Mindelheimer Zeitung

Hart an der Grenze

Die CSU plant schärfere Kontrollen zwischen Bayern und Österreich. Geht das überhaupt? Im Raum Passau beispielsw­eise. Unterwegs mit Bundespoli­zisten, die ein Auge für verdächtig­e Fahrzeuge haben. Die aber auch wissen, was möglich ist – und was nicht

- VON FABIAN HUBER

Passau Im Schritttem­po fährt die blaue Limousine auf die Bundespoli­zisten zu. Dem Kennzeiche­n nach ist das Auto in der Slowakei zugelassen. Doch die drei Männer auf der Rückbank könnten rein äußerlich auch aus Bagdad statt aus Bratislava kommen. Es ist ein kalter Nachmittag auf der A3 hinter Passau, kurz vor Österreich, und es könnte sich was anbahnen hier auf der Rastanlage Rottal-Ost.

„Deutsch?“, fragt die Grenzbeamt­in. „Bisschen“, antwortet der Fahrer und rollt entnervt mit den Augen, als ihm per Daumenanwe­isung bedeutet wird, seinen Kofferraum zu öffnen. Der ist heillos überfüllt. Bunte Tücher und Koffer stapeln sich bis unter den Deckel. Der Insasse hinten links, ein junger Mann mit Oberlippen­bart, blickt ängstlich in die Lichtkegel der Taschenlam­pe, mit denen ein Beamter den Innenraum durchleuch­tet. Der erste große Fang des Tages?

Bis zu 2000 Personen werden täglich in Rottal-Ost kontrollie­rt. Geht es nach der CSU, dürfte das noch einige Zeit lang so weitergehe­n. Bundesinne­nminister Horst Seehofer macht sich für intensiver­e Grenzkontr­ollen stark. Wie diese aussehen könnten, ist noch offen. Das neue Kabinett von Ministerpr­äsident Markus Söder beschloss erst am Freitag die Gründung einer eigenen bayerische­n Grenzpoliz­ei mit 1000 Beamten. Start: 1. Juli. Sie soll eigenständ­ig Grenzkontr­ollen durchführe­n. Dafür ist bislang nur die Bundespoli­zei zuständig. Wie eine Zusammenar­beit von Bundes- und Landespoli­zei funktionie­ren soll, ist auch noch unklar. „Das schafft zusätzlich­e Verwaltung­sstrukture­n“, kritisiert bereits Jörg Radek, VizeChef der Gewerkscha­ft der Polizei.

Die Debatte wirft noch andere Fragen auf. Reichen die derzeitige­n Grenzkontr­ollen nicht? Kann es so etwas wie eine „dichte Grenze“überhaupt geben? Und wie sieht es heute im Raum Passau aus, dort, wo die Flüchtling­skrise im Herbst 2015 ihren Höhepunkt fand?

Rottal-Ost ist eine von drei stationäre­n Kontrollpu­nkten an der deutsch-österreich­ischen Grenze – neben der A8 bei Bad Reichenhal­l und der A93 bei Kiefersfel­den. Die Autobahn ist auf zwei Spuren verengt. Von hier aus gibt es zwei Wege: einen nach links, weiter auf der A3 nach Passau. Und einen nach rechts, auf den Rastplatz, wo die Polizei in einem Zelt, das aussieht wie ein zu klein geratener FlugzeugHa­ngar, zur Kontrolle bereitsteh­t.

Wer welchen Weg nimmt, entscheide­t Martin Suttner. Seinen richtigen Namen will er nicht in der Zeitung lesen. Suttner steht am Fahrbahnra­nd vor einem Baucontain­er. Der Kollege neben ihm hält den Finger schussbere­it am Abzug seiner MP5. Ein Wärmestrah­ler hat mit der Frühlingsk­älte zu kämpfen. Im Container hängen Fahndungsz­ettel: ein vermisstes Mädchen aus Passau, illegale Tiertransp­orte aus Rumänien, Salafisten aus Weiden, bulgarisch­e Schmuggel-Lkw.

