Sexhölle statt Paradies
TV-bekannter Bordellchef vor Gericht
Stuttgart Genau so saß Jürgen R. vor fünf Jahren bei Günther Jauch im Fernsehstudio und redete sein umstrittenes Geschäftsmodell von der sauberen, selbstbestimmten Prostitution schön: Föhnwelle im grau melierten Haar, Anzug, offenes weißes Hemd, ein nicht unsympathisch wirkender 64-Jähriger. Am Freitag nun musste der Chef der Bordellkette „Paradise“mit Filialen in Stuttgart, Frankfurt, Saarbrücken und Graz vor dem Stuttgarter Landgericht erscheinen. Er ist angeklagt wegen Beihilfe zum schweren Menschenhandel, zur Zuhälterei und wegen Betrugs in Millionenhöhe.
Jürgen R. befindet sich seit einem halben Jahr in Untersuchungshaft. Mit ihm angeklagt sind der 52-jährige Geschäftsführer und der 51-jährige Marketingchef des Stuttgarter „Paradise“-Bordells sowie ein Frankfurter Jurist, mit dem Jürgen R. Investoren um rund drei Millionen Euro betrogen haben soll. Zu ihren Geschädigten soll auch Willi Weber gehören, der Ex-Manager von Formel-1-Weltmeister Michael Schumacher.
Die Anklageschrift, die Oberstaatsanwalt Peter Holzwarth 90 Minuten lang verliest, lässt dann wenig übrig vom Bild des Saubermanns Jürgen R., der stets vorgab, dass Ausbeutung und Zwangsprostitution in seinen Etablissements keinen Platz hätten. Das Geschäftsmodell ist in allen Klubs das gleiche: R. stellt die Räumlichkeiten, die Kunden bezahlen Eintritt, die Prostituierten bezahlen Miete und rechnen darüber hinaus selbst mit den Freiern ab.
Der Anklage zufolge sind es aber keineswegs nur selbstständige Sexarbeiterinnen, die sich im „Paradise“anbieten. Sondern vor allem sorgten Angehörige der Rockergruppen Hells Angels und United Tribunes dafür, dass den Freiern im Stuttgarter „Paradise“und den später hinzugekommenen Filialen stets ein großes und wechselndes Angebot von sehr jungen Frauen zur Verfügung stehe – und diese prostituierten sich keinesfalls freiwillig. Weil die Hells Angels auch als Sicherheitsdienst im „Paradise“tätig sind, stünden die Frauen, so die Anklage, unter dem Zwang, möglichst viele Freier „zu machen“. Auf die Schicksale und Aussagen von insgesamt 21 dieser jungen Frauen stützt sich die Anklage. Der Prozess ist auf ein Jahr angesetzt. Jürgen R. muss mit einer mehrjährigen Haftstrafe rechnen.