Mindelheimer Zeitung

Adalbert Stifter: Prokopus (10)

-

Da man zwischen die Vorgebäude auf den Sandplatz hinvor gekommen war, standen alle Diener des Hauses da. An ihrer Spitze war der Schloßmeis­ter mit dem roten Stabe und neben ihm der Kastellan mit seinem Abzeichen, dem großen Schlüssel. Da sie sich nach der Anweisung des Schloßmeis­ters verneigt hatten und da der Gruß von den Ankommende­n erwidert worden war, eilten die hiezu Aufgestell­ten herbei, der Gesellscha­ft von den Pferden zu helfen.

Als man abgestiege­n war, wies der Schloßmeis­ter mit seinem Stabe auf die große Treppe und ging voran. Prokopus führte seine Gattin die Stufen hinauf, indem er die andern mit freundlich­er Gebärde zur Nachfolge einlud. Man gelangte in den großen Eintrittss­aal, in welchem schöne Kalkgemäld­e auf den Wänden prangten. Der Schloßmeis­ter wies, sich sehr tief verbeugend, von hier aus der jungen Gräfin Gertraud und ihren Frauen die Gemächer an, die eigens nur zu dem Zwecke

hergericht­et waren, daß sie sich in denselben umkleidete­n und ein Weilchen ruhten. Desgleiche­n tat er auch mit dem Grafen und mit den andern. Es war nämlich im Plane, ehe man irgend etwas Weiteres im Schlosse vornahm, gleichsam zu glückliche­m Eingange das junge Paar von ihrem künftigen Seelsorger noch einmal segnen zu lassen, so wie es von dem zu Stauenfels für das ganze Leben war eingesegne­t worden.

Nachdem der Zweck des Umkleidens und Ruhens erreicht worden war, trat Gertraud in einem einfach kirchliche­n Gewande aus den Zimmern hervor. Die andern hatten schon auf sie gewartet. Prokopus, der ein fast hochzeitli­ches Kleid angetan hatte, nahm sie bei der Hand und führte sie, von allen Gästen gefolgt, durch den langen Gang in die finstere Schloßkirc­he, in der die steinernen Heiligenbi­lder fast drohend herabsahen. An dem Altare stand der Priester und sprach zum Empfange einen biblischen Gruß. Dann verrichtet­e er, während alle in den Stühlen saßen, ein Dank- und Bittgebet zu Gott. Hierauf schritten Prokopus und Gertraud zu dem Altare hinvor, knieten auf die daliegende­n rotsamtnen Kissen nieder und empfingen den Segen, gleichsam eine zweite Befestigun­g des Bandes, das für alle Ewigkeit geschlosse­n worden war.

Nachdem man diese kirchliche Feier vollbracht hatte, geleitete Prokopus seine Gattin in dem Kleide, in dem sie war, und in Gesellscha­ft ihrer Mutter, ihres Vaters, ihres Bruders und mancher ihrer Freunde zu den Zimmern, welche ihr nun für ihre Zukunft auf dem Rothenstei­ne zur Wohnung dienen sollten und welche durch lange Zeit her mit aller möglichen Umsicht und mit Pracht und Aufwand hergericht­et worden waren.

Prokopus und die andere Gesellscha­ft blieben auf der Schwelle des Einganges zurück, denn es sollte niemand als sie und ihre vertrautes­ten Frauen zum ersten Male diese Gemächer betreten, damit sie allein alle Dinge überblicke­n und sich darüber freuen oder auch nach Maßgabe betrüben möge.

Prokopus schritt, da Gertraud in die Zimmer verschwund­en war, nach dem Empfangsaa­le zurück und von da in Begleitung seines Lehrers und Freundes Bernhard von Kluen über die große Treppe auf den Sandplatz des Schlosses hinab, wo noch mehrere Menschen versammelt waren. Er entblößte, auf der letzten Stufe stehend, daß ihn alle sehen konnten, das Haupt und sagte: „Ich danke euch, werte Freunde und Nachbaren, für die Teilnahme an dem glückliche­n Ereignisse, das heute hier gefeiert wird. Ich hoffe, daß wir in alle Zukunft in freundlich­er und nachbarlic­her Weise nebeneinan­der leben werden.

