Hart an der Grenze
Die CSU plant schärfere Kontrollen zwischen Bayern und Österreich. Geht das überhaupt? Im Raum Passau beispielsweise. Unterwegs mit Bundespolizisten, die ein Auge für verdächtige Fahrzeuge haben. Die aber auch wissen, was möglich ist – und was nicht
Passau Im Schritttempo fährt die blaue Limousine auf die Bundespolizisten zu. Dem Kennzeichen nach ist das Auto in der Slowakei zugelassen. Doch die drei Männer auf der Rückbank könnten rein äußerlich auch aus Bagdad statt aus Bratislava kommen. Es ist ein kalter Nachmittag auf der A3 hinter Passau, kurz vor Österreich, und es könnte sich was anbahnen hier auf der Rastanlage Rottal-Ost.
„Deutsch?“, fragt die Grenzbeamtin. „Bisschen“, antwortet der Fahrer und rollt entnervt mit den Augen, als ihm per Daumenanweisung bedeutet wird, seinen Kofferraum zu öffnen. Der ist heillos überfüllt. Bunte Tücher und Koffer stapeln sich bis unter den Deckel. Der Insasse hinten links, ein junger Mann mit Oberlippenbart, blickt ängstlich in die Lichtkegel der Taschenlampe, mit denen ein Beamter den Innenraum durchleuchtet. Der erste große Fang des Tages?
Bis zu 2000 Personen werden täglich in Rottal-Ost kontrolliert. Geht es nach der CSU, dürfte das noch einige Zeit lang so weitergehen. Bundesinnenminister Horst Seehofer macht sich für intensivere Grenzkontrollen stark. Wie diese aussehen könnten, ist noch offen. Das neue Kabinett von Ministerpräsident Markus Söder beschloss erst am Freitag die Gründung einer eigenen bayerischen Grenzpolizei mit 1000 Beamten. Start: 1. Juli. Sie soll eigenständig Grenzkontrollen durchführen. Dafür ist bislang nur die Bundespolizei zuständig. Wie eine Zusammenarbeit von Bundes- und Landespolizei funktionieren soll, ist auch noch unklar. „Das schafft zusätzliche Verwaltungsstrukturen“, kritisiert bereits Jörg Radek, VizeChef der Gewerkschaft der Polizei.
Die Debatte wirft noch andere Fragen auf. Reichen die derzeitigen Grenzkontrollen nicht? Kann es so etwas wie eine „dichte Grenze“überhaupt geben? Und wie sieht es heute im Raum Passau aus, dort, wo die Flüchtlingskrise im Herbst 2015 ihren Höhepunkt fand?
Rottal-Ost ist eine von drei stationären Kontrollpunkten an der deutsch-österreichischen Grenze – neben der A8 bei Bad Reichenhall und der A93 bei Kiefersfelden. Die Autobahn ist auf zwei Spuren verengt. Von hier aus gibt es zwei Wege: einen nach links, weiter auf der A3 nach Passau. Und einen nach rechts, auf den Rastplatz, wo die Polizei in einem Zelt, das aussieht wie ein zu klein geratener FlugzeugHangar, zur Kontrolle bereitsteht.
Wer welchen Weg nimmt, entscheidet Martin Suttner. Seinen richtigen Namen will er nicht in der Zeitung lesen. Suttner steht am Fahrbahnrand vor einem Baucontainer. Der Kollege neben ihm hält den Finger schussbereit am Abzug seiner MP5. Ein Wärmestrahler hat mit der Frühlingskälte zu kämpfen. Im Container hängen Fahndungszettel: ein vermisstes Mädchen aus Passau, illegale Tiertransporte aus Rumänien, Salafisten aus Weiden, bulgarische Schmuggel-Lkw.
Innerhalb von Sekunden muss Suttner entscheiden, wen er passieren lässt und wen er anhält. Bei einem bulgarischen Lkw zückt er seine rot-weiße Kelle. „What do you carry?“Was haben Sie geladen? Der Fahrer kramt die Frachtpapiere vom Beifahrersitz. Ein kurzer, prüfender Blick auf den Zettel, dann in die Augen des Fahrers. Passt. „Straight on!“Weiterfahren, bitte.
Durchsucht werden vor allem osteuropäische und türkische Lastwagen und Transporter. Erfahrungsgemäß werden darin die meisten Flüchtlinge geschmuggelt. Als verdächtig gilt auch ein niedriger Federstand, der eine Überladung, etwa durch versteckte Personen, vermuten lässt. Vergangene Woche erst hat die Polizei hier 45 Flüchtlinge in einem Lkw gefunden, eingepfercht zwischen Holzpaletten.
