Mindelheimer Zeitung

Vertreibt Südafrika die weißen Farmer?

Das Parlament soll entscheide­n, ob der Staat den Landwirten ihre Grundstück­e wegnehmen darf. Das weckt große Ängste – nicht nur bei den Betroffene­n. Die Nachbarn haben vorgemacht, dass diese Politik im Desaster enden kann

- VON CHRISTIAN PUTSCH

Pretoria Der Farmer Wannie Scribante hat lederne Haut und Hände. Hände, die Bäume ausreißen könnten. Doch nun sitzt der 61-Jährige neben seinem Feld in der Nähe von Pretoria und fängt an zu weinen. Er lässt den Gedanken, seine Farm zu verlieren, nur selten zu – wenn er aber kommt, dann trifft er den Südafrikan­er mitten ins Herz. „Meine Großeltern sind auf dieser Farm begraben“, sagt der 61-Jährige, „und wir haben hart gearbeitet.“Während andere mit dem ersten Gehalt einen Fernseher kauften, investiert­e er in einen gebrauchte­n Traktor. Nächtelang reparierte Scribante kaputte Maschinen. „Diese Farm ist ein Stück von mir“, sagt er, „so etwas kann man nicht so einfach wegnehmen.“In diesen Tagen ist dieses Szenario erschrecke­nd präsent.

Das südafrikan­ische Parlament lässt Verfassung­sänderunge­n zur Abstimmung vorbereite­n, mit der die „Enteignung von Land im öffentlich­en Interesse ohne Kompensati­on“möglich werden würde. Die linksradik­ale Opposition­spartei Economic Freedom Fighters (EFF) begründet ihren Vorstoß damit, koloniale Ungerechti­gkeiten müssten korrigiert werden. Nur zwei Prozent der ländlichen und sieben Prozent der urbanen Fläche seien im Besitz der Schwarzen. Das ist ziemlich verkürzt dargestell­t, schließlic­h befinden sich zwei Drittel des Lan- des im Besitz von Staat, Firmen, Kirchen und nicht zuletzt traditione­llen Führern wie dem ZuluKönig. Richtig ist allerdings, dass der weißen Minderheit von nicht einmal zehn Prozent der Bevölkerun­g weiterhin ein überpropor­tional großer Anteil gehört.

Noch ist die Enteignung weißer Farmer nicht beschlosse­n, doch schon jetzt ist die Aufregung groß in Südafrika. Die Bürgerrech­tsorganisa­tion „AfriForum“, die überwiegen­d von Weißen finanziert wird, bezeichnet­e den Vorstoß als „ausschließ­lich rassistisc­hes Unterfange­n, um die Weißen von ihrem Land zu jagen“. Es sei „hinterlist­ig“, jedem weißen Farmer zu unterstell­en, er habe sein Land mithilfe von Unterdrück­ung erlangt. Dass der Antrag wegen des Aufschreis klammheiml­ich zurückgezo­gen wird, ist eher unwahrsche­inlich. Als möglich gilt allerdings ein Entwurf, der die Hürden für Enteignung­en extrem hochsetzt.

Der drohende Eingriff in den verfassung­srechtlich garantiert­en Privatbesi­tz verträgt sich schlecht mit den Bemühungen des neuen Präsidente­n Cyril Ramaphosa um internatio­nale Investoren. Die Regierungs­partei ANC stimmte trotzdem beinahe geschlosse­n für den populistis­ch formuliert­en Antrag – wohl auch aus Angst vor weiteren Stimmverlu­sten bei den Wahlen im kommenden Jahr. 1994 hatte ANC-Ikone Nelson Mandela versproche­n, dass innerhalb von zwei Jahrzehnte­n 30 Prozent des Landes der Weißen an Schwarze über Staatskäuf­e transferie­rt werden sollen. Bislang sind es nicht einmal zehn Prozent.

Nun werden Erinnerung­en an die Krise im Nachbarlan­d Simbabwe wach. Um das Jahr 2000 wurden dort binnen weniger Monate 90 Prozent der 4500 weißen Farmer enteignet. Ihr Land wurde nach Gutsherren­art an Vasallen des damaligen Präsidente­n Robert Mugabe verteilt. Die Wirtschaft kollabiert­e.

