Mindelheimer Zeitung

Audis Aufstieg in die Mittelklas­se

Vor 50 Jahren präsentier­te der Ingolstädt­er Autobauer den Audi 100. Er war im Geheimen entwickelt worden. Zum Glück für die Bayern. Denn ohne ihn wäre das Werk heute vermutlich nur ein VW-Standort

- VON JOSEF KARG

Augsburg Es gibt Modelle, die sind für einen Autokonzer­n mehr als nur Teil einer Produktpal­ette. Es sind Legenden. Bei Audi fällt dem ersten Modell 100, das vor 50 Jahren vom Band lief, dieser Legendenst­atus zu. Warum? Weil dieses eine Modell die heute trotz Dieselskan­dals noch immer erfolgreic­he Volkswagen­Tochter davor gerettet hat, ein schlichtes VW-Produktion­swerk zu werden.

Aber der Reihe nach. Kaum einer weiß noch, dass Audi in jener Zeit kein mächtiger Weltkonzer­n mit Milliarden­umsatz, sondern ein kränkelnde­r Autoherste­ller war, der immer wieder kurz vor dem Aus stand. Den Audi 100 hätte es deswegen eigentlich gar nicht geben dürfen. Er war kein Wunschkind, sondern wurde gegen ein Verbot des damaligen Volkswagen-Konzernche­fs Heinrich Nordhoff entwickelt.

Nordhoff war zu dieser Zeit bei Volkswagen der unumstritt­ene starke Mann. Er hatte für die 1965 von Mercedes übernommen­e, relativ unprofitab­le Auto Union – aus deren Fusion mit NSU die Audi AG entstand – ganz andere Pläne. Er wollte aus dem Autobauer, der seine Glanzzeite­n scheinbar hinter sich hatte, eine Art VW-Montagewer­k machen. Weil Wolfsburg damals zu geringe Produktion­skapazität­en hatte, wurden in Ingolstadt täglich bis zu 300 VW-Autos gebaut – bis der Audi 100 kam.

Sein Siegeszug begann hinter einem Vorhang. In diesem Versteck – derzeit im Rahmen einer Sonderauss­tellung vom Audi-Museum in Ingolstadt inszeniert – entwickelt­e Ludwig Kraus, zu der Zeit technische­r Direktor der Auto Union, ab 1966 heimlich den Audi 100.

Kraus hatte eine ganz andere Vorstellun­g von Audis Zukunft als Nordhoff. Er wollte nicht nur ein Montagewer­k leiten, sondern die eigene Autoproduk­tion sichern. Und um gegen die Konkurrenz zu bestehen, musste das neue Modell anders sein als die anderen. Heute würde man das innovativ nennen.

Kraus schwebte also ein modernes Mittelklas­semodell vor, allerdings nicht mit dem damals üblichen Hinterrada­ntrieb. Es sollte ein mutiger Fronttrieb­ler werden, der die erst im Vorjahr eingeführt­en AudiVierta­kt-Typen nach oben abrunden sollte. Denn Kraus wusste: Nur mit einem neuen, erfolgreic­hen Flaggschif­f würde die Auto Union langfristi­g eine Überlebens­chance haben.

Doch in der Entwicklun­gsgeschich­te des Audi 100 wurde es noch einmal brenzlig. Denn zufällig entdeckte der von Nordhoff entsandte Auto-Union-Chef Rudolf Leiding das mit einem Vorhang nur notdürftig getarnte Geheimproj­ekt Audi 100. Interessan­terweise gab es aber keine arbeitsrec­htlichen Konsequenz­en für Kraus. Im Gegenteil. Leiding war von dessen Idee begeistert und sorgte dafür, dass das neue Modell sofort Nordhoff präsentier­t wurde. Auch das ging gut. Denn der oberste VW-Lenker erkannte die einmalige Chance und ordnete an, die elegante Limousine endgültig fertigzust­ellen.

Am Ende feierten die Medien die dank neuartigen Leichtbaus überrasche­nd schnellen Vierzylind­er-Typen. Denn sie schnitten auch in Vergleichs­tests gut ab und etablierte­n sich als smarte und verbrauchs­günstige Alternativ­e zu den Mercedesun­d BMW-Modellen.

Das eigentlich Lustige an der Geschichte ist: Ludwig Kraus war zuvor von Mercedes zur Auto Union gewechselt. Sodass letztendli­ch ein Mercedes-Ingenieur den Grundstein für die erfolgreic­he Audi-Zukunft legte.

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Foto: Audi Der Audi 100 bescherte dem Ingolstädt­er Autoherste­ller einen Durchbruch in der Mit telklasse. So wurde er zur Konkurrenz von BMW und Mercedes.

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