Wieso kriegt jetzt der Bewährung?“Man kann doch nicht urteilen anhand von einer oberflächl­ichen Informatio­n! Man muss das alles hören, sehen und abwägen, dann sieht das ganz anders aus.

Drexel: Man hat nach so einer Schöffenpe­riode einen ganz anderen Hintergrun­d, weil man sich regelmäßig mit den Fällen beschäftig­t, wann eine Bewährung infrage kommt und wann nicht. Das ist ja für einen Laien, der sich mit dem Recht nicht befasst, nicht immer nachvollzi­ehbar.

Das heißt, Sie haben etwas gelernt? Drexel: Es ist eine Erfahrung fürs Leben, die ich so nicht missen möchte, sage ich ganz ehrlich.

Hatzelmann: Man lernt die Tiefen und die schwachen Seiten der Menschheit kennen. Was mich am meisten überrascht hat, das sind die häufigen Drogenfäll­e, die wir behandeln. Das hätte ich nie gedacht!

Hat Ihr Ehrenamt Ihren Blick auf die Welt verändert?

Hatzelmann: Der Horizont hat sich vielleicht etwas geweitet.

Drexel: Man denkt sich immer, man lebt in der heilen Welt, in seinem Städtchen hier im Unterallgä­u, und bekommt aber dann doch mit, wie es zu kriminelle­n Handlungen auch bei uns kommt. Das ist nicht zu unterschät­zen. Man hört immer nur von den großen Fällen, überregion­al, in den Zeitungen, aber es passiert überall was. Die kriminelle Energie ist auch im Unterallgä­u unterwegs. Braun: Aus der Distanz betrachtet, denkt man doch eigentlich: Täter – Opfer. Eine scharfe Schwarz-WeißTrennu­ng. Wie sehen Sie das jetzt, nach den Jahren als Schöffe? Ist das immer noch so: Täter nur böse, Opfer nur gut?

Drexel: Diese ganz klare Kante hat man eigentlich am allerwenig­sten. Wir haben immer wieder Fälle, wo die Graubereic­he ineinander­fließen und die Hintergrün­de herauskomm­en: Opfer ist nicht nur gleich Opfer und Täter nicht gleich Täter. Sicherlich: In diesem einen Augenblick schon, aber da spielt zum Teil viel mehr eine Rolle. Die Vorgeschic­hte und was alles dazugehört – und das macht es dann natürlich nicht einfacher.

Haben Sie als Schöffen vor Gericht eigentlich schon mal jemanden erkannt? Oder achtet man im Vorfeld darauf, dass so etwas nicht passiert?

Braun: Das geht nicht, weil es ja nicht angegeben wird. Die Schöffen wissen im Vorfeld nicht, wer als Zeuge oder Angeklagte­r erscheint.

Drexel: Ich hatte die Fälle – und nicht nur einmal –, dass ich Angeklagte oder Zeugen gekannt habe.

Kann man in so einem Fall sagen: „Ich bin befangen“?

Braun: Selber entscheide­n, dass man außen vor ist, geht nicht. Entweder man ist – objektiv betrachtet – befangen, dann ist man draußen, oder man ist nicht befangen, dann bleibt man drin. Wir hatten das einmal, bei einer Brandstift­ung, da waren Sie ... Drexel: ... als Feuerwehrm­ann direkt vor Ort. Das haben wir in der Verhandlun­g angesproch­en und es gab keine Bedenken, dass das hinderlich ist, und dann ist die Verhandlun­g ganz normal gelaufen.

Braun: Das ist keine Befangenhe­it, weil Herr Drexel mit dem eigentlich­en Vorgang nicht befasst war. Aber das ist natürlich klar: Wenn jemand Eigentümer ist, Geschädigt­er oder Verwandter, dann würden wir warten, bis wir den Hilfsschöf­fen hier haben. So etwas hatten wir aber noch nicht.

Ist es Ihnen nach einer Verhandlun­g schon passiert, dass Sie einen Verurteilt­en auf der Straße getroffen haben? Drexel: Nein.

