Audis Aufstieg in die Mittelklasse
Vor 50 Jahren präsentierte der Ingolstädter Autobauer den Audi 100. Er war im Geheimen entwickelt worden. Zum Glück für die Bayern. Denn ohne ihn wäre das Werk heute vermutlich nur ein VW-Standort
Augsburg Es gibt Modelle, die sind für einen Autokonzern mehr als nur Teil einer Produktpalette. Es sind Legenden. Bei Audi fällt dem ersten Modell 100, das vor 50 Jahren vom Band lief, dieser Legendenstatus zu. Warum? Weil dieses eine Modell die heute trotz Dieselskandals noch immer erfolgreiche VolkswagenTochter davor gerettet hat, ein schlichtes VW-Produktionswerk zu werden.
Aber der Reihe nach. Kaum einer weiß noch, dass Audi in jener Zeit kein mächtiger Weltkonzern mit Milliardenumsatz, sondern ein kränkelnder Autohersteller war, der immer wieder kurz vor dem Aus stand. Den Audi 100 hätte es deswegen eigentlich gar nicht geben dürfen. Er war kein Wunschkind, sondern wurde gegen ein Verbot des damaligen Volkswagen-Konzernchefs Heinrich Nordhoff entwickelt.
Nordhoff war zu dieser Zeit bei Volkswagen der unumstrittene starke Mann. Er hatte für die 1965 von Mercedes übernommene, relativ unprofitable Auto Union – aus deren Fusion mit NSU die Audi AG entstand – ganz andere Pläne. Er wollte aus dem Autobauer, der seine Glanzzeiten scheinbar hinter sich hatte, eine Art VW-Montagewerk machen. Weil Wolfsburg damals zu geringe Produktionskapazitäten hatte, wurden in Ingolstadt täglich bis zu 300 VW-Autos gebaut – bis der Audi 100 kam.
Sein Siegeszug begann hinter einem Vorhang. In diesem Versteck – derzeit im Rahmen einer Sonderausstellung vom Audi-Museum in Ingolstadt inszeniert – entwickelte Ludwig Kraus, zu der Zeit technischer Direktor der Auto Union, ab 1966 heimlich den Audi 100.
Kraus hatte eine ganz andere Vorstellung von Audis Zukunft als Nordhoff. Er wollte nicht nur ein Montagewerk leiten, sondern die eigene Autoproduktion sichern. Und um gegen die Konkurrenz zu bestehen, musste das neue Modell anders sein als die anderen. Heute würde man das innovativ nennen.
Kraus schwebte also ein modernes Mittelklassemodell vor, allerdings nicht mit dem damals üblichen Hinterradantrieb. Es sollte ein mutiger Fronttriebler werden, der die erst im Vorjahr eingeführten AudiViertakt-Typen nach oben abrunden sollte. Denn Kraus wusste: Nur mit einem neuen, erfolgreichen Flaggschiff würde die Auto Union langfristig eine Überlebenschance haben.
Doch in der Entwicklungsgeschichte des Audi 100 wurde es noch einmal brenzlig. Denn zufällig entdeckte der von Nordhoff entsandte Auto-Union-Chef Rudolf Leiding das mit einem Vorhang nur notdürftig getarnte Geheimprojekt Audi 100. Interessanterweise gab es aber keine arbeitsrechtlichen Konsequenzen für Kraus. Im Gegenteil. Leiding war von dessen Idee begeistert und sorgte dafür, dass das neue Modell sofort Nordhoff präsentiert wurde. Auch das ging gut. Denn der oberste VW-Lenker erkannte die einmalige Chance und ordnete an, die elegante Limousine endgültig fertigzustellen.
Am Ende feierten die Medien die dank neuartigen Leichtbaus überraschend schnellen Vierzylinder-Typen. Denn sie schnitten auch in Vergleichstests gut ab und etablierten sich als smarte und verbrauchsgünstige Alternative zu den Mercedesund BMW-Modellen.
Das eigentlich Lustige an der Geschichte ist: Ludwig Kraus war zuvor von Mercedes zur Auto Union gewechselt. Sodass letztendlich ein Mercedes-Ingenieur den Grundstein für die erfolgreiche Audi-Zukunft legte.