Konflikt mit Moskau eskaliert immer weiter
Konzertierte Aktion: Warum so viele Länder russische Diplomaten ausweisen
Brüssel/Berlin Mit dem Giftgas-Anschlag auf den früheren russischen Doppelagenten Sergej Skripal hat bereits eine neue Eiszeit zwischen dem Westen und Russland begonnen – nun kühlt das Verhältnis offenbar noch weiter ab. In einer bislang beispiellosen Aktion weisen die Vereinigten Staaten, 14 Länder der Europäischen Union, Kanada und die Ukraine russische Agenten und Diplomaten aus. Deutschland schickt dabei vier Mitarbeiter der russischen Botschaft nach Hause und begründet das nicht nur mit dem Fall Skripal, sondern auch mit den Angriffen auf die Rechenzentren der Bundesregierung, die offenbar aus Russland gesteuert wurden. In einer Erklärung des Auswärtigen Amtes heißt es: „Die Ausweisung ist ein starkes Signal der Solidarität mit Großbritannien und signalisiert die Entschlossenheit der Bundesregierung, Angriffe auf unsere engsten Partner und Alliierten nicht unbeantwortet zu lassen.“Die vier Betroffenen müssen Deutschland binnen einer Woche verlassen.
Weitere Maßnahmen sind nach den Worten von EU-Ratspräsident Donald Tusk nicht ausgeschlossen. Dazu könnten auch neuerliche Ausweisungen zählen. Skripal und seine Tochter Julia waren am 4. März im englischen Salisbury vergiftet worden. Sie liegen seither im Koma. Nach den bisherigen Ermittlungsergebnissen wurden beide mit dem militärischen Nervengift Nowitschok vergiftet, das in der Sowjetunion entwickelt wurde.
Unter den 60 russischen Staatsbürgern, die die USA verlassen müssen, sind den Regierungsangaben zufolge zwölf Mitarbeiter der russischen Vertretung bei den Vereinten Nationen in New York. Präsident Donald Trump ordnete außerdem die Schließung des russischen Konsulats in Seattle an. Es werde für Spionageaktivitäten gegen eine nahe gelegene U-Boot-Basis sowie die Fabrik des Flugzeugherstellers Boeing genutzt, hieß es zur Begründung. Der neue Außenminister Heiko Maas (SPD) erklärte, die Entscheidung sei nicht leichtfertig getroffen worden. „Aber die Fakten und Indizien weisen nach Russland.“Trotzdem sei Deutschland weiter offen für einen konstruktiven Dialog mit Russland. Der frühere EU-Kommissar Günter Verheugen (ebenfalls SPD) warnt dagegen vor einer allzu harten Gangart gegenüber Moskau. „Die Haltung, dass Putin und die Russen im Zweifel für alles verantwortlich sind, ist eine Vergiftung des Denkens“, betonte er in einem Interview mit unserer Zeitung. Die Argumentation im Fall Skripal erinnere ihn an eine Urteilsverkündung nach dem Motto: Die Tat war dem Beschuldigten nicht nachzuweisen, aber es war ihm zuzutrauen.
Russland hat die Ausweisung scharf verurteilt und mit Gegenmaßnahmen gedroht. „Es versteht sich von selbst, dass der unfreundliche Schritt der Ländergruppe nicht folgenlos bleiben wird“, betonte das Außenministerium in Moskau. Es gebe keine Beweise, dass Moskau für den Anschlag verantwortlich sei.
Mit der neuen Eiszeit beschäftigt sich auch der Kommentar. Das Interview mit Verheugen finden Sie in der Politik.