Schnell wird klar: Eine lückenlose Kontrolle kann es nicht geben. Es bleibt bei Stichproben. „Bei der Masse an Fahrzeugen gehört auch ein gewisses Glück dazu“, sagt Suttner. Er muss die Kapazitäten im Kontrollzelt und gleichzeitig den Rückstau im Blick haben. Man will die Fahrer nicht drangsalieren. Eine Vollkontrolle hätte Mega-Staus und stundenlange Verzögerungen zur Folge. Von den wirtschaftlichen Verlusten ganz zu schweigen.
Auch der Standort der Kontrollstelle ist ein Problem. Sie liegt siebeneinhalb Kilometer hinter der Grenze. Gewiefte Schleuser fahren bei Pocking ab, der ersten Ausfahrt in Deutschland. „Rottal-Ost war die erste geeignete Möglichkeit für so eine Grenzstation“, heißt es bei der Bundespolizei. Dennoch stünden in Pocking immer wieder zivile sowie offen kenntliche Polizeistreifen.
Die Beamten stehen unter genauer Beobachtung. Mitunter werden verdächtige Lockfahrzeuge vorgeschickt. Die Nachhut versucht dann, unentdeckt durch die Station zu kommen, während die Grenzer mit der Kontrolle des „falschen Hasen“beschäftigt sind, erzählt Frank Koller, Sprecher der Bundespolizeiinspektion Passau. In seinem Büro hängen alte Zeitungsartikel: „Illegale Einreisen auf Höchststand“, „Die skrupellosen Geschäfte der Schleuser“, „Flüchtlinge: Seehofer sieht ,Stimmungswandel‘“. „Es war die Hölle los“, erinnert sich Koller an das Jahr 2015, dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise. Passauer Bürger meldeten sich: Wildfremde Migranten würden bei ihnen im Garten sitzen. Die Haftanstalten waren überfüllt mit Schleusern aus Osteuropa. Andere Inspektionen mussten bei der Sachbearbeitung aushelfen.
Die Bundesregierung setzte deshalb im September 2015 das Schengen-Abkommen außer Kraft, mit dem Mitte der 90er Jahre die Schlagbäume in den (inzwischen 26) Mitgliedstaaten gefallen waren. Eine Aussetzung des Vertrags ist nur bei einer ernsten Bedrohung der öffentlichen Ordnung oder inneren Sicherheit möglich. Berlin verwies auf den Migrationsdruck, später auf die Terrorgefahr und führte wieder Kontrollen ein. Seither prüfen laut Bundesinnenministerium 500 bis 600 Bundespolizisten an der Grenze zu Österreich, unterstützt von 70 bis 80 bayerischen Landespolizisten. Die Aussetzung muss im Halbjahrestakt verlängert werden. Der aktuelle Beschluss gilt bis Mitte Mai.
Im Kontrollzelt in Rottal-Ost ist das nur politische Theorie. Stefan Eggers, 46, ist hier der Verantwortliche. Ein kräftiger Mann, der jetzt im leeren Zelt steht, die Hände in die Seiten seiner grellgelben Polizeiweste stemmt und sagt: „Sehr wenig los heute.“Trotzdem staut sich der Verkehr bis nach Pocking. Das Tempolimit im Kontrollbereich wird deshalb auf 50 km/h angehoben und die Überprüfungen werden für zehn Minuten ausgesetzt.
Drei Teams mit je zwei Mann kümmern sich um die Fahrzeuge, die Suttner und seine Kollegen vorne rausgewunken haben. Es kommen: ein ungarisches Pärchen – sauber. Eine holländische Familie ohne Kindersitze. Und: der eingangs erwähnte verdächtige Wagen aus der Slowakei. Die Personalien sind überprüft. Entwarnung. Alle Insassen haben einen slowakischen Pass. Sie sagen, sie kommen von der Arbeit und fahren jetzt nach Hause.
Die Zahl der Zuwanderer ist ja deutlich zurückgegangen. Als Kanzlerin Angela Merkel 2015 ihr berühmtes „Wir schaffen das“in die Welt setzte, fragten sich die Bundespolizisten in Passau, wie sie das schaffen sollen, bei in der Spitze bis zu 8000 Migranten am Tag. Seit Anfang 2017, nach Grenzschließungen auf der Balkanroute und Verhandlungen mit der Türkei, verzeichnet die Bundespolizei im Schnitt rund 100 bis 250 illegale Einreisen – im Monat. Das bedeutet aber gleichzeitig: So dicht, wie immer behauptet wird, ist die Balkanroute nicht.
Ist ja auch kein Wunder: Die Polizei muss hier gut 150 Kilometer Grenze zu Österreich abdecken. Zwischen Dreiländereck und Simbach am Inn gibt es viele Nebenstraßen, Schleichwege, Äcker und Wälder. „Um 100 Prozent Kontrolle zu gewährleisten, müssten wir einen Zaun bauen“, sagt Polizeisprecher Koller. Übertritte an der „grünen Grenze“gebe es immer wieder. Zur Überwachung seien „rund um die Uhr mehrere zivile Streifen auf den Nebenstraßen“unterwegs. Konkretisieren will er das „ungern“– aus polizeitaktischen Gründen.
