Drei Unterschriften und ein bisschen Freude
Union und SPD besiegeln ihr Bündnis nun auch offiziell. Schon jetzt denkt jeder ans eigene Profil
Berlin Angela Merkel äußert einen Wunsch: „Eine Portion Freude am Gestalten“, sagt sie vorne auf dem Podium im Paul-Löbe-Haus des Bundestags. Ein Seitenhieb auf die Genossen von der SPD, die sich so schwergetan haben mit dem Eintritt in diese vierte Große Koalition der Bundesrepublik. Neulich in der SPD-Zentrale, nach der Verkündung der Zustimmung der Sozialdemokraten zum Koalitionsvertrag, herrschte noch dröhnendes Schweigen. Jetzt, bei der Unterzeichnung, darf ruhig mal geklatscht werden.
Es ist Tag 169 nach der Wahl. CSU-Chef Horst Seehofer, bald Innenminister, findet angesichts geplanter Verbesserungen bei Rente, Bildung und auf dem Arbeitsmarkt eine eingängige Überschrift: „Es ist ein Koalitionsvertrag für die kleinen Leute.“Den Zusammenhalt der Gesellschaft stärken angesichts des Erstarkens der AfD, das soll das große Thema werden. Der künftige Finanzminister und Vizekanzler Olaf Scholz macht deutlich: Die geplanten Verbesserungen rechtfertigten es für die SPD, noch mal mitzumachen. „Eigentlich drängt fast alles, was man sich vorgenommen hat“, sagt Merkel. Recht bald soll es eine Kabinettsklausur geben.
In der Bundespressekonferenz treten am Vormittag nacheinander zunächst die Chefs von Grünen, FDP und AfD auf, um den 177 Seiten dicken Koalitionsvertrag zu bewerten. Den AfD-Chef Jörg Meuthen erinnert das Werk an Fünfjahrespläne in der DDR. Dann folgen ihnen Merkel, Seehofer und Scholz. Nach der quälenden Zitterpartie bei der Regierungsbildung wollen sie Einigkeit demonstrieren. Damit sie das so richtig demonstrieren können, haben sie sich erst im Kanzleramt getroffen. Für die paar hundert Meter zur Pressekonferenz nehmen sie den Wagen der Kanzlerin. Merkel und der CSU-Chef sitzen im Fond, SPD-Mann Scholz vorne auf dem Beifahrersitz, wird in der Union später betont.
„Die vierte Große Koalition in Deutschland ist jetzt nicht von Anfang an als Liebesheirat losgegangen“, frotzelt Scholz. Obwohl Union und SPD „grundverschiedene Parteien“blieben, seien sie aber „trotzdem in der Lage, konstruktiv miteinander zusammenzuarbeiten und ordentlich zu regieren“. Als die Dreier-Runde auf dem Podium gefragt wird, warum sie so griesgrämig nebeneinandersitze, kontert Merkel: „Es sind gute Partner jetzt für die Arbeit“– und überhaupt sei man eben voller Konzentration für die kommenden Projekte. „Wir können auch gerne freundlich gucken, das fällt mir nicht schwer.“
Alle drei Partner werden sich profilieren, sie stehen nach der Bundestagswahl und ihren schweren Verlusten stark unter Druck. Dennoch betonen alle: Das ist eine Regierung für die ganze Wahlperiode, bis Herbst 2021. Aber schon dieser Tag zeigt, die AfD könnte die Politik wie ein Schatten beeinflussen. Seehofer könnte in der Flüchtlingspolitik sicher rasch Pflöcke für eine härtere Abschiebepraxis einschlagen – und auch aus der SPD kommen dazu neue Töne. Scholz etwa spricht von einem „pragmatischhumanitären“Ansatz.
Seehofer sorgt zwar für einen unfreiwilligen Lacher in der Pressekonferenz, als er von seinem künftig um die Bereiche Heimat und Bau ergänzten Innenministerium als „Heimatmuseum“spricht. Doch die Christsozialen stehen vor einer Landtagswahl im Herbst, bei der auch deren bundespolitischer Anspruch auf der Kippe steht – auch ihr sitzt die AfD im Nacken.
Auch in der CDU-Führung heißt es angesichts der dramatischen Verluste bei der Bundestagswahl, in der neuen Regierung müsse genügend Raum zur Profilbildung bleiben. Es werde eine schwierige Gratwanderung, über die mit der SPD abgestimmte Tagespolitik hinaus Themen zu finden, worin sich Koalitionspartner unterscheiden.