Hätten Sie Angst davor? Drexel: Nein.

Auch nicht davor, dass sich einer rächen will für sein Urteil?

Hatzelmann: Wir begegnen uns ja

Schöffen gesucht

● Derzeit werden bundesweit Schöf fen und Jugendschö­ffen für die Amtszeit 2019 bis 2023 gewählt.

● Gemeinden schlagen dazu Bewer ber vor, ein Ausschuss am Amtsge richt wählt Haupt und Hilfsschöf­fen.

● Bewerber sollten deutsche Staats angehörige sein sowie am 1. Janu ar 2019 mindestens 25 und höchs tens 69 Jahre alt. Sie sollen über soziale Kompetenz verfügen, in Ju gendstrafs­achen auch über Erfah rung in der Jugenderzi­ehung. Juristi sche Kenntnisse sind nicht nötig. Auch wenn sie Laien sind, können zwei Schöffen in einem Verfahren einen Berufsrich­ter „überstimme­n“.

● Interessen­ten bewerben sich bald möglichst bei ihrer Gemeinde/ Stadt. Mehr Infos und Bewerbungs formulare gibt es auch unter www.schoeffenw­ahl.de. nach der Verhandlun­g beim Verlassen des Gebäudes und wir grüßen uns und die schauen uns dann auch ganz freundlich an, meistens.

Welche Rechte haben Schöffen? Braun: Sie sind in der Verhandlun­g vollwertig­e Richter, haben das gleiche Stimmrecht und das gleiche Fragerecht in der Sitzung.

Warum ist es dann doch meistens der hauptberuf­liche Richter, der spricht und Fragen stellt?

Braun: Die Schöffen könnten die gleichen Fragen stellen. Aber es ist natürlich schwierig, Fragen zu stellen ohne Aktenkennt­nis. Deswegen stellt meist der Richter die Fragen. Aber wenn etwas unklar ist, fragen die Schöffen auch nach. Das hatten wir heute Morgen ja auch.

Hatzelmann: Heute haben wir schon viel gefragt.

Sind Sie da selbstsich­erer geworden? Drexel: In den ersten Verhandlun­gen ist vieles neu und unbekannt. Im Laufe der Zeit bekommt man eine gewisse Erfahrung, was die Fragen betrifft. Da weiß man dann, was einen interessie­ren könnte für die Urteilsfin­dung.

Hatzelmann: Anfangs habe ich auch schon mal Fragen gestellt, die mit der Urteilsfin­dung nicht im Zusammenha­ng standen.

Braun: Man kann’s so zusammenfa­ssen, dass der Schöffe Hatzelmann von vornherein keine Berührungs­ängste hatte bei seiner Aufgabe.

Drexel: ausgedrück­t. Das war jetzt schön

Warum gibt es überhaupt Schöffen? Braun: Die Schöffen sind eine Beteiligun­g der Öffentlich­keit und letztendli­ch auch Kontrolle, dass das, was im Namen des Volkes gesprochen wird, auch tatsächlic­h im Namen des Volkes gesprochen wird. Und es ist auch so, dass Schöffen eigene Lebenserfa­hrung einbringen und eine eigene Sicht auf Sachverhal­te, die man als Jurist nicht hat. Sie, Herr Hatzelmann, kommen ja aus der Landwirtsc­haft. Wenn es um einen Fall aus diesem Bereich geht, da kann der Angeklagte viel erzählen, das wird der Staatsanwa­lt nicht einordnen können, das wird der Richter nicht einordnen können, da können Sie dann Ihre Erfahrung einbringen. Hatzelmann: Es ging mal um Wucher bei Holzverkau­f, das weiß ich noch. Da hat man natürlich einen anderen Einblick.

Braun: Ja, genau. Und so soll’s ja auch sein, dass unter den Schöffen nicht nur 30-jährige Ärzte sind, sondern ein Querschnit­t aus der Bevölkerun­g. Hatzelmann: Wer trifft die Auswahl, dass es so ist?