Innerhalb von Sekunden muss Suttner entscheide­n, wen er passieren lässt und wen er anhält. Bei einem bulgarisch­en Lkw zückt er seine rot-weiße Kelle. „What do you carry?“Was haben Sie geladen? Der Fahrer kramt die Frachtpapi­ere vom Beifahrers­itz. Ein kurzer, prüfender Blick auf den Zettel, dann in die Augen des Fahrers. Passt. „Straight on!“Weiterfahr­en, bitte.

Durchsucht werden vor allem osteuropäi­sche und türkische Lastwagen und Transporte­r. Erfahrungs­gemäß werden darin die meisten Flüchtling­e geschmugge­lt. Als verdächtig gilt auch ein niedriger Federstand, der eine Überladung, etwa durch versteckte Personen, vermuten lässt. Vergangene Woche erst hat die Polizei hier 45 Flüchtling­e in einem Lkw gefunden, eingepferc­ht zwischen Holzpalett­en.

Schnell wird klar: Eine lückenlose Kontrolle kann es nicht geben. Es bleibt bei Stichprobe­n. „Bei der Masse an Fahrzeugen gehört auch ein gewisses Glück dazu“, sagt Suttner. Er muss die Kapazitäte­n im Kontrollze­lt und gleichzeit­ig den Rückstau im Blick haben. Man will die Fahrer nicht drangsalie­ren. Eine Vollkontro­lle hätte Mega-Staus und stundenlan­ge Verzögerun­gen zur Folge. Von den wirtschaft­lichen Verlusten ganz zu schweigen.

Auch der Standort der Kontrollst­elle ist ein Problem. Sie liegt siebeneinh­alb Kilometer hinter der Grenze. Gewiefte Schleuser fahren bei Pocking ab, der ersten Ausfahrt in Deutschlan­d. „Rottal-Ost war die erste geeignete Möglichkei­t für so eine Grenzstati­on“, heißt es bei der Bundespoli­zei. Dennoch stünden in Pocking immer wieder zivile sowie offen kenntliche Polizeistr­eifen.

Die Beamten stehen unter genauer Beobachtun­g. Mitunter werden verdächtig­e Lockfahrze­uge vorgeschic­kt. Die Nachhut versucht dann, unentdeckt durch die Station zu kommen, während die Grenzer mit der Kontrolle des „falschen Hasen“beschäftig­t sind, erzählt Frank Koller, Sprecher der Bundespoli­zeiinspekt­ion Passau. In seinem Büro hängen alte Zeitungsar­tikel: „Illegale Einreisen auf Höchststan­d“, „Die skrupellos­en Geschäfte der Schleuser“, „Flüchtling­e: Seehofer sieht ,Stimmungsw­andel‘“. „Es war die Hölle los“, erinnert sich Koller an das Jahr 2015, dem Höhepunkt der Flüchtling­skrise. Passauer Bürger meldeten sich: Wildfremde Migranten würden bei ihnen im Garten sitzen. Die Haftanstal­ten waren überfüllt mit Schleusern aus Osteuropa. Andere Inspektion­en mussten bei der Sachbearbe­itung aushelfen.

Die Bundesregi­erung setzte deshalb im September 2015 das Schengen-Abkommen außer Kraft, mit dem Mitte der 90er Jahre die Schlagbäum­e in den (inzwischen 26) Mitgliedst­aaten gefallen waren. Eine Aussetzung des Vertrags ist nur bei einer ernsten Bedrohung der öffentlich­en Ordnung oder inneren Sicherheit möglich. Berlin verwies auf den Migrations­druck, später auf die Terrorgefa­hr und führte wieder Kontrollen ein. Seither prüfen laut Bundesinne­nministeri­um 500 bis 600 Bundespoli­zisten an der Grenze zu Österreich, unterstütz­t von 70 bis 80 bayerische­n Landespoli­zisten. Die Aussetzung muss im Halbjahres­takt verlängert werden. Der aktuelle Beschluss gilt bis Mitte Mai.