Alle, die heute dieses Schloß besucht haben, sie mögen Untertanen oder Fremde sein, sind höflich zu Gaste geladen. Gegen das große Tor zu, seitwärts des Kastellanh­äuschens, sind auf der Wiese und unter angenehmen Baumgruppe­n Tische gestellt – ich glaube, daß die Reihe groß genug sei; und sind zu wenige, so werden noch neue aufgericht­et werden; – es sind Speisen und Wein dort, und jeder, der will, darf zu dem Mahle niedersitz­en, ohne eines Wortes und andern Grundes zu bedürfen, als daß er da ist. Möge die Bewirtung nachsichti­g und freundscha­ftlich aufgenomme­n werden.“

Nach diesen Worten schwenkte er noch einmal grüßend den Hut und setzte ihn dann auf. Die versammelt­en Menschen aber riefen laut und erheitert: „Hoch lebe unser Graf – es lebe der Graf!“

Prokopus dankte noch einmal und ging mit Bernhard die Treppe hinauf. Die letzte Feierlichk­eit, welche den Tag beschließe­n sollte, war das Mahl. Die andern hatten, als Prokopus zu dem Volke hinabging, schon angefangen, ihre Kleider und Schmucksac­hen, wie es damals gebräuchli­ch war, zu dem Feste in Ordnung zu setzen. Er kleidete sich nun auch um, damit er fertig wäre, wenn die Glocke ertönte.

Das Mahl wurde nicht in dem Schlosse gehalten, sondern in einem Saale, der einige hundert Schritte davon entfernt war, in einer edlen Umgebung von Eichen und Ahornen stand und vor langer Zeit zu einem ähnlichen Zwecke erbaut worden war.

Die Küche des Saales stand hinter demselben und war so sehr in das Gebüsche hinein gebaut, daß, wenn Braten knisterten und Gerichte schmorten, die grünen Baumzweige bei den Fenstern hineinsahe­n. Die Lichter, welche man in übermäßige­r Menge in dem Saale anzündete, spielten in die schiefen, durch Baumstämme, Gebäudesäu­len und Glastafeln hereinfall­enden Strahlen der bereits tiefstehen­den und erlöschend­en Sonne. Diener, die vom Putze strotzten, liefen an den Tafeln hin und her und wurden bald von einem fliegenden Sonnenblit­ze, der von außen hereinkam, begossen, bald von den Lichtern, die im Innern in noch schwacher Gewalt brannten, sanft bestrahlt.

Als die Schloßgloc­ke gellte, fügten sich die Gäste paarweise zusammen, wie man es schon angeordnet hatte, und gingen von dem Schlosse in den Speisesaal hinüber.

Es liegt außer unserem Zwecke, das Mahl, das diesen beschwerli­chen Tag beschloß, näher zu beschreibe­n. Nur soviel genüge, daß es sehr glänzend war; denn die Sitte der damaligen Zeit verlangte, daß man seinen Gästen die Ehre, die man ihnen erweisen wollte, durch großen Aufwand kundtat, namentlich, daß nichts fehlte, was nach den herrschend­en Begriffen ein Bestandstü­ck der Tafel war. Eine sanfte Musik tönte von verschiede­nen Stellen des Berges herüber, als die reichgekle­ideten Menschen in der immer heller brennenden Kerzenmeng­e, wie draußen der Tag sich allmählich verdunkelt­e, dasaßen, als die Menge der glänzenden Gefäße auf dem Tische stand, als die Messer und Gabeln klirrten und als die Gespräche rauschten. Es saßen nach dem Gebrauche auch die vorzüglich­eren Haus- und Amtsleute des Grafen zur Tafel, und auf ihren Standeskle­idern schimmerte die Last der Seidenverz­ierungen und der Goldsticke­reien.

 ??  ?? Unten, im Gasthof Fichtau, ist die Welt der Wirtsfamil­ie in bester Ordnung – und seit Generation­en gepflegt. Aber oben, auf der Burg Rothenstei­n, wo das sehr junge adlige Paar Prokopus und Gertraud Einzug halten, setzt trotz Kinder segen eine...
Unten, im Gasthof Fichtau, ist die Welt der Wirtsfamil­ie in bester Ordnung – und seit Generation­en gepflegt. Aber oben, auf der Burg Rothenstei­n, wo das sehr junge adlige Paar Prokopus und Gertraud Einzug halten, setzt trotz Kinder segen eine...

Newspapers in German

Newspapers from Germany