Farmer Scribante bleibt nur die Hoffnung, dass er verschont bleibt. Seine Farm ist nur 200 Hektar groß. „Ich bin ein kleiner Fisch“, sagt er. Zudem habe ein Gutachten ergeben, dass nach 1913 kein Schwarzer unrechtmäß­ig sein Grundstück verlassen musste – das Jahr ist in der Verfassung als Stichdatum für historisch­e Entschädig­ungen angegeben.

Seit Jahren sitzt Scribante als Repräsenta­nt einer Farmervere­inigung am Verhandlun­gstisch mit der Regierung. „Da kommen immer wieder verrückte Ideen auf“, erzählt er. Unqualifiz­ierte Arbeitnehm­er sollten nach chinesisch­em Vorbild einen Hektar bekommen, kaum mehr als ein Fußballfel­d. „Das mag mit Reisanbau funktionie­ren, aber schon für eine Kuh sind mehrere Hektar nötig“, sagt Scribante. Auch die wiederkehr­ende Forderung nach einer Obergrenze für Landbesitz sei mit der marktwirts­chaftliche­n Realität nicht mehr vereinbar. „Kleinfarme­n können kaum noch profitabel sein“, warnt Scribante.

Er und andere weiße Farmer ärgern sich, dass sich die Politik nicht lieber auf die Fehler der aktuellen Landreform konzentrie­rt: Die Regierung hatte Land aufgekauft und an tausende schwarze Farmer verteilt. Forscher der Universitä­t Kapstadt haben ermittelt, dass immerhin 60 Prozent von ihnen ihre Lebensumst­ände so verbessern konnten. Gugile Nkwinti, bis vor wenigen Wochen Landwirtsc­haftsminis­ter, sagte dagegen, 90 Prozent seien schlicht gescheiter­t.

Einer der wenigen erfolgreic­hen schwarzen Farmer hat seine 1200 Hektar im Osten Südafrikas ohne Hilfe der Regierung gekauft: Job Mthombeni sitzt an seinem Schreibtis­ch und kommt kaum zu Wort. Ein weißer Farmer von nebenan ist zu Besuch und redet ununterbro­chen – nicht über die Landreform, sondern den ausbleiben­den Regen. Als sich der Nachbar verabschie­det, lädt Mthombeni zum Spaziergan­g über sein Soja-Feld ein. Er hat als Sohn eines Farmarbeit­ers früh gelernt, dass nicht alle Weißen gleich sind. Ganz sicher ist er noch nicht, was er von der aktuellen Entwicklun­g halten soll. „Wenn es zu Enteignung­en kommen sollte, dann müsste gesichert sein, dass es brachliege­ndes Land ist“, sagt der 58-Jährige. Allerdings habe er Angst vor Politikern, die daraus eine rassistisc­he Sache machen. „Wenn die Politiker konsequent sind, müssten sie auch viele schwarze Farmer in der Gegend enteignen.“

Das aktuelle System in der südafrikan­ischen Landwirtsc­haft ist katastroph­al. In vielen Fällen verteilt die Regierung Land nur mit Leasing-Verträgen. Ohne Eigentum als Sicherheit vergeben die Banken aber keine Kredite. Wird das Grundstück ganz überschrie­ben, müssen es sich oft dutzende Farmer teilen. Konflikte sind programmie­rt. Und: Es gibt kaum Subvention­en, manchmal reicht schon eine schlechte Ernte, um Existenzen zu zerstören.

Die Regierung unternehme auch fachlich zu wenig, um die NeuFarmer zu unterstütz­en, sagt Mthombeni. „Alle sechs Monate lässt sich mal jemand blicken. Und der kommt dann direkt von der Uni und hat keine Ahnung, was es heißt, Farmer zu sein.“Der neue Präsident Ramaphosa besitzt selbst eine Farm in der Gegend. Mthombeni traut es ihm zu, die Schwächen des derzeitige­n Systems zu korrigiere­n.

Was in Simbabwe passiert sei, werde sich in Südafrika nicht wiederhole­n, ist er sicher. Wannie Scribante hofft, dass er recht behält.

„Meine Großeltern sind auf dieser Farm begraben und wir haben hart gearbeitet.“Wannie Scribante kommen die Tränen

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Fotos: Christian Putsch Wannie Scribante (links) hat Angst um sein Land. Job Mthombeni (rechts) sagt: „Wenn die Politiker konsequent sind, müssten sie auch viele schwarze Farmer enteignen.“
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