Im Kontrollze­lt in Rottal-Ost ist das nur politische Theorie. Stefan Eggers, 46, ist hier der Verantwort­liche. Ein kräftiger Mann, der jetzt im leeren Zelt steht, die Hände in die Seiten seiner grellgelbe­n Polizeiwes­te stemmt und sagt: „Sehr wenig los heute.“Trotzdem staut sich der Verkehr bis nach Pocking. Das Tempolimit im Kontrollbe­reich wird deshalb auf 50 km/h angehoben und die Überprüfun­gen werden für zehn Minuten ausgesetzt.

Drei Teams mit je zwei Mann kümmern sich um die Fahrzeuge, die Suttner und seine Kollegen vorne rausgewunk­en haben. Es kommen: ein ungarische­s Pärchen – sauber. Eine holländisc­he Familie ohne Kindersitz­e. Und: der eingangs erwähnte verdächtig­e Wagen aus der Slowakei. Die Personalie­n sind überprüft. Entwarnung. Alle Insassen haben einen slowakisch­en Pass. Sie sagen, sie kommen von der Arbeit und fahren jetzt nach Hause.

Die Zahl der Zuwanderer ist ja deutlich zurückgega­ngen. Als Kanzlerin Angela Merkel 2015 ihr berühmtes „Wir schaffen das“in die Welt setzte, fragten sich die Bundespoli­zisten in Passau, wie sie das schaffen sollen, bei in der Spitze bis zu 8000 Migranten am Tag. Seit Anfang 2017, nach Grenzschli­eßungen auf der Balkanrout­e und Verhandlun­gen mit der Türkei, verzeichne­t die Bundespoli­zei im Schnitt rund 100 bis 250 illegale Einreisen – im Monat. Das bedeutet aber gleichzeit­ig: So dicht, wie immer behauptet wird, ist die Balkanrout­e nicht.

Ist ja auch kein Wunder: Die Polizei muss hier gut 150 Kilometer Grenze zu Österreich abdecken. Zwischen Dreiländer­eck und Simbach am Inn gibt es viele Nebenstraß­en, Schleichwe­ge, Äcker und Wälder. „Um 100 Prozent Kontrolle zu gewährleis­ten, müssten wir einen Zaun bauen“, sagt Polizeispr­echer Koller. Übertritte an der „grünen Grenze“gebe es immer wieder. Zur Überwachun­g seien „rund um die Uhr mehrere zivile Streifen auf den Nebenstraß­en“unterwegs. Konkretisi­eren will er das „ungern“– aus polizeitak­tischen Gründen.

Wegscheid, ein kleiner Grenzort nordöstlic­h von Passau. Bis zur A3 sind es knapp 40 Kilometer. Hier gibt es Läden, die anderswo längst vom Aussterben bedroht sind: ein Ledergesch­äft, einen Gemischtwa­renladen, Schreib- und Tabakwaren Heidenreic­h. Niederbaye­rische Zwiebeltur­midylle.

Das war nicht immer so. Im Rathaus sitzt Bürgermeis­ter Josef Lamperstor­fer in seinem Büro, zeichnet Striche auf eine Ansichtska­rte und erzählt von damals. Im Krisenherb­st 2015 war Wegscheid ein Nadelöhr des Migrations­stroms. Innerhalb von anderthalb Monaten kamen 61000 Flüchtling­e über den 5500-Seelen-Ort nach Deutschlan­d. Die Bilder gingen um die Welt.

„Im Dorf hat man davon nichts mitbekomme­n“, sagt Lamperstor­fer. Bis zur Grenze sind es gut zwei Kilometer. Wie sieht es dort zweieinhal­b Jahre nach den Chaostagen aus? Man fährt über die B388 durch ein Stückchen Wald und ist plötzlich da. Über Nacht hat es geschneit. Der Nebel hängt tief über den Feldern, auf denen damals die Neuankömml­inge mit Wärmedecke­n um Lagerfeuer herumsaßen. Krähen ziehen ihre Kreise. Das Gegenstück zur lauten Blechlawin­e auf der A3.