Wegscheid, ein kleiner Grenzort nordöstlich von Passau. Bis zur A3 sind es knapp 40 Kilometer. Hier gibt es Läden, die anderswo längst vom Aussterben bedroht sind: ein Ledergeschäft, einen Gemischtwarenladen, Schreib- und Tabakwaren Heidenreich. Niederbayerische Zwiebelturmidylle.
Das war nicht immer so. Im Rathaus sitzt Bürgermeister Josef Lamperstorfer in seinem Büro, zeichnet Striche auf eine Ansichtskarte und erzählt von damals. Im Krisenherbst 2015 war Wegscheid ein Nadelöhr des Migrationsstroms. Innerhalb von anderthalb Monaten kamen 61000 Flüchtlinge über den 5500-Seelen-Ort nach Deutschland. Die Bilder gingen um die Welt.
„Im Dorf hat man davon nichts mitbekommen“, sagt Lamperstorfer. Bis zur Grenze sind es gut zwei Kilometer. Wie sieht es dort zweieinhalb Jahre nach den Chaostagen aus? Man fährt über die B388 durch ein Stückchen Wald und ist plötzlich da. Über Nacht hat es geschneit. Der Nebel hängt tief über den Feldern, auf denen damals die Neuankömmlinge mit Wärmedecken um Lagerfeuer herumsaßen. Krähen ziehen ihre Kreise. Das Gegenstück zur lauten Blechlawine auf der A3.
Im ehemaligen österreichischen Grenzhäuschen ist jetzt der Verein für Deutsche Schäferhunde, auf der anderen Straßenseite verspricht der Western-Saloon „Oklahoma“die „letzte Bratwurst vor der Grenze“. Die Scheide zwischen zwei Staaten, sie ist in Wegscheid ein gluckernder Bach. Hier lebt der Geist von Schengen noch. „Die Länder wachsen an der Grenze ein bisschen zusammen“, sagt Bürgermeister Lamperstorfer. Es sind die kleinen Dinge: Wegscheider fahren nach Kollerschlag, um preiswert zu tanken. Kollerschlager fahren nach Wegscheid, um günstig Milch zu kaufen. Und dann ist da Werner Gell, Schirmmütze, Schnauzer und Kinnbart, der sagt: „Ich warte darauf, dass Seehofer wieder feste Grenzkontrollen einführt.“
Man muss das ins rechte Licht rücken. Das Oklahoma war Gells Lebenstraum. 1999 hat er es in der früheren deutschen Grenzstation eröffnet. Der Laden lief, die Gäste kamen bis aus Linz. Doch mit der Zeit wurde das Geschäft unrentabler. Als die Flüchtlinge kamen, mietete sich die Polizei ein. Sie nutzte den Bungalow als Außenposten, für den Wirt
„Die Länder wachsen an der Grenze ein bisschen zusammen.“Josef Lamperstorfer
„Ich warte darauf, dass Seehofer wieder feste Kontrollen einführt.“Werner Gell
sprang eine kleine Miete heraus. Nach dem Auszug der Beamten hat er den Saloon nebenbei betrieben. Zum Jahreswechsel war Schluss.
Auch drüben in Wegscheid ist Ruhe eingekehrt. An der Metzgertheke, beim Tabakladen, im Rathaus, überall sagen sie: von Flüchtlingen keine Spur mehr. Werner Gell ist sich da nicht so sicher. Die Gläser hinter dem Tresen sind so akkurat aufgereiht, als würde er morgen wieder aufsperren. Gell ist oft im alten Saloon, um nach dem Rechten zu sehen. „Ganz dicht wird die Grenze nie. Hier kommen Lkw aus Tschechien, Rumänien oder der Türkei vorbei. Die fahren in Linz runter.“Ob darin Flüchtlinge geschleust werden? „Keine Ahnung.“Bis Mai 2017 habe sich die Bundespolizei ab und an mit einem Kombi an seinen Parkplatz gestellt und kontrolliert. Jetzt seien nur noch ein paar zivile Streifen unterwegs.
Man gehe den Hinweisen aus der Bevölkerung nach, heißt es bei der Polizei. „Ein ausländischer Kastenwagen fällt hier natürlich schneller auf als auf der A3“, sagt Lamperstorfer. Mehr Schleierfahndung vor Ort brauche es nicht. „So wie es jetzt ist, passt es.“Derweil rauschen sie entspannt und staulos über den Grenzbach, vorbei am Oklahoma nach Bayern. Die Wegscheider. Die Kollerschlager. Und manchmal auch die Lastwagen aus Osteuropa.