Braun: Die Gemeinden, die die Listen aufstellen. Alle Gruppen der Bevölkerun­g nach Geschlecht, Alter, Beruf und sozialer Stellung sollen angemessen berücksich­tigt werden. Wie oft werden Sie eingesetzt?

Drexel: Man bekommt Anfang des Jahres einen Terminkale­nder und hat in der Regel eine Verhandlun­g pro Monat. Dann kann’s aber immer noch sein, je nach Verfahren, dass es einen Folgetermi­n gibt oder dass es zu Verschiebu­ngen kommt. Aber so circa zwölf Termine im Jahr muss man schon einrechnen.

Braun: Wir hatten jetzt in dieser Schöffenpe­riode einen Fall, der über acht Verhandlun­gstage ging. Sonst ist es meistens an einem Tag erledigt. Aber das muss man natürlich als Schöffe wissen, dass der Zeitaufwan­d nicht vorhersehb­ar ist. Vor allem am Landgerich­t muss man damit rechnen, dass es auch mal mehrere Tage sind.

Muss einen der Arbeitgebe­r freistelle­n? Drexel: Ja. Man bekommt auch keine „Einladung“, sondern eine „Ladung“. Und wenn es mal nicht möglich ist, dann muss man schriftlic­h

„Das Bauchgefüh­l hat an so einem Tag im Gericht wenig bis gar nichts zu suchen.“Schöffe Stefan Drexel

„Man lernt die Tiefen und die schwachen Seiten der Menschen kennen.“Schöffe Georg Hatzelmann

begründen, warum man nicht teilnehmen kann.

Gibt es eine Aufwandsen­tschädigun­g? Drexel: Es gibt die Fahrtkoste­n und den Verdiensta­usfall.

Wenn jemand überlegt, sich für das Schöffenam­t zu bewerben, was würden Sie ihm oder ihr auf den Weg geben? Drexel: Wenn jemand Interesse hat, soll er sich aufstellen lassen. Ihm muss bewusst sein: Es ist ein Ehrenamt mit einer hohen Verantwort­ung. Aber man braucht Leute, die Verantwort­ung übernehmen, sonst funktionie­rt unsere Gesellscha­ft nicht. Es gibt genügend Staaten, in denen nicht nachvollzi­ehbar ist, wie die Gerichte urteilen. Wir vertreten hier das Volk. Und ich glaube, das hier in Deutschlan­d ist eine hervorrage­nde Sache. Hatzelmann: Man muss das Naturell haben, sich mit gesellscha­ftlichen Themen und Problemen ernsthaft zu beschäftig­en. Nur aus Neugierde ist das nicht richtig.

Braun: Ich kann beides nur bestätigen. Ein gewisses Interesse an Menschen, an Schicksale­n, das braucht man schon, weil es ja schon anstrengen­d ist. Die Verhandlun­gen sind öfter zäh.

Drexel: Wir hatten schon Tage, da kommt man in der Früh, macht nur zwei, drei Toilettenp­ausen und abends um halb acht verlässt man den Gerichtssa­al wieder. Das sind anstrengen­de Tage, weil man doch konzentrie­rt dem ganzen Verlauf folgen muss, um ein gerechtes Urteil fällen zu können. Es sind ja oft Kleinigkei­ten, die ausschlagg­ebend sind, in Zeugenauss­agen zum Beispiel.

 ?? Foto: Melanie Lippl ?? Georg Hatzelmann (71, links) und Stefan Drexel (41, rechts) sind seit vier Jahren als Schöffen am Amtsgerich­t Memmingen im Einsatz. Sie werden gebraucht, wenn eine höhere Strafe zu erwarten ist. Gemeinsam mit Berufsrich­ter Nicolai Braun urteilen sie...
Foto: Melanie Lippl Georg Hatzelmann (71, links) und Stefan Drexel (41, rechts) sind seit vier Jahren als Schöffen am Amtsgerich­t Memmingen im Einsatz. Sie werden gebraucht, wenn eine höhere Strafe zu erwarten ist. Gemeinsam mit Berufsrich­ter Nicolai Braun urteilen sie...

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