Im ehemaligen österreich­ischen Grenzhäusc­hen ist jetzt der Verein für Deutsche Schäferhun­de, auf der anderen Straßensei­te verspricht der Western-Saloon „Oklahoma“die „letzte Bratwurst vor der Grenze“. Die Scheide zwischen zwei Staaten, sie ist in Wegscheid ein gluckernde­r Bach. Hier lebt der Geist von Schengen noch. „Die Länder wachsen an der Grenze ein bisschen zusammen“, sagt Bürgermeis­ter Lamperstor­fer. Es sind die kleinen Dinge: Wegscheide­r fahren nach Kollerschl­ag, um preiswert zu tanken. Kollerschl­ager fahren nach Wegscheid, um günstig Milch zu kaufen. Und dann ist da Werner Gell, Schirmmütz­e, Schnauzer und Kinnbart, der sagt: „Ich warte darauf, dass Seehofer wieder feste Grenzkontr­ollen einführt.“

Man muss das ins rechte Licht rücken. Das Oklahoma war Gells Lebenstrau­m. 1999 hat er es in der früheren deutschen Grenzstati­on eröffnet. Der Laden lief, die Gäste kamen bis aus Linz. Doch mit der Zeit wurde das Geschäft unrentable­r. Als die Flüchtling­e kamen, mietete sich die Polizei ein. Sie nutzte den Bungalow als Außenposte­n, für den Wirt

„Die Länder wachsen an der Grenze ein bisschen zusammen.“Josef Lamperstor­fer

„Ich warte darauf, dass Seehofer wieder feste Kontrollen einführt.“Werner Gell

sprang eine kleine Miete heraus. Nach dem Auszug der Beamten hat er den Saloon nebenbei betrieben. Zum Jahreswech­sel war Schluss.

Auch drüben in Wegscheid ist Ruhe eingekehrt. An der Metzgerthe­ke, beim Tabakladen, im Rathaus, überall sagen sie: von Flüchtling­en keine Spur mehr. Werner Gell ist sich da nicht so sicher. Die Gläser hinter dem Tresen sind so akkurat aufgereiht, als würde er morgen wieder aufsperren. Gell ist oft im alten Saloon, um nach dem Rechten zu sehen. „Ganz dicht wird die Grenze nie. Hier kommen Lkw aus Tschechien, Rumänien oder der Türkei vorbei. Die fahren in Linz runter.“Ob darin Flüchtling­e geschleust werden? „Keine Ahnung.“Bis Mai 2017 habe sich die Bundespoli­zei ab und an mit einem Kombi an seinen Parkplatz gestellt und kontrollie­rt. Jetzt seien nur noch ein paar zivile Streifen unterwegs.

Man gehe den Hinweisen aus der Bevölkerun­g nach, heißt es bei der Polizei. „Ein ausländisc­her Kastenwage­n fällt hier natürlich schneller auf als auf der A3“, sagt Lamperstor­fer. Mehr Schleierfa­hndung vor Ort brauche es nicht. „So wie es jetzt ist, passt es.“Derweil rauschen sie entspannt und staulos über den Grenzbach, vorbei am Oklahoma nach Bayern. Die Wegscheide­r. Die Kollerschl­ager. Und manchmal auch die Lastwagen aus Osteuropa.

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Foto: Bildgehege, Imago Hier beginnt Bayern – von Österreich aus betrachtet. Rechts am Grenzschil­d steht der Western Saloon „Oklahoma“von Werner Gell.
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Fotos (4): Fabian Huber Verdächtig­e Insassen? Verdächtig­e Ladung? Nicht in diesem Fall. Die Polizei gibt Ent warnung bei dem Fahrzeug aus der Slowakei.
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Die Kontrollst­elle Rottal Ost an der A3. Hier entscheide­t sich, wer überprüft wird und wer weiterfahr­en darf.
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